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Gesundheit: Als Napoleon die Quadriga stahl

Der Staatsbankrott von 1806 – und die große Reform

Preußen erlebte vor 200 Jahren eine militärische Niederlage ohnegleichen. König Friedrich Wilhelm III. hatte im Herbst 1806 bei Jena und Auerstedt den Krieg gegen Frankreich verloren. Während in Berlin „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht“ angeordnet wurde, floh der Landesherr an die preußisch-russische Grenze. „Unser Dämel ist in Memel“, spotteten die Berliner. Frankreichs Kaiser Napoleon I. zog im Oktober 1806 als Triumphator in Berlin ein und diktierte dem König bald darauf in Tilsit einen harten Frieden. Die französischen Truppen richteten sich in Berlin ein, ließen sich von der Bevölkerung aushalten und entführten Kunstgegenstände nach Paris – darunter auch die Quadriga vom Brandenburger Tor. Das Land stürzte in eine tiefe Krise, die Monarchie war in höchster Gefahr.

Wie in dieser schier aussichtslosen Situation ein „Ruck“ durch Preußen ging und Reformpolitiker versuchten, die Staatskrise zu überwinden, schildert die Ausstellung „Staatsbankrott! Bankrotter Staat?“, die das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in der Berliner Kunstbibliothek am Kulturforum zeigt.

„Die Reserven des Landes waren bereits durch vorausgegangene Kriege erschöpft“, schildert Archivarin Susanne Brockfeld die Ausgangslage. In der nunmehr um die Hälfte geschrumpften Monarchie brachen die Haupteinnahmequellen aus den königlichen Domänen beziehungsweise aus Steuern und Akzisen in sich zusammen. Außerdem bedienten sich die Besatzer zum großen Teil aus den ohnehin geringen Staatseinnahmen. In dieser Situation gelangten Reformer an die Schaltstellen der Macht. „Stein, Hardenberg, Humboldt und andere Visionäre konnten den zögerlichen König von der Notwendigkeit überzeugen, das Land an Haupt und Gliedern zu erneuern, und sie hatten Erfolg“, erklärt Brockfeld.

Die Ausstellung würdigt die wichtigsten Punkte der Stein-Hardenbergschen Reformen: Zentralisierung der Verwaltung, Bauernbefreiung, Gewerbefreiheit, Erneuerung des Militärapparates. „Ziel war das Aufbrechen der erstarrten ständischen Gesellschaft, die Steigerung des allgemeinen Wohlstands und damit letztlich auch die Verbesserung der Staatseinnahmen. Dazu bediente man sich auch ungewöhnlicher Mittel“, sagt Susanne Brockfeld und zeigt frühe Geldscheine, mit deren massenhafter Herausgabe sich die Regierung Luft zu verschaffen suchte. Als der König, von klugen Beratern gedrängt, 1813 in schwierigster Situation seine Untertanen direkt ansprach und sie zur tätigen Mithilfe bei der Befreiung von den Franzosen aufrief, war das Echo gewaltig. Unter dem Motto „Gold gab ich für Eisen“ opferten selbst die Ärmsten ihre letzten Groschen. Wie ein Gemälde in der Ausstellung zeigt, kam es vor, dass arme Mädchen ihre langen Haare als einzige Habe auf den Altar des Vaterlandes legten, damit daraus Perücken für bessere Stände gefertigt werden können. Die Einnahmen stammten auch aus zum Teil kuriosen Steuern – und flossen in die allgemeine Volksbewaffnung.

Dass die Reformen von 1806 auch einen wirtschaftspolitischen Hintergrund hatten, hat in den frühen 1930er Jahren der Historiker Eckart Kehr nachzuweisen versucht. Ihm setzt die Ausstellung im letzten Teil ein Denkmal. Nachdem 1933 die Nazis an die Macht kamen, wurde dem als „Salonbolschewist“ diffamierten Gelehrten der Auftrag entzogen, eine umfassende Quellenedition zur preußischen Finanzpolitik nach 1806 zu verfassen. Die Ausstellung und das Buch dazu (Verlag Duncker & Humblot) knüpfen bei Kehr an und führen die frühen Forschungen weiter.

Die Ausstellung in der Kunstbibliothek (Matthäikirchplatz 6, Mitte) läuft bis zum 28. Juni: Di. bis So. von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 22 Uhr – bei freiem Eintritt.

Helmut Caspar

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