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Gesundheit: Arabidopsis thaliana: Das entschlüsselte Unkraut

Bisher haben Wissenschaftler das Erbgut einer Hefe, eines Fadenwurms, einer Fruchtfliege, von über 30 Bakterien und auch (beinahe vollständig) das Genom eines Menschen entschlüsselt. Dieser Liste fügen sie nun die erste Pflanze hinzu: In der aktuellen Ausgabe von "Nature" (Band 408, Seite 796) verkünden Pflanzengenetiker verschiedener Nationen die komplette Sequenzierung der Erbsubstanz von Arabidopsis thaliana.

Bisher haben Wissenschaftler das Erbgut einer Hefe, eines Fadenwurms, einer Fruchtfliege, von über 30 Bakterien und auch (beinahe vollständig) das Genom eines Menschen entschlüsselt. Dieser Liste fügen sie nun die erste Pflanze hinzu: In der aktuellen Ausgabe von "Nature" (Band 408, Seite 796) verkünden Pflanzengenetiker verschiedener Nationen die komplette Sequenzierung der Erbsubstanz von Arabidopsis thaliana. Das kleine Wildkraut heißt zu Deutsch Ackerschmalwand. Es gehört zur Familie der Kreuzblütler und ist daher auch mit Raps verwandt.

Ein Unkraut als Meilenstein der Biologiegeschichte - eine scheinbar merkwürdige Wahl. Arabidopsis besticht jedoch durch eine Eigenschaft: Sie ist ein Modellorganismus. Von ihm haben die Genetiker gelernt, wie Weizen vor Krankheiten bewahrt werden kann, wie man Tomaten reifen lässt und Rapserträge verdoppelt. Jetzt halten die Forscher die vollständige Bauanleitung von Arabidopsis in den Händen und sind damit in der Lage, dieses Wissen auf viele andere Pflanzen zu übertragen.

Die Ackerschmalwand ist billig in der Handhabung, anspruchslos im Wachstum und einfach zu züchten. Ihr Lebenszyklus ist kurz, so dass Versuche, in denen mehrere Generationen beobachtet werden sollen, nur Wochen oder Monate und nicht Jahre dauern. Diese Eigenschaften verhalfen Arabidopsis thaliana in den 80er Jahren zu einer Karriere als populärster Modellpflanze.

Außerdem ist das Genom von Arabidopsis eines der kleinsten im Pflanzenreich. Es ist in fünf Chromosomen verpackt und enthält 119 Millionen Basenpaare - etwa ein Dreißigstel des menschlichen Genoms. Dennoch erwies sich die Sequenzierung des Erbguts als gewaltige Herausforderung. Ein Konsortium mehrerer Labore in Frankreich, Großbritannien, Deutschland, den USA und Japan benötigte fünf Jahre für diese Aufgabe.

Viele Abschnitte der Erbsubstanz liegen in mehrfachen Kopien vor. Die Anzahl dieser repetitiven Sequenzen ist unerwartet hoch. Nur etwa die Hälfte der Gene ist einzigartig - der Rest hat irgendwo mindestens einen Doppelgänger. Diese Beobachtung zeigt, dass Pflanzengenetik und Evolution komplexer sind, als Forscher bisher dachten.

Arabidopsis liefert nun eine Art genetischen Grundbauplan. Alle anderen Pflanzen stellen quasi Variationen und Ausschmückungen dieser Vorlage dar. Wenn Forscher herausfinden, wie ein bestimmtes Gen in dem unscheinbaren Wildkraut arbeitet, besteht die Möglichkeit, dass sie dieses Wissen auf andere Pflanzen übertragen können.

Beim Anbau von Raps besteht häufig das Problem, dass sich die Schoten zu früh öffnen und dadurch ein Großteil der Ernte verloren geht. Gene, die die Freisetzung der Arabidopsis-Samen kontrollieren, zeigten nun, wie das vorzeitige Zerplatzen der Rapsschoten zu verhindern wäre. Das könnte Landwirten Verluste von mehreren Millionen Mark im Jahr ersparen. Ebenso wurden Gene, die gentechnisch veränderte Tomaten so lange wachsen lassen, bis sie geerntet werden, zuerst in Arabidopsis entdeckt.

Aber das Genom der Ackerschmalwand ist nicht nur in der Landwirtschaft von Bedeutung. Biologen vermuten, dass Pflanzen und Tiere sich aus einem gemeinsamen Vorfahr entwickelten, einem einzelligen Organismus, der vor mehr als 1,6 Billionen Jahren lebte. Aus diesem zunächst im Wasser lebenden Einzeller gingen in Pflanzen- und Tierreich komplexe Organismen hervor, die schließlich auch das Land bevölkerten. Der Vergleich des Arabidopsis-Genoms mit denen von Tieren wird den Forschern helfen zu verstehen, wie sich diese beiden großartigen Sprünge in der Evolution vollzogen haben.

Einige Gene, die in der Erbsubstanz von Tieren auftreten, fehlen bei Pflanzen. Dazu zählen solche, die für die Bildung von Hormonrezeptoren ursächlich sind. In dem Wissenschaftler nun erforschen, wie der pflanzliche Stoffwechsel ohne diese Gene funktioniert, erhalten sie Aufschluss darüber, wie sich das Leben in verschiedenen Formen etablieren konnte.

Andere Gene von Arabidopsis sind denen von Tieren so ähnlich, dass sie Erklärungen dafür liefern könnten, welche Aufgaben entsprechende Basenabfolgen beim Menschen haben. Sie könnten bei der Bekämpfung von Erbkrankheiten wie Morbus Wilson helfen. Bei dieser Erkrankung reichert sich im Körper Kupfer an, das zu Gehirnschäden führen kann. Verursacht wird das Leiden durch eine Mutation in einem Gen, dessen Funktion bisher unbekannt ist. Das Genom der Ackerschmalwand enthält ein sehr ähnliches Gen, dessen Produkt an der Bildung von Hormonen beteiligt ist.

Es scheint der Biologiegeschichte angemessen, dass das neue Jahrhundert mit einem derartigen Durchbruch in der Pflanzengenetik beginnt. Denn die moderne Pflanzengenetik etablierte sich vor exakt 100 Jahren, als der holländische Botaniker Hugo de Vries die Gesetze der Vererbung wieder entdeckte, die ursprünglich von Gregor Mendel beschrieben worden waren. Im Jahre 1777 beschrieb der britische Botaniker und Apotheker William Curtis Arabidopsis noch als eine Pflanze, "ohne besondere Heilkräfte oder Nutzen". Jetzt kann das Wildkraut für sich beanspruchen, der bedeutsamste Organismus des Pflanzenreichs zu sein.

Christopher Surridge

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