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Gesundheit: Ärzte als Stasi-Spitzel

Viele DDR-Mediziner horchten ihre Kollegen aus, andere brachen die Schweigepflicht – aber manche blieben auch unbeugsam

In den letzten Jahren der DDR waren dort etwa drei bis fünf Prozent der Ärzte als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) des Staatssicherheitsdienstes tätig. Der Bevölkerungsdurchschnitt lag dagegen bei nur einem Prozent. Diese Schätzzahl nannte Francesca Weil vom Hannah-Arendt–Institut für Totalitarismusforschung an der Technischen Universität Dresden bei einer Veranstaltung der Stasi-Unterlagenbehörde über Ärzte als IM in Berlin.

Die Historikerin arbeitet seit drei Jahren an einem Forschungsprojekt über die Verstrickung von Ärzten in das System des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Finanziert wird es vom offiziellen Organ der Ärzteschaft, dem „Deutschen Ärzteblatt“. Norbert Jachertz, langjähriger Chefredakteur des Ärzteblatts, betonte bei der Podiumsdiskussion, dass die Ärzteschaft nicht wieder so lange mit der DDR-„Vergangenheitsbewältigung“ zögern wollte wie mit ihrer jahrzehntelang verdrängten Mitwirkung an den Naziverbrechen.

Thomas Großbölting, Mitarbeiter der Stasi-Unterlagenbehörde, erinnerte daran, dass 50 Prozent der deutschen Ärzte in der NSDAP, 20 Prozent in der SA und fünf Prozent in der SS waren. Auch deshalb seien die Ärzte in der DDR besonders überwacht worden. Um 1990 laut gewordene Befürchtungen, auch in der DDR habe es eine naziähnliche „Medizin ohne Menschlichkeit“ gegeben, hätten sich nicht bestätigt – mit einigen Ausnahmen. Hier nannte Großbölting die Stichworte Transplantation, Doping und IM-Tätigkeit.

Zunächst tat sich die Staatssicherheit schwer mit den Ärzten. Aber in den siebziger Jahren begann das MfS, alle medizinischen Einrichtungen mit einem Netz von Spitzeln zu überziehen, berichtete Francesca Weil. Die traditionell bürgerlichen, von Freiberuflichkeit geprägten Ärzte waren misstrauisch observierte Fremdkörper im sozialistischen Gesundheitswesen. Sie flüchteten denn auch scharenweise in Richtung Westen.

Eine Hauptaufgabe der ärztlichen IM war die Bespitzelung von Kollegen, besonders in Hinblick auf geplante „ungesetzliche Grenzübertritte“ und „staatsfeindlichen Menschenhandel“. Manche der als IM angeworbenen Ärzte teilten ihren Führungsoffizieren so gut wie gar nichts mit. Aber jeder Vierte berichtete sogar über Patienten und verletzte die ärztliche Schweigepflicht. Vor allem Psychiater sowie Ärzte in leitender Funktion übergaben dem MfS regelmäßig ausführliche Berichte, auch umfassende Gutachten über Patienten.

Francesca Weil arbeitete 490 Ärzte-IM-Akten durch, konnte mit 21 dieser Ärzte Gespräche führen und gelangte dabei zu einer differenzierten Sicht: Manche arbeiteten dem MfS aus politischer Überzeugung zu, andere wurden erpresst (kamen zum Beispiel nur so aus der Haft frei), wieder andere wurden aus Opportunismus zu Spitzeln.

Viele jedoch verweigerten die IM-Tätigkeit oder brachen sie ab, einige unter Hinweis auf ihre Schweigepflicht. Der Umgang der interviewten Ärzte mit ihrer IM-Vergangenheit reichte von Rechtfertigung („Ich habe doch niemandem geschadet“) bis zu Scham und Reue. Zwei leben in der Angst, enttarnt zu werden. Die meisten arbeiten weiter als Ärzte.

Zur Erbitterung von DDR-Regime-Opfern, die sich in der Plenumsdiskussion zahlreich und teilweise sehr erregt zu Wort meldeten, sollen einige sogar in entsprechenden Gutachterkommissionen sitzen. „Die alten Opfer werden also heute wieder schikaniert“, sagte ein Chirurg. Und wegen der Verletzung der Schweigepflicht gab es zwar einige Prozesse, die Delikte waren aber schon verjährt. Dazu Jachertz: „Unterm Strich ist diesen Ärzten nichts passiert.“

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