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Gesundheit: Atomphysik: Auch Elementarteilchen lieben Abwechslung

Neutrinos sind flüchtige Partikel. Zu Abermilliarden treffen sie ständig auf der Erde ein, ohne nennenswerte Spuren zu hinterlassen.

Neutrinos sind flüchtige Partikel. Zu Abermilliarden treffen sie ständig auf der Erde ein, ohne nennenswerte Spuren zu hinterlassen. Viele von ihnen kommen aus dem Inneren der Sonne, wo sie bei Kernreaktionen entstehen. Forscher versuchen seit Jahrzehnten, Neutrinos einzufangen, um die Vorgänge im Zentrum der Sonne besser zu verstehen. Doch bei allen bisherigen Experimenten entging ihnen ein Gutteil der erwarteten Neutrinos.

Nach 30 Jahren Fahndungsarbeit haben Physiker aus Kanada, Großbritannien und den USA nun deutliche Hinweise auf die fehlenden Sonnenneutrinos erhalten. Die Partikel können auf ihrem Weg zwischen Sonne und Erde nach Ansicht der Forscher ihr Erscheinungsbild wechseln. Nur in einer Gestalt gaben sie sich bisher gut zu erkennen. Der Umwandlungsprozess von einer Neutrinoart in die andere bestätigt nach Ansicht der Theoretiker erneut, dass Neutrinos eine Masse haben. Ähnlich wie Lichtteilchen galten die Neutrinos bisher als masselos.

Neutrinos haben keine elektrische Ladung. Trotzdem ist eine der drei existierenden Neutrinoarten eng mit den Elektronen verwandt. Eine Quelle für diese Elektronen-Neutrinos ist die Sonne. Sie gewinnt ihre Energie aus der Verschmelzung von Wasserstoffkernen zu Helium. Bei jedem solchen Prozess entstehen zwei Elektronen-Neutrinos. Das klingt zunächst wenig. Doch mit ihrer großen Energie strahlt die Sonne auch eine Unmenge Neutrinos ab. Die vorausgesagte Anzahl der Neutrinos stimmte allerdings bislang nicht mit der auf der Erde gemessenen überein. Wissenschaftler stellten sich daher seit langem die Frage, ob die Theorie der Kernprozesse in der Sonne falsch sei oder die Vorstellung, die sie sich über Neutrinos machten.

Neutrinos können ungehindert die ganze Erde durchdringen. Sehr selten nur reagieren sie mit Materie. Die Forscher haben tief in der Erde, vor anderen Einflüssen geschützt, riesige Flüssigkeitstanks aufgestellt, um die flüchtigen Teilchen einzufangen. Im neuen Neutrino-Observatorium bei Sudbury in Kanada hinterlassen die Neutrinos nur zehnmal am Tag ihre Spuren. In den Tanks, 2000 Meter unter der Erdoberfläche, befinden sich 1000 Tonnen schweres Wasser. Dieses eignet sich zum Nachweis der Partikel sehr gut. Der in schwerem Wasser gebundene Wasserstoff hat - im Gegensatz zu herkömmlichem Wasser - außer einem Proton noch ein zusätzliches Neutron im Atomkern.

Neutrinos können auf drei verschiedene Arten mit dieser Flüssigkeit reagieren. In der ersten Reaktion zerschmettern alle ankommenden Neutrinosorten einen schweren Wasserstoffkern. Er zerfällt in ein Proton und in ein Neutron. Mit den bald anlaufenden Messungen wollen Forscher prüfen, ob Sonnenneutrinos auf dem Weg zur Erde ihr Erscheinungsbild ändern. Bisher müssen sich die Physiker mit zwei weniger aussagekräftigen Reaktionen begnügen: Einmal spalten ausschließlich Elektronen-Neutrinos einen schweren Kern. Dabei wird ein Elektron frei. Die andere Reaktion kann auch im normalen Wasser stattfinden. Sie diente schon im Neutrino-Detektor "Superkamiokande" in Japan zum Aufspüren der Neutrinos: Alle drei Neutrinosorten, aber vor allem Elektronen-Neutrinos, stoßen mit einem Elektron des Wassers zusammen und beschleunigen dieses.

Bei den letzten beiden Vorgängen entstehen rasende Elektronen, die ein charakteristisches Licht ausstrahlen. Mit Lichtdetektoren konnte das internationale Forscherteam in Sudbury diese Strahlung messen. Sie verglichen die beiden Reaktionsraten und ermittelten, dass sich viele Elektronen-Neutrinos auf ihrem Weg zur Sonne in andere Neutrino-Arten verwandelt haben mussten.

Eine derartige Verwandlungskunst schreiben die theoretischen Physiker jedoch nicht allen Partikeln zu. Damit etwa ein Elektron-Neutrino die Gestalt eines der beiden ihm verwandten Myon- oder Tau-Neutrinos annimmt, sollten die Neutrinos zumindest eine Masse besitzen. Das allerdings widerspräche der bisher anerkannten Standardtheorie der Elementarteilchen. Beobachtungen wie in Sudbury und auch in Japan zwingen Wissenschaftler nun dazu, diese Theorie zu erweitern.

Swantje Meier

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