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Panorama: Genie und Wahnsinn

Schachmeister Bobby Fischer wurde vom FBI überwacht

Er ist Exzentriker und Sadist, ein Genie und Antisemit. „Ich sehe gern, wie sie sich winden", hat er über seine Schachgegner gesagt, die er bereits in jungen Jahren reihenweise besiegte. Und: „Ich zerbreche das Ich des Anderen.“ Er hat wichtige Kämpfe in letzter Minute abgesagt, Preisgelder in astronomische Höhen getrieben, mit Hilfe von Rechtsanwälten die Beleuchtung bei Wettkämpfen ändern lassen, er konnte zickig und geheimnisvoll sein, diabolisch und unberechenbar. Ohne Zweifel ist Bobby Fischer, der eigentlich Robert James Fischer heißt, bis heute die schillerndste Figur der Schachwelt. Er reist viel, meidet die Öffentlichkeit, wittert Intrigen und fühlt sich permanent verfolgt.

Jetzt stellt sich heraus: Der Paranoiker wurde tatsächlich verfolgt. Fast dreißig Jahre lang hat die amerikanische Bundespolizei FBI ihn und seine Mutter bespitzelt. Besonders sie wurde verdächtigt, Agentin der Sowjets gewesen zu sein. Die Akten umfassen 750 Seiten. Am vergangenen Sonntag hat der „Philadelphia Inquirer“ erstmals daraus zitiert.

Das Material ist spektakulär. Einerseits zeigt es, dass selbst amerikanische Volkshelden nicht davor gefeit sind, von ihrer Regierung ausspioniert zu werden. Das FBI hat Geburtsurkunden überprüft, andere Schachspieler kontaktiert, die Post von Fischers Mutter gelesen, ihre Nachbarn ausgefragt, das Konto kontrolliert. 1958 hat Bobby Fischer die US-Meisterschaften gewonnen - mit 14 Jahren. Die Presse schwärmte von dem „jungen Schachgott", der vielleicht eines Tages die Dominanz der Russen auf diesem Gebiet brechen könnte. Es war kalter Krieg zwischen Ost und West. Wenn es einem Amerikaner gelingen könnte, im Duell der Köpfe die Sowjets zu entthronen, wäre das ein fantastischer Triumph. Das geschah schließlich 1972 im isländischen Reykjavik. Fischer wurde Weltmeister und der Wettkampf gegen Boris Spassky legendär. Dauernd stellte Fischer neue Honorarforderungen und trat zu fast jeder Partie verspätet an. An Fischer schieden sich die Geister. Er hetzte gegen Frauen – „sie sind allesamt schwach, alle Frauen, im Vergleich mit den Männern sind sie dumm“ – und gegen Juden – „es gibt zu viele Juden im Schach, sie haben dem Spiel seine Klasse genommen". Gegen „jüdische Diebe, Betrüger und Verschwörer“ zieht Fischer seitdem regelmäßig vom Leder. Das ist auch deshalb pikant, weil er selbst Jude ist. Vor allem aber sind die FBI-Akten interessant, weil sie etwas mehr Licht in das biographische Dunkel werfen, das Fischer stets umgab. Robert James kam am 9. März 1943 in Chicago zur Welt. Bislang war angenommen worden, dass er das Kind der Schweizerin Regina Wender und eines deutschstämmigen Physikers namens Gerhardt Fischer war. Die beiden hatten 1933 in Moskau geheiratet, 1945, also zwei Jahre nach Bobbys Geburt, ließen sie sich scheiden. Die FBI-Akten legen dagegen die Vermutung nahe, dass der Vater von Bobby nicht Gerhardt Fischer war, sondern Paul Nemenyi, ein ungarischer Mathematiker.

Seit dem Gewinn der Weltmeisterschaft ist Bobby Fischer auf der Flucht vor den Medien. Am 11. September 2001 wiederum war es Fischer persönlich, der aus New York bei einer obskuren Radiostation auf den Philippinen anrief. Das Genie war euphorisch. Die Anschläge auf das World Trade Center lobte er in den höchsten Tönen. „Das ist wunderbar. Amerika muss ein für allemal vernichtet werden", sagte der 59-Jährige.

Manchmal liegen Genie und Wahnsinn eben so nahe beieinander, dass die Polizei einschreitet.

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