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Panorama: Genossen und geschwiegen

Lange war Willy Brandts Liebesleben tabu. Jetzt hat seine letzte Frau ein Geheimnis gelüftet.

Warum hat Helegine jetzt geredet? Gewiss, einige Journalisten können nun aufgeregt über die „geheime Geliebte“ Willy Brandts schwadronieren, einigen wird jetzt auch klar, dass „die Schwedin“, die im Zusammenhang mit dem KanzlerSturz 1974 erst in den Dossiers des Bundeskriminalamtes und dann auch in der Presse eine Rolle gespielt hat, nur ein Synonym gewesen ist für die jahrelange Beziehung zwischen „Heli“ Ihlefeld und Willy Brandt und dass die schwedische Journalistin Larsson nicht gemeint war. Viele haben das gewusst, niemand hat darüber geschrieben – bis jetzt, da Heli das Schweigen gebrochen hat, und das ausgerechnet gegenüber der letzten Brandt-Ehefrau Brigitte Seebacher.

Keiner der mitreisenden Journalisten hat die Szene aus dem SPD-Sonderzug im Wahlkampf ’72 geschildert, wie Kanzler-Referent Guillaume aus Willys Salonwagen zurückkam, wo er mit dem „Alten“ Organisatorisches zu besprechen hatte, wie Heli dann nach vorn ging, als ob sie ein Interview zu führen hätte und dass sie an diesem Abend nicht mehr im Speisewagen auftauchte, dass sie alle Termine dieser Reise schwänzte. Viele wussten, dass da „etwas war“ zwischen dem oft melancholischen Mann und der schönen, sanften Frau – geschrieben hat niemand darüber.

Warum nicht? Unter den Bonner Journalisten der 60er- und 70er-Jahre galten andere Werte und Regeln als heute. Die für Politik zuständigen Korrespondenten berichteten über die Arbeit der Politiker und bewerteten sie, Persönliches blieb weitgehend für die Öffentlichkeit tabu. Zwar gab es auch in Bonn drei, vier so genannte Gesellschaftsreporter, aber deren Produkte gingen über hübsch ausgeschmückte Anekdoten nach dem Muster „Wie Kiesinger der Queen versehentlich auf die Schleppe trat“ kaum hinaus. Ja doch: eine Reporterin hat einmal – ohne Namensnennung natürlich – geschrieben, auf einem Empfang eines britischen Diplomaten habe „eine der Damen auf dem Tisch getanzt“. Was für ein Skandal!

Der Konsens, dass man das Privatleben von Politikern zu respektieren habe, sofern es den Beruf nicht beeinflusse, galt aber auch unter den Politikern, über Parteigrenzen hinweg. Unions-Fraktionschef Rainer Barzel sprach einmal vor Korrespondenten davon, dass es Gerüchte über Haschisch-Konsum an der Schule eines Brandt-Sohns gegeben habe – die Weitergabe dieser Gerüchte in der CDU sei der Grund dafür gewesen, dass er, Barzel, demonstrativ auf dem jüngsten Empfang des Bundeskanzlers in dessen Privathaus erschienen sei. Unter normalen Umständen hätte er der Einladung Brandts nicht Folge geleistet – aber die Kinder zu benutzen, um dem Vater zu schaden, das sei ja wohl der Gipfel der Perfidie.

Ja, es wurde getratscht und gelästert, im überschaubaren Bonn wusste jeder von jedem (fast) alles. Aber amouröse Abenteuer von hohen Politikern blieben ebenso unbeschrieben wie dramatische Trennungen oder sonstige Katastrophen wie physische oder psychische Krankheiten, der Herzschrittmacher oder die Schlafkur gegen Depressionen.

Ist durch diese Diskretion Schaden entstanden? Was ist heute besser in der Politik, was besser im Journalismus, wo jedes noch so private Detail in der Öffentlichkeit breit getreten wird? Wo sich der Bundespräsidenten-Kandidat Horst Köhler ungefragt zu der Mitteilung genötigt sieht, sein Sohn habe mit 17 Jahren ein Kind gezeugt – eine Mitteilung, die offenbar verhindern sollte, dass die Boulevard-Presse Wind bekommt und den jugendlichen Vater wie die ganze Familie Köhler durch die Schlagzeilen zerrt? Was kann noch als Erfüllung eines Informationsbedürfnisses gelten? Was dient der bloßen Befriedigung einer Sensationsgier?

Dass über die – wie auch immer geartete – Beziehung zwischen Ihlefeld und Brandt bislang nicht geschrieben worden ist, hatte allerdings zusätzliche Gründe: Brandt wurde verehrt, auch Heli war eine beliebte Kollegin. Andererseits schwärmten alle, die Rut Brandt kannten, für Willys norwegische Ehefrau. Auch dem Ehemann Helis, dem Journalisten Hermann Otto Bolesch – der übrigens mehrere Bücher über Brandt veröffentlicht hatte – wollte niemand übel. Ein Schleier nicht nur von berufsmäßiger Diskretion, sondern auch von Empathie, von persönlich getöntem Mitgefühl mit einem oder einer oder auch allen Betroffenen hatte sich über die Affäre gelegt. Dreißig Jahre hat dieser Schleier gehalten – getragen von der Überzeugung, dass Journalisten nicht nur Verpflichtungen gegenüber der Öffentlichkeit zu erfüllen, sondern zugleich die Privatsphäre des Einzelnen zu schützen haben. Dass nicht alles weitergetratscht werden muss, was man erfahren hat. Aber jetzt hat die Brandt-Witwe Brigitte Seebacher ein im „Spiegel“ teilweise vorab veröffentlichtes Buch über Willy geschrieben, hat das „Geheimnis“ mit dem – wie sie schreibt – Einverständnis Helis gelüftet und damit ihrem Werk noch vor seinem Erscheinen Aufmerksamkeit verschafft. Nun ja. Aber warum hat Heli mitgemacht? Warum hat sie den Comment, auf den alle Beteiligten doch irgendwie stolz waren, verletzt? Heli geht auf die 70 zu, sie kann doch nicht in der Liga spielen wollen, in der Liebschaften mit möglichst (noch) verheirateten Prominenten nicht geächtet, sondern mit TV-Moderations-Angeboten „belohnt“ werden. Ihre Begründung, zitiert von Brigitte Seebacher, vermag diese Fragen nicht zu beantworten: Sie wolle durch das Heraustreten aus der Anonymität helfen, dem Bild eines geradlinigen und wunderbaren Menschen etwas von der Beschädigung zu nehmen, die es durch die Ereignisse und deren Deutung bekommen hat, soll sie gesagt haben. Ach, hättest Du doch geschwiegen, Helegine!

Die Autorin war ab 1969 Korrespondentin für mehrere Zeitungen in Bonn.

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