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Gesundheit: Archäologie: Ein blutiges Ritual für den Gottkönig

Trauer herrscht im Land der Mochica. Einer ihrer mächtigsten Fürsten hat nach fast zwanzig Jahren Herrschaft sein Leben auf dieser Erde beendet.

Trauer herrscht im Land der Mochica. Einer ihrer mächtigsten Fürsten hat nach fast zwanzig Jahren Herrschaft sein Leben auf dieser Erde beendet. Ein farbenprächtiger Trauerzug von Hunderten seiner Untertanen bewegt sich in gemessenem Tempo zum Hauptheiligtum des Indiovolkes an der Nordwestküste Südamerikas. Die beiden ehrfurchtgebietenden Pyramiden aus rotbraun bemalten Lehmziegeln heben sich in der flirrenden Sonne deutlich von den grünen Feldern der Umgebung ab. Mit dem Zug schreiten auch drei junge Frauen, ein etwa zehnjähriger Knabe, ein gefesselter Sklave und ein kräftiger Krieger - entschlossen, ihrem Herrscher ins Jenseits zu folgen.

Priester machen den Frauen den Tod so leicht wie möglich. Als die Prozession die Grabkammer erreicht, verabreicht man ihnen einen Trank aus betäubenden Pflanzensäften - und lässt sie dann verbluten. Ihre leblosen Körper bringen Bedienstete auf die Spitze der etwa 60 Meter hohen Pyramide, wo die "heiligen Geier" schon ungeduldig warten. In wenigen Stunden "reinigen" sie die Körper bis auf die Knochen, die dann zum Herrscher ins Grab gelegt werden.

Dem Kind - wegen Unschuld bestimmt, den Herrscher im Jenseits zu verjüngen -, dem Sklaven, der ihm dienen, und dem Krieger, der ihn beschützen soll, macht man es nicht ganz so leicht: Sie werden mit einem kleinen Dolch erstochen. Ebenso wie die Lebensmittel, die Schmuckstücke aus Gold und Kupfer und die Keramiken werden auch die Leichen ins Fürstengrab gesenkt, das danach für immer verschlossen wird.

So rekonstruiert der peruanische Archäologe Walter Alva die 1700 Jahre zurückliegende Bestattung des Herrschers von Sipan im Norden Perus. Alva hat das Grab 1987 entdeckt. Nach der jahrelangen Rekonstruktion, auch mit Hilfe deutscher Spezialisten, sind nun die Ausgrabungsfunde in der Kunsthalle Bonn zu bewundern.

Die Kultur der Moche - nach einem der Flüsse im Norden Perus benannt - war zu ihrer Blütezeit um 300 nach Christus eine Konföderation aus kleinen voneinander unabhängigen Fürstentümern, sagt Manuela Fischer, Kustodin für amerikanische Archäologie am Ethnologischen Museum in Berlin-Dahlem. In fast jedem Flusstal der ansonsten wüstenartigen Küste im Norden Perus fand man die Überreste eines rituellen Zentrums, das auf ein eigenes Fürstentum hinweist.

Die Hochkultur bildete sich etwa 200 vor Christus heraus, 800 Jahre später ging sie wahrscheinlich wegen einer Klimakatastrophe zu Grunde. Am ehesten sei die Kultur wohl mit der der Maya in Mittelamerika zu vergleichen, sagt Angelica Francke, Projektleiterin der Bonner Ausstellung. "Allerdings erreichten die Maya erst acht Jahrhunderte später einen ähnlichen technischen Entwicklungsstand." Die Moche gelten als die technischen und künstlerischen Überflieger ihrer Epoche: Die Bewässerung mittels komplizierter Kanalsysteme, die Metallverarbeitung mit Hilfe elektrolytischer Verfahren und besonders die beispiellose Keramikkunst waren damals auf dem amerikanischen Kontinent einzigartig.

Auch den Vergleich mit den europäischen Hochkulturen ihrer Zeit hätten die Moche nicht zu scheuen brauchen. "Während die Römer stilisierte Porträts schufen, trugen die Keramikgesichter der Moche individualisierte Züge", sagt Francke. Die Mimik stellt sogar Trunkenheit, Ärger oder Lachen dar. Eine ungewöhnliche Kunstfertigkeit, urteilen Forscher heute. Aber nicht nur das: Die altamerikanischen Töpfer gaben selbst die Sexualität des Indiovolkes in sehr naturalistischen Darstellungen wieder.

Wie viele Untertanen von den Fürsten beherrscht wurden, bleibt rätselhaft. "Die Siedlungen waren aus sehr vergänglichen Materialien - Holz und Lehm - errichtet, die im Laufe der Jahrhunderte fast spurlos verschwunden sind", sagt Franke. Sicher ist nur, dass die Region dicht besiedelt war. Während die Hütten zerfielen, haben viele Zentralbauten in der Trockenheit - die in früheren Zeiten nur alle 80 Jahre von den Stürmen und Sintfluten des El Niño unterbrochen wurde - unter dem Schutz einer dicken Erdschicht die Jahrhunderte überdauert.

Das Grab des Fürsten von Sipan ist das am reichsten ausgestattete unter den bisher entdeckten Herrschergräbern. 1987 hätten Grabräuber diesen einzigartigen Fund fast zerstört - nur durch Zufall gelang es, ihnen das Handwerk zu legen und das Grab zu retten. Wie in keinem anderen Land Amerikas entwickelte sich in Peru die Grabräuberei zu einem regelrechten Wirtschaftszweig. Zwar gruben schon im 16. Jahrhundert die spanischen Konquistadoren nach Goldschätzen, doch erst im 20. Jahrhundert begannen die bettelarmen Indios damit, die Gräber ihrer Vorfahren systematisch zu plündern, um überleben zu können. Manche Gräberfelder ähnelten Kraterlandschaften auf dem Mond, ehe die Archäologen sie entdecken.

Doch diesmal hatten die Wissenschaftler mehr Glück. Schon knapp drei Wochen, nachdem Grabräuber die Pyramiden von Sipan, einem abgelegenen Dorf an der nördlichen Küste von Peru, im Februar 1987 "angeschnitten" hatten, griff die Polizei zu. Mitten in der Nacht holten die Beamten den für die Region zuständigen Archäologen Walter Alva aus dem Bett und fuhren mit ihm zum Fundort. Die Polizei stellte goldene Objekte und Keramiken sicher, die mancher Dörfler unter dem Bett in Pappkartons aufbewahrt hatte, um sie später zu verkaufen.

Die Furcht, dass das angebrochene, aber noch intakte Gräberfeld völlig verwüstet werden könnte, bewog denn auch die peruanische Regierung und Sponsoren dazu, das Geld für Alvas Ausgrabung locker zu machen. Nachdem die Pyramiden abgesperrt und Tag und Nacht von der Polizei bewacht worden waren, begann sein Team mit der wissenschaftlichen Untersuchung. Die Altertumsforscher fanden acht Gräber hochgestellter Persönlichkeiten des örtlichen Moche-Fürstentums, darunter die letzte Ruhestätte eines Herrschers, der etwa 300 nach Christus hier bestattet worden war.

Nach der Untersuchung der Grabbeigaben ist sich Alva sicher: dieser Herrscher war den Gottkönigen der Inka 1000 Jahre später gleich. Wie sie verfügte der "Señor von Sipan" über unbeschränkte religiöse und weltliche Macht. Die Beigaben sind entsprechend prächtig: Gold und Edelsteine von unermesslichem Wert. Noch wertvoller ist der Grabinhalt jedoch als Quelle für unser Wissen über die Moche, die keine Schrift hervorgebracht haben. Schnell machte das Wort vom Tutenchamun des Alten Amerika die Runde. Der Fund wird schon jetzt in Peru fast wie ein Nationalheiligtum verehrt. Die Leihgabe für die Ausstellung in Bonn ist ein Dank für die deutsche Hilfe bei der Rekontruktion der Objekte. Auf Beschluss der Regierung in Lima soll der Schatz danach für immer in Peru bleiben - in einem eigens dafür errichteten Museum.

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