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Gesundheit: Ätna: Ein eher braver Vulkan

Er speit Feuer, er qualmt und raucht, er schickt glühende Ströme flüssigen Gesteins talwärts. Doch allen Anstrengungen zum Trotz gehört der Ätna nicht zu den gefährlichsten Vulkanen, die auf der Erde aktiv sind.

Er speit Feuer, er qualmt und raucht, er schickt glühende Ströme flüssigen Gesteins talwärts. Doch allen Anstrengungen zum Trotz gehört der Ätna nicht zu den gefährlichsten Vulkanen, die auf der Erde aktiv sind. Das zeigt sich an der Wurfhöhe von vielleicht hundert Metern, in die das glühende Material emporfliegt, während die Vulkane, die von den Wissenschaftlern in die Hochrisikoklasse eingestuft werden, ihre Ladung auch mehrere Kilometer hoch schleudern können.

"Der Merapi ist so ein Hochrisikovulkan", erklärt Birger Löhr vom Geoforschungszentrum Potsdam. Der Geophysiker koordiniert das Forschungsprojekt, das sich mit diesem "Feuerberg" - so die Übersetzung des indonesischen Namens - auf der Insel Java beschäftigt. Indonesien ist eine wahre Fundgrube für Vulkanforscher, schließlich zählt man dort an die 150 feuerspeiende Berge. In der zum Jahrtausendwechsel zu Ende gegangenen "Dekade zur Verringerung von Naturkatastrophen" rückten neben Erdbeben und Überflutungen auch die Gefährdungen durch Vulkanausbrüche ins Visier der Experten. 15 Vulkane bekamen die Hochrisiko-Einstufung, da in der Reichweite ihrer aggressiven Ausbrüche viele Menschen leben oder sehr wertvolle Güter lagern. Vor den Aktivitäten des Merapi sind beispielsweise rund eine Million Anwohner bedroht. Grafik: Der Ätna - Europas größter Vulkan Die Gefahr für die Bevölkerung ist umso größer, je schneller Lavamassen oder Gaswolken unterwegs sind. So kann der indonesische Vulkan seine todbringenden heißen Wolken mit einer Geschwindigkeit von 200 Kilometern pro Stunde in die Luft blasen, während sich - wie Fernsehbilder zeigen - die breiige Lavamasse des Ätna relativ langsam abwärts bewegt. Gefährdete Dorfbewohner haben Zeit abzuwarten, ob sie flüchten sollen oder nicht.

Natürlich spielen auch die Wucht der Explosion selbst und die Größe der ausgeworfenen Masse eine Rolle bei der Risikoeinschätzung. Dramatisch war der Ausbruch des Mount St. Helens im US-Staat Oregon, bei dem an die 500 Meter Berg in die Luft gingen.

Man unterscheidet "explosive" und "effusive" Vulkane, erklärt Lühr. Bei letzteren fließen die Lavaströme "schön fürs Auge" fleißig aus dem Krater, gefährlich für Leib und Leben wird es aber meist nur, wenn man sich in die Nähe des Feuerstroms wagt. Bei der explosiven Variante dagegen, von der Art des St. Helens oder der indonesischen Vulkane, kommt es zu plötzlichen Eruptionen, vor denen es oft kein Entrinnen gibt. Die katastrophalen Auswirkungen bleiben auch nicht immer auf die Region beschränkt.

So war es vor fast zwei Jahrhunderten, als der Vulkan Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawa östlich von Java ausbrach. Etwa ein Jahr später habe es auf der Nordhalbkugel eine Hungersnot gegeben, sagt Lühr. Die zig Kilometer hoch geschleuderten Massen an festem, flüssigem und gasförmigem Material führten mit dieser einjährigen Verzögerung zu einer Hungersnot. Zwar können Steine oder Asche nicht sehr weit fliegen. Auch die nebelartigen Aerosole, winzige Tröpfchenwolken, werden nach einiger Zeit wieder ausgewaschen, wenn sie unter der Wolkendecke geblieben sind. Der Teil der schwefelhaltigen Tröpfchen jedoch, der die Wolkenbarriere überwindet, hält sich lange in der Luft. Die Sonnenstrahlen kommen nicht mehr richtig hindurch, das Klima kühlt ab, die Katastrophe für die Landwirtschaft ist da.

Ließe sich die naturgemachte Klimakatastrophe auch heute wohl nicht ganz verhindern, so könnten Maßnahmen gegen die direkte Gefährdung durch glühende Lava oder heiße Gaswolken getroffen werden, wenn man den Zeitpunkt des Ausbruchs kennen würde. Doch das ist heute, trotz aller Forschung, immer noch nicht möglich. "Natürlich gibt es Anzeichen", erklärt der Potsdamer Vulkanforscher. Mögliche Indikatoren sind die Erschütterungen der Erde in der Vulkanregion. Meist handelt es sich dabei um Mikrobeben, die nur von den empfindlichen Messgeräten der Seismologen registriert werden. Aber auch ausgewachsene Erdbeben sind möglich. So haben die Menschen im Ätnagebiet in den letzten Tagen auch Erdbewegungen gespürt.

Erdbeben und Vulkanismus gehören zusammen, sagt Lühr. Beides habe seinen Ursprung in Verschiebungen der Erdkruste, die zustande kommen, wenn zwei Platten aufeinandertreffen. Eine taucht dabei unter die andere und schiebt so ein vulkanisch aktives Gebirge auf. Auf diese Weise ist das Vulkangebiet des Ätna entstanden, als die europäische und afrikanische Platte zusammenstießen. Vor der Südküste Kalabriens taucht die ozeanische Platte des Ionischen Meeres unter den europäischen Kontinent.

Die Vorgänge in diesem geologisch als komplex angesehenen Gebiet werden noch nicht genau verstanden. Im Bereich des Ätna treffen wahrscheinlich drei große Störungssysteme aufeinander. Dadurch kommt es im Mittelmeerraum zu einer Art Dehnungsbewegung, die es dem flüssigen Material (Magma) aus dem Erdinnern leicht macht, nach oben zu kommen. Beim Aufstieg des Magma wird schon ein Großteil der gelösten Gase abgegeben. Daher sind die Ausbrüche von Europas höchstem Vulkan eher moderat.

Zu dem vulkanisch aktiven Bereich im Mittelmeerraum gehören auch die äolische Insel Stromboli und der Vesuv bei Neapel, der im Jahre 79 nach Christus Pompeji unter Lava und Asche begrub. Die Bevölkerung hatte keine Chance zur Flucht, da damals heiße Gaswolken und glühende Materiallawinen in unvorstellbarer Geschwindigkeit auf die römische Stadt zurasten.

Heute wären die Bewohner eines modernen Pompeji vielleicht durch die Aufzeichnung der Mikrobeben gewarnt, sicher ist dies allerdings nicht. Denn nicht selten zeigen die empfindlichen seismologischen Geräte eine große Zahl winziger Erschütterungen an, ohne dass es zu einem Ausbruch kommt.

Am Merapi etwa werden Lühr zufolge bis zu zehn Mikrobeben pro Tag registriert, wenn der Berg "ruhig" ist. Steigert sich die vulkanische Aktivität, nimmt die Zahl auf hundert bis zweihundert zu. Auf dem Höhepunkt kann der Zeiger des Messgeräts bis zu 700mal ausschlagen. "Dann läuten die Alarmglocken", sagt der Spezialist, der seit 1995 "seinen" Vulkan beobachtet. Zum Ausbruch muss es allerdings nicht kommen, der Berg kann sich wieder beruhigen und seine Energie unter Tage halten.

Auch am Ätna häuften sich die Mikrobeben in den vergangenen Wochen. Und der 3350 Meter hohe Berg hielt sein Versprechen. Statt der weißen Dampfwolke, die den Gipfel ansonsten ziert, zeigt sich jetzt grauschwarzer Ascheregen. Rotglühende Lavafontänen steigen auf, im Abstand von wenigen Minuten bis Stunden knallen kleinere Explosionen, verursacht von in der Magmasäule aufsteigenden und zerplatzenden Gasblasen.

Paul Janositz

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