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Panorama: Geruch der Katastrophe

Die große Flut hinterlässt in Passau und Regensburg einen Gestank von toten Ratten und verfaulten Müllsäcken

Von Mirko Weber, Regensburg

Wer die Städte wechselt, nimmt den Geruch des Wassers in der Nase mit: das Brackige, das Faule, das Verwesende, das Ungesunde – und man wird den Geruch so schnell nicht wieder los in diesen Tagen. Auch anderes Vertraute ist schnell wieder da, wenn Passau hinter einem liegt, wo sie gerade überraschend schnell anfangen, ihre Gassen trocken zu legen: tote Ratten, verendete Tauben, stinkende Müllsäcke. Das hier jedenfalls ist Regensburg, und der Pegel steht bei 6,70 Meter.

Jedes Hochwasser ist anders, sagen die Hochwasserexperten. Man kann es überbauen, wie an der Sattelbogener Straße, wo die Männer von der Bundeswehr und vom Technischen Hilfswerk Stege gezimmert haben. Man kann versuchen, es zu dämmen, wie in der Keplerstraße vor dem „Strohhalm“, einer Begegnungsstätte für Obdachlose und Hilfsbedürftige.

Oder man kann es ab- und auspumpen, wie in den vielen Kneipen unten am Donauufer. Letzten Endes jedoch bahnt sich das Wasser immer wieder seinen Weg. Beginnt als Rinnsal, endet womöglich als Kleinfluss. Macht sich selbstständig. Man kann dann nur noch zuschauen.

Die Bevölkerung von Regensburg ist das Anpacken und Beobachten gewohnt, wenn der so genannte K-Fall ausgerufen wird, wie am Abend des Dienstags. Der letzte Katastrophenfall ähnlichen Ausmaßes datiert auf das Jahr 1993. Davor gab es einen Hochwasser-Rekord, als die Donau 1988 auf 6,59 Meter angestiegen war, und danach eine weitere Flut. 1999 gab es eine mittelschwere Katastrophe. Was nicht heißen soll, dass sie sich in Regensburg vergleichsweise schnell mit dem Hochwasser abfänden. Man wird nur schneller zum Venezianer, zumindest als Altstadtbewohner. Deshalb blicken sie mit genauso stoischem Gesicht auf die Katastrophe, wie die japanischen Besuchergruppen an der berühmten Steinernen Brücke. 800 Jahre lang, so lassen sich die Besucher von ihrem Guide belehren, sei dies hier der einzige Donauübergang gewesen. Die Japaner nicken verständig.

Ob zur Schau gestellt oder nicht: Ähnlichen Gleichmut legt auch der Regensburger Bürgermeister Gerhard Weber an den Tag, wenn er nach den Sitzungen des Krisenrats fast mantraartig wiederholt, Regensburg sei „hochwassererfahrener als andere Städte, die seit Menschengedenken keine Überflutung erlebt haben.“ Weber empfindet das „als großen Vorteil“. Er spricht dabei nur über seine Stadt. Denn im Landkreis beziehungsweise auch auf der anderen Flussseite, in Stadt am Hof, hilft den Menschen eine solche Durchhalteparole nicht mehr. Die Evakuierungen sind längst im Gange.

Es sind deswegen auch nicht nur die Grünen in Regensburg, die angesichts der prekären Lage noch einmal darauf aufmerksam machen, dass sich seit dem Rekord-Hochwasser von 1988 nicht eben viel getan habe, um ein Hochwasserschutzsystem zu schaffen.

Ein Vorwurf, den Bürgermeister Weber nicht auf sich sitzen lassen will, schließlich habe es auf allen politischen Seiten am Willen gefehlt, sich dem Schicksal, das Regensburg statistisch gesehen alle 15 bis 20 Jahre droht, mittels neuer Technik zu widersetzen.

Dass auf diese Art nicht weitergewurstelt werden kann, formuliert der bayerische Umweltminister Schnappauf auf seinem Rundgang durch die Altstadt in Regensburg ziemlich deutlich. Er erinnert – auch um von manchem Sündenfall der CSU in Sachen Umweltpolitik abzulenken – an „das schlechte Gedächtnis der Leute“, zum Beispiel nach dem letzten Hochwasser in Neuburg an der Donau. Die Stadt gerade noch davon abzuhalten gewesen, auf dem überschwemmten Gebiet hernach Neubauten anzusiedeln, als ob nichts passiert sei und nie wieder passieren könne. Diese Häuser stünden heute meterhoch unter Wasser.

Insgesamt 65 Millionen Euro hat das Kabinett unter dem Vorsitz von Innenminister Beckstein am Mittwoch bewilligt. Zwar werden die Schäden in Bayern insgesamt nicht so hoch sein wie nach dem Pfingsthochwasser von 1999. Jetzt aber kommen auch noch massive Ernteschäden hinzu, und der Landwirtschaftsminister Josef Miller hat seine Klientel, die mit einem Ertragsausfall von bis zu 20 Prozent rechnet, seinerseits beruhigt. Die Bauern könnten sich auf ihren Minister verlassen. Auf viel mehr als auf Gottvertrauen – und die Zeiten des Wahlkampfs – wird jedoch auch Miller dabei nicht gründen können.

Unterdessen nimmt das Leben in Regensburg weiter seinen Lauf, wie man sonst so arglos sagt. Angesichts der Wassermassen bekommt auch diese Formel einen anderen Sinn. Jeder tut, was er kann. Manche Menschen stapeln Sandsäcke, andere lassen es sich in der örtlichen „Wurstkuchl“ schmecken - mehr oder minder unbeeindruckt von aller sie umgebenden Betriebsamkeit. Die meisten stehen unten am Ufer und schauen zu, wie die Donau in jeder Sekunde 1 700 Kubikmeter Wasser heranwälzt. Der Pegelstand stagniert. Wer nicht verzweifelt, wird zum Stoiker. Es muss das Regensburg-Prinzip sein.

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