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Gesundheit: Akteure der Geschichte

Im Schulunterricht sollen Juden aus der Opferrolle befreit werden

Während des Mittelalters spielten Juden im deutschsprachigen Raum eine wichtige Rolle für die Vermittlung von Wissen – auf Grund ihrer überregionalen Kontakte in der Diaspora. Die Mehrheit der Juden lebte bis zur Emanzipation auf dem Lande und ernährte sich von Hausier- und Viehhandel sowie von Pfandleihe und Kleinkrediten. Moses Mendelssohn ist die führende Gestalt der jüdischen Aufklärung, die Teil der europäischen Aufklärung ist. Wer diese Fakten aus der deutsch-jüdischen Geschichte kennt, hat sie in der Regel nicht in der Schule gelernt. Juden werden im Geschichtsunterricht als Objekte und nicht als Akteure der Geschichte behandelt. Positive Momente der deutsch-jüdischen Geschichte sind bislang weitgehend ausgeblendet.

Wissenschaftler an Universitäten und Forschungsinstituten haben den Perspektivwechsel schon lange vollzogen. Und die Jüdischen Museen – allen voran das Haus in Berlin – betrachten „zwei Jahrtausende deutsch-jüdische Geschichte“, die auch nach dem Holocaust weitergeht. Deutsche Schulen sollen sich jetzt von ihrer Fixierung auf die Opfer des millionenfachen Mordes an den europäischen Juden lösen. Das Leo-Baeck-Institut für die Geschichte und Kultur der deutschsprachigen Juden (Jerusalem, London, New York) hat soeben eine Orientierungshilfe zur deutsch-jüdischen Geschichte im Schulunterricht veröffentlicht. Die 14-seitige Broschüre soll bei der Arbeit an Lehrplänen und Schulbüchern und in der Lehrerbildung helfen. Die Verfasser wollen bewirken, dass Juden künftig als „Subjekte, aktive Bürger und kreative Mitgestalter von Geschichte, Kultur und Wirtschaft in Mitteleuropa“ gesehen werden.

In der Broschüre werden für das Mittelalter, die frühe Neuzeit und den Absolutismus, die Aufklärung, das 19. Jahrhundert, den Ersten Weltkrieg, den Nationalsozialismus und die Zeit nach 1945 jeweils drei bis acht Thesen aufgestellt. Ein Beispiel zum 19. Jahrhundert: „Juden rücken im Kaiserreich in die Bildungselite auf und werden zu Schöpfern deutscher Kultur und Kunst, Literatur und Wissenschaft. Warf man ihnen zu Beginn des Jahrhunderts Unbildung vor, so jetzt die ,Unterwanderung’ der deutschen Kultur. Man sah sie als ,Fremde’, während sie sich als Deutsche verstanden.“

Die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Karin Wolff (CDU), empfiehlt die Broschüre „als eine Art Kerncurriculum“ für den Geschichtsunterricht. „Unsere Aufgabe ist es, jüdische Kultur in ihrer historischen und zeitgenössischen Dimension insgesamt wahrzunehmen“, sagte Wolff. Gleichzeitig bekennt sie sich dazu, dass „eine intensive Beschäftigung mit dem Antisemitismus und insbesondere mit der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik“ für deutsche Schulen weiterhin selbstverständlich sei. In Hessen, wo Wolff Kultusministerin ist, sollen die Thesen ab sofort in der Lehrplan- und Schulbucharbeit sowie in der Lehrerfortbildung eingesetzt werden.

Die knapp gefasste und klar formulierte Broschüre ist aber auch eine anregende Lektüre für engagierte Geschichtslehrer, die ihre nächste Unterrichtsstunde zum Mittelalter oder zur Weimarer Republik vorbereiten. Die Orientierungshilfe des Leo-Baeck-Instituts ist im Internet abrufbar – und endet mit einer überschaubaren Literaturliste zu den wichtigsten Werken über deutsch-jüdische Geschichte.

Die Broschüre im Internet:

www.juedischesmuseum/materialien/orientierungshilfe.html

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