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Arztpraxen: Warten am Wochenende

An Sonn- und Feiertagen öffnen nur wenige Arztpraxen. Rettungsstellen sind deshalb oft überlaufen. Doch die Politik will die Sonntagsarbeit nicht genehmigen - zum Schutz der Angestellten.

Es kann vorkommen, dass sonntags in der Flotowstraße in Steglitz bereits um 10 Uhr eine lange Schlange von Familien auf der Straße steht. Dann warten besorgte Eltern aus der ganzen Stadt darauf, dass das Medizinische Versorgungszentrum für akut kranke Kinder um 11 Uhr öffnet. Denn die Praxis macht auch dann auf, wenn die meisten anderen geschlossen haben: an Sonn- und Feiertagen. „Es werden immer mehr Patienten“, sagt Kinderarzt Peter Hauber besorgt, „bis zu 230 an einem Tag“. Drei Ärzte und sechs Krankenschwestern arbeiten dann unter Hochdruck.

Doch damit verhalten sich Hauber und seine Arztkollegen gesetzeswidrig: Das Verbot für Sonntagsarbeit gilt seit Mitte dieses Jahres auch explizit in medizinischen Praxen. Die drei Ärzte dürften zwar Patienten versorgen, doch ihre Angestellten müssten zu Hause bleiben. Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher hat den Ärzten neuerdings Bußgeldstrafen angedroht, wenn ihre Mitarbeiter an Sonntagen trotzdem arbeiten. Eine Praxis mit Angestellten offen zu halten, verstoße gegen das Verfassungsgebot der Sonntagsruhe, erklärt die Senatorin. Sie sei eben nicht nur für Gesundheit zuständig, sondern auch für Arbeitsschutz.

Patientenversorgung an Wochenenden und Feiertagen verursacht seit jeher nicht nur ein politischen Streit. Es ist auch ein Reizthema für viele Bürger. Notaufnahmen in den Krankenhäusern sind außerhalb der Werktage oftmals überlaufen. Der Grund: Patienten kommen nicht nur mit akuten Notfällen, sondern auch mit weniger dringenden Leiden, die sie an einem arbeitsfreien Tag kurieren lassen wollen. Viele schleppen sich bis ins Wochenende durch und gehen dann zum Arzt.

„Wenn die meisten Arztpraxen geschlossen haben, suchen viele Patienten die Rettungsstellen auf“, bestätigt Gerhard Schmidmaier, leitender Arzt in der Unfallchirurgie der Charité. Das sei problematisch, da es in den Kliniken an Personal mangele, um die „stetig steigend Zahl von Patienten in der Rettungsstelle“ zu bewältigen. „Viele dieser Patienten sind keine Notfallpatienten und könnten problemlos von niedergelassenen Kollegen behandelt werden“, so Schmidmaier. Häufig könnten sich die Mediziner dadurch nicht intensiv genug um die echten Notfallpatienten kümmern und es entstünden für viele Patienten unzumutbar lange Wartezeiten. Schmidmaier fordert von der Politik, Strukturen zu schaffen, die Kliniken und Rettungsstellen entlasten, „damit wir uns wieder verstärkt um Notfälle kümmern können“.

Notaufnahmen sollten sich auf die akuten Fälle konzentrieren können, sagt auch Rajan Somasundaram, Chefarzt in der Ambulanz des Campus Benjamin Franklin der Charité. Somasundaram findet es hilfreich, wenn Praxen sonntags öffnen, „das gibt uns mehr Zeit, uns um vordringliche Fälle zu kümmern“.

Die Marktlücke kennen Ärzte seit vielen Jahren, doch seit 2005 erhalten sie in Praxen keine Gebührenzuschläge für ihre Arbeit. Sie verdienen inzwischen sonntags nicht mehr als an anderen Tagen. Die Zahl der angebotenen Sprechstunden sank daher in den letzten Jahren. Anfang dieses Jahres hatten rund 600 Praxen laut Kassenärztlicher Vereinigung (KV) samstags geöffnet, rund 60 Ärzte und 18 Zahnärzte an Sonntagen.

Seit die Senatsverwaltung auf das Arbeitsverbot hingewiesen hat, ist die Zahl geschrumpft: Derzeit bieten offiziell nur noch 41 Ärzte Sonntagssprechstunden an, „die meisten davon in Schöneberg, Charlottenburg und Friedrichshain, wo anscheinend ein hoher Bedarf besteht“, sagt Burkhard Bratzke, Vorstandsmitglied der KV. Aus deren Sicht sei die medizinische Versorgung der Bürger „ein Grundbedürfnis wie Essen und Trinken“. Zudem sei der Zuschlag für die Erste-Hilfe-Behandlung in Notaufnahmen teurer als in der normalen Praxis. Die KV hatte im September deshalb im Gesundheitsausschuss vorgesprochen, um für das Recht auf Sonntagssprechzeiten zu plädieren. Schließlich könne ein Arzt nicht ohne Personal praktizieren, „das geht an der Wirklichkeit vorbei“, so Bratzke.

Die FDP-Fraktion, die sich im Abgeordnetenhaus traditionell für Mediziner starkmacht, hat im September diesbezüglich zwei Anträge eingereicht: Sie forderte den Senat auf, die Sonntagsarbeit in Arztpraxen zu genehmigen – der Gesundheitsausschuss lehnte bereits ab. Sie hat außerdem beantragt, dass die Verwaltung die Situation in Berliner Rettungsstellen untersucht und verbessert.

Regina Kneiding, stellvertretende Pressesprecherin von Senatorin Lompscher, gibt einen „Verbesserungsbedarf“ bei der Patientenversorgung in Rettungsstellen zu, „vor allem bei den langen Wartezeiten“. Der Senat werde das Thema in die Krankenhausplanung aufnehmen, mit der jedes Bundesland sicherstellen muss, dass eine flächendeckende Patientenversorgung gewährleistet wird. Zum Ende des Jahres soll die neue Planung vorliegen.

Doch sonntagsaktive Ärzte wie Peter Hauber können sich davon nicht viel erhoffen. Hauber muss eher damit rechnen, dass er sich eines Tages mit einem Bußgeldverfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit auseinandersetzen muss. Ob er und seine Kollegen ans Aufhören denken? Keineswegs. „Ich fühle mich so im Recht“, sagt der Kinderarzt, „wenn die Verwaltung kommt, will ich juristisch dagegen angehen“. Seine Mitarbeiter würden ihn dabei womöglich unterstützen: Sie hätten zwei Tage die Woche frei und kein Problem mit der Sonntagsarbeit. Peter Hauber ist sowieso überzeugt: „Wenn unsere 200 Patienten an Sonntagen zusätzlich ins Krankenhaus gehen, gäbe das einen Kollaps.“

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Ferda Ataman

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