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Gesundheit: Aids überleben

Ein Lebensjahr gibt es für 300 Euro - eine Firma im Kongo stellt preiswerte Mittel gegen die Immunschwäche her

Von Hans Monath

Von einem Tag auf den anderen schien im Frühsommer alles vorbei zu sein. Als Rebellentruppen im Juni die Macht in der Stadt Bukavu im Ostkongo übernahmen, musste Horst Gebbers seinen Koffer packen und über die nahe Grenze ins Nachbarland Ruanda fliehen. Bedroht war nicht nur das Lebenswerk eines deutschen Pharmaproduzenten in Zentralafrika, sondern auch der bemerkenswerte Versuch, in einem der am schlimmsten von Aids heimgesuchten Länder der Erde eine regionale Produktion von Medikamenten gegen die hoch ansteckende Krankheit aufzubauen.

So preiswert sollten diese Medikamente sein, dass Patienten oder Hilfsorganisationen auch eine jahrelange Therapien finanzieren könnten. Denn anders als in reichen Gesellschaften bedeutet der hohe Preis patentgeschützter Originalpräparate für Aids-Erkrankte in Entwicklungsländern ein sicheres millionenfaches Todesurteil.

Glücklicherweise war der Putsch in der mehrere Flugstunden von der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa entfernten Region nach wenigen Tagen vorbei. Der UN-Befehlshaber in Bukavu, Jan Isberg, rechnet es sich noch heute als Verdienst an, dass die Truppen der Weltorganisation damals die Situation ohne Waffengebrauch bereinigen konnten. Und so konnte auch Horst Gebbers in seinen Betrieb am Ortsrand von Bukavu am Kivu-See zurückkehren. Die nur vorübergehend stillgelegte Produktion wurde wieder aufgenommen.

Als der gelernte Landwirt und ehemalige Entwicklungshelfer gemeinsam mit seinem französischen Partner Etienne Erny das Unternehmen Pharmakina 1999 übernahm, herrschte im Kongo seit einem Jahr Bürgerkrieg. Der Pharmakonzern Hoffmann-La Roche, der letzte Besitzer der Fabrik, die zu den weltgrößten Produzenten von Chinin gehört, hatte das Unternehmen wegen mangelnder Perspektiven aufgegeben. Für die Menschen im Kongo begann eine lange Leidensgeschichte: Die öffentliche Ordnung und damit das Gesundheitswesen brach zusammen, Millionen Menschen mussten fliehen, rund 3,5 Millionen starben bisher an den Folgen des Bürgerkriegs.

Gebbers und sein französischer Mitbesitzer aber bauten die Fabrik für Malariamittel den widrigen Umständen zum Trotz zum größten privaten Arbeitgeber der 700000-Einwohner-Stadt Bukavu aus. Wegen der labilen Lage weigerten sich etwa internationale Banken, den Managern Kredite zu geben.

Weil die Aids-Epidemie auch die Arbeitskräfte trifft und so die Wirtschaft Afrikas bedroht, kam Gebbers auf die Idee, für die eigenen Mitarbeiter Aids-Medikamente selbst herzustellen und unter einem Dach Diagnostik und ärztliche Behandlung anzubieten. Von seinen 1400 Angestellten sind allein 300 an Aids erkrankt.

Das deutsche Medikamentenhilfswerk „action medeor“ übernahm die Qualitätssicherung und sorgte mit Spendengeldern dafür, dass auch HIV-Infizierte behandelt werden, die nicht bei Pharmakina arbeiten. Auch die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit unterstützt das Projekt, das im Gegenzug sein Produkt zum Selbstkostenpreis zur Verfügung stellt. Ende Oktober besuchte Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) im Rahmen einer Kongo-Reise das Unternehmen. In dem von ihrem Haus geförderten Vorhaben sieht die Ministerin ein „Pilotprojekt für die pharmazeutische Industrie in Zentralafrika" – und ein gutes Beispiel für eine für beide Seiten lohnende Zusammenarbeit von Staat und Privatwirtschaft in der Entwicklungspolitik.

„Hauptziel ist, dass die arme Bevölkerung überhaupt Zugang zu den Medikamenten bekommt“, sagt die Leiterin des Aids-Projekts, Gebbers Schwiegertochter Anja. Pharmakina produziert ein von der Ärztin Krisana Kraisintu entwickeltes Präparat. Die thailändische Pharmazeutin und Aids-Expertin bemüht sich, antiretrovirale Generika (Nachahmerpräparate gegen Aids) auch in anderen afrikanischen Ländern mit hohen HIV-Raten preiswert zu produzieren.

Die Dreierkombination der etablierten Wirkstoffe Lamivudin, Stavudin und Nevirapin tauften die Unternehmer Afri-Vir. Die monatlichen Kosten einer modernen antiretroviralen Therapie (AVR) werden damit von rund 1000 Euro auf 25 Euro monatlich gesenkt. Anders ausgedrückt: Ein geschenktes Lebensjahr für einen Aidsinfizierten gibt es für nur noch 300 Euro.

Für die Menschen in dem Programm wird Aids somit von einem Todesurteil zu einer therapierbaren chronischen Krankheit. „Wer in Therapie ist, kann 15 Jahre länger leben“, sagt Anja Gebbers: „Wir richten uns gerade an die junge, erwerbstätige Generation.“ Aids-infizierte Teilnehmer des Programms können viele Jahre ohne Krankheitssymptome bleiben, weiterhin arbeiten und damit auch ihre Familie ernähren.

Zunächst rund 2000 Patienten sollen versorgt werden. Die Erfahrung lehrt, dass sich die Menschen in vielen Regionen Afrikas gar nicht testen lassen wollen, solange ihre Versorgung mit Anti-Aids-Medikamenten nicht vor Feststehen eines Laborergebnisses gesichert ist.

Gemeinsam mit Pharmakina will „action medeor“ nicht nur die Aids-Medikamente zur Verfügung stellen, sondern auch durch engmaschige Überwachung und mit Hilfe eines Diagnosezentrums den Therapieerfolg überwachen und sichern. Projektleiterin Anja Gebbers betont, dass Pharmakina im Einklang mit dem internationalen Patentschutzabkommen und dem kongolesischen Patentrecht produziert. „Wir können auch in Länder exportieren, in denen noch kein Patent angemeldet ist.“

Als im Sommer die Aufständischen die Macht in Bukavu übernahmen, war auch die damals schwangere Anja Gebbers über die Grenze nach Ruanda geflohen. Doch schon kurz nach der Geburt kehrte sie mit ihrem kleinen Sohn nach Bukavu zurück und demonstrierte damit ihre Zuversicht, dass die eigene Arbeit den Wiederaufbau einer zivilen Gesellschaft im Ostkongo beschleunigen wird.

„Der Frieden wird kommen, die Menschen der Region sind müde“, meint Horst Gebbers. Allerdings drohen der Stadt am Kivu-See neue Risiken: Der Präsident des Nachbarlandes Ruanda, Paul Kagame, hat militärische Schläge seiner Truppen im Ostkongo angekündigt. Ein ruandischer Einmarsch aber könnte den ohnehin fragilen Friedensprozess im Kongo schnell zum Scheitern bringen – und auch dem Aids-Modellprojekt in Bukavu neue Schwierigkeiten bereiten.

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