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Gesundheit: Alzheimer: Einfühlung in die Traumwelt

Wenn die Dämmerung hereinbricht, wird Frau B. unruhig.

Wenn die Dämmerung hereinbricht, wird Frau B. unruhig. Fast jeden Abend fleht sie dann die Pflegerin an: "Ich muss doch nach Hause, zu meinen Kindern!" Frau B. ist 89 Jahre alt, die "Kinder" sind ebenfalls Senioren. Die alte Dame irrt also durch eine Traumwelt, die viele als Albtraum betrachten würden. Sie hat Alzheimer und lebt in einem Pflegeheim. In Gedanken jedoch ist sie Mitte 30 und Familienmutter. Wie soll die Altenpflegerin reagieren, wenn Frau B. wieder weg will, um schnell zu ihren Kindern zu kommen, wenn die Vergangenheit in ihrem Denken und Fühlen übermächtig wird?

Zeitgemäße gerontopsychiatrische Pflege verzichtet dann darauf, die Patientin auf die Realität hinzuweisen. Äußerungen wie "Ihre Kinder sind erwachsen" verstärken nur Unruhe und Irritation, berichtet Karla Krämer, Lehrerin für Pflegeberufe, in der Fachzeitschrift "Pflege aktuell". Bei solchen, vielerorts noch ungewohnten, Ansätzen der Pflege Demenzkranker wird deren innere Welt zum Ausgangspunkt.

Seit die Amerikanerin Naomi Feil ihre Methode der "Validation" 1988 erstmals in Europa vorstellte, fasziniert sie immer mehr Pflegende, aber auch Angehörige von Menschen mit unheilbarem Gedächtnisverlust. Der Berliner Psychologe Thomas Schelzky, der im Institut für angewandte Gerontologie Altenpfleger in der Methode ausbildet und derzeit auch Präsident der Europäischen Validations-Assoziation ist, übersetzt den Begriff mit "Geltenlassen": Es geht darum, die Kranken zu erreichen, indem man sie bei ihren Lebenserfahrungen und ihren früheren Interessen und Fähigkeiten "abholt" und versucht, sich mit Empathie in ihre innere Welt hineinzuversetzen. Nur so kann der Verarmung, die der Gedächtnisverlust bedeutet, ein innerer Reichtum entgegengesetzt werden.

Besonders wo ganze Stationsteams in Validation ausgebildet werden, wird von deutlich sichtbaren Erfolgen berichtet, erkennbar vor allem daran, dass Aggression und Apathie neuer Lebensfreude weichen. Für Schelzky kommt es nun darauf an, "die Erfolge auch wissenschaftlich zu untermauern".

Nachrichten über neue Ansätze in der Betreuung und Pflege sind unscheinbarer als solche über neue Medikamente, die Heilung versprechen. Dafür haben erstere den entschiedenen Vorteil, dass es sie schon heute gibt. Die Arzneimittel, die heute gegen Alzheimer eingesetzt werden, können den Verlauf allenfalls verlangsamen. Direkte medikamentöse Angriffsversuche auf bestimmte Zielproteine könnten eines Tages zwar zur Heilung der Krankheit führen, bei der Amyloidplaques in der Großhirnrinde gebildet werden. Sie befinden sich jedoch noch im Stadium der Grundlagenforschung.

Behandelnde Ärzte und Mitarbeiter der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft müssen nach jedem Bericht in den Medien wieder Erwartungen dämpfen. Trotzdem wurde für den "Memory Walk", der in Berlin anlässlich des heutigen Welt-Alzheimertags erstmals stattfindet, das optimistische Motto "Wir können viel tun!" gewählt.

Adelheid Müller-Lissner

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