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Gerichtsmediziner: Begraben unter Beton

Professor Tsokos ermittelt.

Die drei Männer ahnten nichts Schlimmes, als sie morgens ihre Arbeit bei der Berliner Stadtreinigung (BSR) antraten. Auf dem Gelände der Müllverbrennungsanlage in Spandau sollten sie eine Kranvorrichtung warten. Zu diesem Zweck betraten sie eine an der Decke befestigte Plattform, die sich zehn Meter über dem Boden befand. Kurz nach Beginn der Wartungsarbeiten löste sich diese aus ihrer Verankerung. Die Männer stürzten in die Tiefe und wurden unter der herabfallenden, mehrere Tonnen schweren Plattform begraben. Wie unsere Obduktion ergab, starben die Männer bereits infolge des Sturzes an ihren schweren Verletzungen.

In Fällen wie diesen ist unsere Expertise häufig gefragt: etwa zwei Mal im Monat. Wir obduzieren, um zu klären, ob eine Person tatsächlich infolge eines Arbeitsunfalls gestorben ist – oder ob ihr Tod ganz andere Gründe hatte. Am Anfang unserer Arbeit steht immer die Klärung der Todesursache. Vor allem bei Menschen, die gefahrgeneigten Berufen, zum Beispiel Arbeiten auf Gerüsten oder an Außenfassaden nachgehen, kommt eine unnatürliche Todesart in Betracht. Meistens handelt es sich um Stürze aus großer Höhe. Wir müssen herausfinden, ob die Person aufgrund äußerer Umstände gestürzt ist, oder ob sie fiel, weil sie beispielsweise einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erlitten hat. Ergibt unsere Obduktion Letzteres, war es Zufall, dass sich der Betroffene dabei am Arbeitsplatz befand.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die toxikologische Untersuchung. Stand die Person zum Todeszeitpunkt unter Alkohol- und Drogeneinfluss? Waren Bewusstsein und Koordinierungsvermögen dadurch getrübt? Sollte das der Fall sein, hat derjenige zumindest eine Teilschuld am Sturz. Die toxikologische Analyse ist aber auch im Hinblick auf Arbeiten mit giftigen Gasen relevant, etwa im Bereich der Landwirtschaft. In Silos kann es je nach Inhalt zu hohen Konzentrationen von Ammoniak, schwefelhaltigen Gasen oder Kohlendioxid kommen – so hoch, dass bereits kurzes Einatmen zur Bewusstlosigkeit führen kann. Die weiteren Ermittlungen müssen dann klären, ob alle arbeitsschutzgesetzlichen Vorgaben eingehalten wurden.

Erhärtet sich durch unser Gutachten der Verdacht eines Arbeitsunfalls, sind unsere Befunde nur eines von vielen Puzzleteilen bei der Aufklärung. Die Polizei und das Landesamt für Arbeits- und Gesundheitsschutz (Lagetsi), das sich auch bei uns auf dem Gelände befindet, untersuchen den Unfallort. Nur so können der genaue Hergang der Ereignisse rekonstruiert und versicherungsrechtliche Fragen im Interesse der Hinterbliebenen und der Arbeitssicherheit geklärt werden.

Michael Tsokos

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