zum Hauptinhalt

Gesundheit: Alle in einem Boot, kurz vor dem Wasserfall

Wichtiger als Klimawandel: Die Überbevölkerung zerstört den Planeten

Von Carsten Niemitz Jeder redet über den Klimawandel. Dabei ist der gar nicht das wahre Problem. Folgenschwerer und dringen der ist ein anderes, das noch viel konsequenter angegangen werden muss: Wir sind einfach zu viele Menschen. Jedes Jahr kommen nach Berechungen der UN fast 80 Millionen Menschen hinzu, und Familienplanung findet in vielen Ländern praktisch nicht statt. In etwa 50 Jahren werden wir danach die Zehn-Milliarden-Grenze überschritten haben.

Das sind 3,5 Milliarden Menschen mehr als heute oder 46 Mal so viele wie die derzeitige Bevölkerung Deutschlands. Woher soll man Luft, Nahrung und Trinkwasser für 46 Mal Deutschland zusätzlich nehmen, wenn laut UN-Berechnungen heute schon eine halbe Milliarde Menschen nur ungenügenden Zugang zu Trinkwasser hat?

Man kann leicht überschlägig berechnen, dass man für die hinzukommenden Menschen bei ähnlichem Flächenbedarf für Siedlungen, landwirtschaftliche und industrielle Produktion rund 15 Millionen Quadratkilometer zusätzlich veranschlagen muss; das ist netto die halbe Fläche Afrikas. Bei Einrechnung weiterer Faktoren bedeutet dies, dass man – einschließlich der Wälder und anderer notwendiger oder wenig bewohnbarer Gebiete wie Wüsten und Halbwüsten – knapp einen afrikanischen Kontinent an Bruttofläche zusätzlich benötigt.

Dennis Meadows, Autor des 1972 erschienenen Buches „Die Grenzen des Wachstums“, meint, dass die Menschheit etwa seit 1990 über Gebühr auf Kosten der Natur lebe. Ich schätze die langfristige ökologische Tragfähigkeit der Erde noch geringer ein. Die großen Naturräume der Erde haben seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts schneller Schaden genommen haben als ihre Selbstheilung dies ausgleichen konnte. Sie aber sind unsere Lebensbasis, und eine andere Entwicklung ist nicht in Sicht. Lediglich die Geschwindigkeit der Naturvernichtung hat zugenommen. Daher reicht es nicht, das Wachstum der Menschheit zu verlangsamen, sondern wir müssen weniger Menschen werden als wir jetzt sind.

Die Blindsein-Wollenden haben seit dem Bericht des „Club of Rome“ 1960 immer wieder nachgerechnet, ob einige der Vorhersagen vielleicht doch fehlerhaft waren. Diese Leute sitzen mit im Boot und treiben auf den Wasserfall zu. Man muss die Konsequenz aus der Erkenntnis ziehen, dass es auf ganz korrekte Zahlen in den Prognosen nicht (mehr) ankommt. Schon als wir fünfeinhalb Milliarden Menschen waren, wussten eigentlich alle Experten, dass wir für elf Milliarden Menschen nicht genügend Süßwasser, nicht genug gute Luft und nicht genügend Natur übrig behalten würden, um zu überleben. Wir dürfen nicht weiter warten, bis die regionalen Kriege um Öl und Wasser transkontinentale Dimensionen annehmen.

Hinsichtlich der Familienplanung dürfen wir aber auch nicht ratlos sein. Vermutlich handelt es sich um das sensibelste Thema der Politik der nächsten zwei Jahrzehnte. Es ist das privateste, das intimste, zugleich aber eben auch das wichtigste und das dringendste politische Thema. Alle mächtigen Staaten mischen sich mit 1000 weniger drängenden Themen überall in der Welt ein. Vor 20 Jahren hieß das Gebot: Schafft Bildung und bekämpft die Armut, denn nur so ist Familienpolitik aussichtsreich. Die Menschheit wächst aber schneller, als wir Wohlstand und Bildung für alle potenziellen Eltern schaffen.

Im Gegensatz zu anderen Problemen hat diesbezüglich bisher niemand ein schlüssiges Konzept vorgelegt. Wahrscheinlich haben wir diesen Kampf also bereits verloren. Haben wir nicht erlebt, dass Karlheinz Böhm in Äthiopien bisher Großartiges geleistet hat, dass aber gleichzeitig für viel mehr Kinder dort die Not heute größer ist als zuvor? Spenden sind gut, aber sie lösen das Problem nicht.

Familienpolitik darf nicht allein eine nationale Aufgabe bleiben; sie muss internationale Politik werden und zwar schnell. Wenn wir das nicht begreifen und politisch erfolgreich umsetzen, brauchen wir uns in zwei Jahrzehnten um nichts, wirklich um gar nichts mehr zu kümmern. Es gilt das Wort aus dem I Ging: Wer begriffen hat und nicht handelt, hat nicht begriffen. Verglichen damit ist der Klimawandel nicht schlimm …

Der Autor ist Anthropologe an der Freien Universität Berlin. Zuletzt erschien „Das Geheimnis des aufrechten Gangs“.

-

Zur Startseite