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Gesundheit: „2050 fließt Fusionsstrom aus der Steckdose“

Ein Gespräch mit Max-Planck-Wissenschaftler Alexander Bradshaw über die Zukunft der Kernfusion

Herr Bradshaw, bereits 1919 hat Ernest Rutherford die erste Fusionsreaktion beobachtet. Seit fast 50 Jahren wird an der wirtschaftlichen Nutzung der Kernfusion geforscht. Ein Kraftwerk gibt es noch nicht, nun soll der Versuchsreaktor „Iter“ gebaut werden. Wie viel des Weges ist zurückgelegt, bis der Fusionsstrom Realität wird?

Ungefähr 80 Prozent. Bisher gelang es nur, Plasmen herzustellen, die mehr Energie verbrauchen, als bei der Fusion erzeugt wird. Der Nachweis, dass die Kernfusion prinzipiell zur Energieerzeugung nutzbar ist, gelang mit dem „JETExperiment“ 1997 im britischen Culham, als 65 Prozent der aufgewandten Heizleistung wiedergewonnen wurden. Bei Iter soll die Fusion mindestens das Zehnfache der hineingesteckten Leistung bringen.

Was sind die Bedingungen dafür?

Eine Plasma-Temperatur von über 100 Millionen Grad sowie ausreichend hohe Dichte und gute Isolierung des Plasmas. Wir wissen noch nicht, wie sich das Plasma dann verhält. Denn ein brennendes Plasma wird hauptsächlich durch die entstehenden Alpha-Teilchen aufgeheizt. In dieser „Plasma-Selbstheizung“ steckt noch viel unbekannte Physik.

Was geht da vor sich?

Bei der Fusion verschmelzen je ein Deuterium- und ein Tritium-Kern zu einem Helium-Kern, einem „Alpha-Teilchen“, und ein Neutron wird frei. Die Alpha-Teilchen heizen das Plasma auf. Die Neutronen transportieren die nutzbare Energie.

Werden es heute 40-Jährige erleben, dass Fusionsstrom aus der Steckdose kommt?

Wenn sie lange genug leben: ja. Sie werden sicherlich erleben, dass ein Demonstrationskraftwerk gebaut wird, das Strom ans Netz liefert. Der nächste Schritt, die Einführung der kommerziellen Fusionsenergie, wird dann von heute aus gesehen erst in 40 bis 50 Jahren möglich sein.

Sind Sie glücklich, dass der Standort für den ersten Versuchssreaktor „Iter“ im französichen Cadarache festgelegt wurde?

Noch glücklicher wären wir über einen Standort in Deutschland gewesen. Aber Deutschland hat sich nicht beworben. Das ist eine politische Entscheidung, die ich nicht kommentieren will. Wir sehen aber an allen Großprojekten, dass ein Genehmigungsverfahren in Deutschland wohl sehr langwierig geworden wäre.

Was hätte Deutschland als Standort qualifiziert?

Viele der Entwicklungen, die Iter erst möglich machten, kommen aus dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching. Unser Experiment „ASDEX Upgrade“ hat die gleiche Geometrie wie Iter; und viele Versuche, die wir dort vorhaben, sind für die Wahl der richtigen Betriebsbedingungen für Iter wichtig.

Was sind denn die grundlegenden Garchinger Experimente für Iter?

Zunächst ging es darum, das Plasma sauber zu halten und eine kontrollierte Wechselwirkung zwischen Plasma und Wand zu erreichen. Das führt zu einem verbesserten Einschluss des Plasmas, dem . Das nennt man „H-Mode“ (High Confinement-Mode) und das ist der geplante Standardbetrieb von Iter. Zudem arbeiten wir daran, die Wand des Reaktors aus Wolfram und nicht länger aus Kohlenstoff herzustellen.

Welche Probleme gibt es?

In den letzten Jahren hat man entdeckt, dass sich wegen der Kohlenstoff-Verkleidung der Wände Kohlenwasserstoff-Verbindungen bilden, die Tritium enthalten. Diese Fragmente verteilen sich überall in der Maschine. Das will man nicht, denn Tritium ist radioaktiv.

Sie haben das Problem angesprochen. Viele Menschen finden die Kernfusion im Prinzip gut, sind aber skeptisch, weil Radioaktivität entsteht.

Ich kann diese Befürchtung verstehen. Wir wollen nichts verheimlichen, sondern mit den Kritikern offen diskutieren.

Welche Gefahren birgt die Fusion?

Zunächst Tritium: Das ist zwar nur ein leichter Beta-Strahler mit einer Halbwertzeit von zwölfeinhalb Jahren. Dennoch ist es wichtig, dass die Substanz nicht entweicht. Tritium wird im Kraftwerk selbst aus Lithium erbrütet.

Dann reichert sich im Reaktor radioaktives Material an?

Nein, im Reaktor bleibt die Konzentration der Brennstoffe, Deuterium und Tritium, äußerst gering, nur ein Gramm in 1000 Kubikmetern. Die Brennstoffe werden dosiert nachgeliefert, nur so viel, um die Fusion am Leben zu erhalten.

Was geschieht mit dem erbrüteten Tritium?

Man holt es aus dem Reaktor heraus und sammelt es in einem Behälter, der eine Menge von 500 Gramm fasst. Selbst beim schlimmsten denkbaren Unfall, etwa beim Aufprall eines voll getankten Jumbojets, würde sich das entweichende Tritium so schnell verdünnen, dass nur ein Umkreis von einem Quadratkilometer evakuiert werden müsste.

Werden nicht auch die Reaktorwände radioaktiv verstrahlt?

Dagegen kann man etwas tun: Durch gezielte Forschung solche Materialien aussuchen, die von Neutronen möglichst wenig aktiviert werden. Zudem klingt die Radioaktivität des Fusionsabfalls rasch ab, in 100 Jahren auf ein Zehntausendstel des Anfangswerts. Wenn wir die Materialien wiederverwerten, kommen wir bei der Kernfusion sogar ohne Endlagerung aus. Nach 100 Jahren muss man das Material dann nicht mehr lagern.

Wie sieht der weitere Zeitplan für den Fusionsstrom aus?

Für den Bau von Iter wird man zehn, elf Jahre benötigen. Das Ziel ist es, die technische und physikalische Machbarkeit der Fusion zu demonstrieren und wichtige Fragen zu untersuchen, etwa die Wärmeübertragung oder das Erbrüten von Tritium aus Lithium sowie die Lösung der Materialprobleme. Für Materialtests muss eine für die Fusionsforschung konzipierte Neutronenquelle gebaut werden. Um das Jahr 2025 herum muss dann die Entscheidung für ein Demonstrationskraftwerk fallen. Das wird zwar wie ein richtiges Kraftwerk auch Strom ans Netz liefern. Dennoch handelt es sich um einen Prototyp. Erst wenn man genügend Erfahrungen gesammelt hat, kann man mit dem Bau des ersten kommerziellen Kraftwerks beginnen. Das wird bis Mitte des Jahrhunderts dauern.

Das Gespräch führte Paul Janositz.

Professor Alexander Bradshaw (61), Chemiker, ist seit 1999 wissenschaftlicher

Direktor des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) in Garching und Greifswald.

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