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Panorama: Geschmack ist Nebensache

Die Franzosen sind vom neuen Beaujolais wie immer enttäuscht – und freuen sich trotzdem

Paris. Es ist jedes Jahr dasselbe: Bars und Bistros in ganz Frankreich kündigen schon in den ersten Novembertagen den jüngsten französischen Wein an, heimlich spionieren die Restaurantsbesitzer vor der „großen Premiere“ am dritten Donnerstag im November die Preise für das leicht fruchtig schmeckende Gesöff bei der Konkurrenz um die Ecke aus und dann sind alle enttäuscht. Auch in diesem Jahr war es so: Am „Nouveau Beaujolais, Jahrgang 2002“ wurde fast kein gutes Haar gelassen. Auf das seit 51 Jahren existierende Ritual zu Ehren des neuen Roten möchte aber keiner verzichten, denn die Präsentation des noch nicht ausgereiften Tropfens hat für Konsumenten wie Barbetreiber angenehme Nebeneffekte: volle Kneipen und dazu Gratis-Häppchen.

In Krisenzeiten schmeckt alles, sogar der schon immer als minderwertige Partywein abgekanzelte neue Beaujolais. Die Zeitung „Le Parisien": „Kein Wunder, dass gerade jetzt wieder alle danach greifen, in diesem trüben November, angesichts eines möglichen Krieges, einer Ölpest in Spanien und der sicheren Aussicht auf eine Wirtschaftskrise muss jeder Anlass zum Feiern ergriffen werden.“ Insofern wurden in diesem Jahr 58 Millionen Flaschen des Beaujolais Primeur ausgeliefert. Die Hälfte davon wird in den kommenden drei Monaten in Frankreich konsumiert. Später nämlich ist der neue Rote als Tischwein wegen seiner geringen Reifezeit nicht mehr genießbar und fristet dann allenfalls ein Dasein als Weinessig oder Verfeinerer von Saucen.

Richtig scharf auf den neuen Roten sind die Japaner: Mit 7,2 Millionen Flaschen sind sie nach den Franzosen die besten Kunden, gefolgt von den Deutschen mit 7 Millionen Flaschen und den Amerikanern mit 3,9 Millionen. Also Prost, sagen sich die Winzer, denn sie wissen, dass sie mit dem Kultwein auch in diesem Jahr wieder gute Umsätze machen.

Sabine Heimgärtner

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