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Gesundheit: Anders, nicht besser

Die Stiftung Warentest hat die Alternativmedizin bewertet. Das Ergebnis ist ernüchternd

Homöopathie: „wenig“ bis „nicht geeignet“. Bachblütentherapie: kein Wirksamkeitsnachweis. Sauerstoff-Mehrschritt- Therapie: Nutzen-Risiko-Abwägung negativ. Und so weiter und so fort.

Der neue Ratgeber der Stiftung Warentest zur Alternativmedizin fällt ebenso klare wie kritische Urteile. Mehr als 50 komplementäre Verfahren haben die Verbraucherschützer untersucht. Das Ergebnis ist ernüchternd. Für die meisten Methoden kann eine überzeugende Heilwirkung nicht nachgewiesen werden. Nur für ein Drittel der geprüften Anwendungsgebiete sind Verfahren der Alternativmedizin geeignet.

„Die Andere Medizin“ heißt der 333 Seiten starke und für happige 34 Euro erhältliche Ratgeber, dessen erste Version 1992 erschien. Das Buch ist nun völlig neu erarbeitet worden. Und das vor allem deshalb, weil die Alternativmedizin mittlerweile wesentlich besser erforscht ist. Das war vor 13 Jahren noch anders. Gutachter für die „Andere Medizin“ war Edzard Ernst, Lehrstuhlinhaber für Komplementärmedizin an der britischen Universität von Exeter und der wohl beste Kenner alternativer Heilverfahren.

Die Bewertung der Verfahren basiert auf wissenschaftlichen Studien. Denn entgegen anders lautender Behauptungen lässt sich auch die Wirksamkeit der Alternativmedizin überprüfen. Dem widersprechen auch die Argumente nicht, die bei der Vorstellung des Ratgebers am Mittwoch in Berlin genannt wurden: Kann etwas, das seit Jahrtausenden angewandt wird, wie ayurvedische Heilverfahren, zur Behandlung von Krankheiten und Störungen „wenig geeignet“ sein (so lautet das Urteil der Stiftung Warentest)? Hat nicht der Recht, der heilt?

Doch, durchaus. Aber anders, als man auf den ersten Blick denkt. Ein mächtiger, lange unterschätzter Effekt vieler Heilverfahren ist die Placebo-Wirkung. Wer an die Behandlung glaubt, dem hilft sie auch. Umso mehr, wenn sich der Kranke vom Behandler verstanden fühlt. Und noch mehr, wenn beide, Patient und Therapeut, an das Heilverfahren glauben. Deshalb muss sich in einer wissenschaftlichen Untersuchung die Heilmethode gegenüber einem Placebo, also einem Scheinmedikament oder einer Scheinbehandlung, als überlegen erweisen. Da hapert es bei vielen Alternativverfahren. Dennoch lässt sich mit dem Placebo-Effekt erklären, warum so viele Therapien seit Jahrtausenden so beliebt sind und wirken – zumindest ein bisschen.

Hinzu kommt, dass etliche Krankheiten schubweise auftreten (zum Beispiel allergische Leiden und viele Hautprobleme), von selbst verschwinden oder wie die meisten Infektionen von den Selbstheilungskräften des Körpers besiegt werden. Auch das schreiben Patienten oft therapeutischen Maßnahmen zu, obwohl ein ursächlicher Zusammenhang vielleicht gar nicht existiert. Häufig hilft der Körper sich selbst.

Alternativmedizin gilt als gut verträglich und arm an Nebenwirkungen. Das stimmt aber nur bedingt, wie der Ratgeber der Berliner Therapie-Tester zeigt. Was wirkt, hat Nebenwirkungen. Manchmal sogar nur Nebenwirkungen. Das gilt auch für die „sanfte“ Medizin. Viele Menschen, die skeptisch gegenüber der herkömmlichen Medizin sind, wenden sich also alternativen Verfahren zu, deren Wirksamkeit nicht belegt ist und deren Anwender mitunter nicht „selbstkritisch genug sind, die Grenzen ihrer Tätigkeit zu erkennen“, wie Stiftung Warentest schreibt. So führte eine zu rabiate Chirotherapie (im Volksmund „einrenken“ genannt) nach einer 2002 veröffentlichten Studie zu 36 Schlaganfällen.

Auch eine politische Forderung erheben die Gutachter. Das Sozialgesetzbuch privilegiert „besondere Therapierichtungen“ bei der Erstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung. Das gilt auch für jene Verfahren, deren geringe Wirksamkeit sich immer mehr herausschält. In Zeiten knapper Kassen gehöre dieses Privileg abgeschafft, sagte Hubertus Primus von der Stiftung Warentest.

Nach einer Allensbach-Umfrage von 2002 verwenden 72 Prozent der Westdeutschen Naturheilmittel. Andererseits gaben nur vier Prozent an, im Krankheitsfall ausschließlich solche Mittel zu verwenden. Den Streit zwischen wissenschaftlich begründeter und „anderer“ Medizin haben die Leute also längst undogmatisch entschieden. Sie benutzen komplementäre Verfahren nicht als Alternative, sondern als Ergänzung und hoffen auf einen Zusatznutzen.

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