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Gesundheit: Auf dem Highway zum Doktorhut

Mythos Amerika: Kommen die Studenten in den Vereinigten Staaten wirklich schneller zur Promotion als ihre deutschen Kommilitonen? – Ein Vergleich

Angeblich dackeln deutsche Doktoranden auf dem beschwerlichen Weg zum Gral der Erkenntnis steinige Feldwege entlang, während sich ihre amerikanischen Kollegen auf der Überholspur des Highways befinden. Sprinten Amerikaner wirklich durch ihre Dissertationen? Was ist tatsächlich anders?

Die Unterschiede beginnen gleich am Anfang. Die amerikanische Doktorandin, nennen wir sie Meadow, ist bereits vor ihrem Eintritt in das „Ph.D. Program“ – das Doktorandenprogramm – bei den Professoren ihres zukünftigen Instituts kein unbeschriebenes Blatt mehr. Bewerber werden auf „Herz und Nieren überprüft“, bevor eine Universität ihre Zulassung erteilt. Über Zulassungen entscheiden die Professoren gemeinsam. Bewerben können sich Bachelor- und Masterabsolventen. Der Weg zum „Doktor“ mit einem Bachelor dauert allerdings mindestens ein Jahr länger. Sorgfältig zusammengestellte Bewerbungsunterlagen sind das A und O. Dazu gehören Gutachten, das Studienvorhaben, Zeugnisse und die Ergebnisse des „Graduate Record Examination“ (GRE). In einem Rundumschlag misst das GRE mathematische, analytische und sprachliche Fähigkeiten aller Bewerber. Und selbst Meadow muss für das GRE büffeln, denn auch als Muttersprachlerin sind ihr Wörter wie „aplomb“ und „vituperate“ nicht unbedingt geläufig.

Die Besten werden umworben

Meadow will Professorin werden und ist damit kein Ausnahmefall. Anders als in Deutschland gilt der Doktor nicht als Eintrittskarte für bestimmte Karrieren in der Wirtschaft, sondern er ist schlicht die Voraussetzung für eine wissenschaftliche Laufbahn. Mit ihrer Zulassung geben Universitäten Meadow die Möglichkeit, den jeweiligen Campus noch vor Studienantritt zu besuchen, mit Professoren und Doktoranden zu sprechen und an Seminaren als Gasthörerin teilzunehmen. Meadow hilft der Besuch, sich bei mehreren Zulassungen für die richtige Universität zu entscheiden.

Diejenigen, die außerdem von mehr als einer Universität finanzielle Zusagen – sogenannte „fellowships“ – bekommen, können hoch pokern. Wie Wirtschaftsunternehmen sind auch amerikanische Universitäten bereit, ihr finanzielles Angebot zu verbessern, wenn sich dadurch ein hochqualifizierter Doktorand für sie entscheidet. In Deutschland stehen Doktoranden nicht im Wettbewerb um die Zulassung an einer Universität. Jeder Professor kann für sich entscheiden, ob er eine bestimmte Dissertation betreuen will. Hat die deutsche Doktorandin – nennen wir sie Erika – einen Betreuer für ihre Dissertation gefunden, kann sie sich direkt in die Arbeit stürzen. Dieser Enthusiasmus wird bei Meadow erst einmal für zwei Jahre gebremst. Denn bevor sie sich als „Ph.D. Student“ – „Doktorandenstudentin“ – nach zwei Jahren „Ph.D. Candidate“ – Kandidatin – nennt und der Dissertation widmet, drückt sie vorher wieder in Seminaren die „Schulbank“, legt Prüfungen ab und lässt sich ihr Dissertationsvorhaben von dem Dissertationskomitee, das sie selbst zusammengestellt hat, genehmigen.

Ist da nicht Erika mit ihrer Doktorarbeit in Deutschland schon fast fertig, wenn Meadow in den USA noch keine Zeile geschrieben hat? Eher unwahrscheinlich. Da Doktoranden in den USA ihre Forschungsschwerpunkte in die Prüfungen miteinbeziehen dürfen, gewinnt Meadow bereits mit den Seminaren einen guten Überblick über den relevanten Stoff. Dabei helfen ihr die Professoren und die höchstens 15 Kursteilnehmer. Wie viele ihrer Kommilitonen nutzt sie die Seminarhausarbeiten bereits für ihre Dissertation als Teilkapitel. Bei einer Vielfalt von Fachkonferenzen, wo sich Professoren, Master- und Ph.D.-Studierende das Rednerpult teilen, kann Meadow auch außerhalb ihrer Universität Kontakte aufbauen und früh Thesen ihrer zukünftigen Dissertation testen. Und die Phase als „Ph.D. Student“ gibt Meadow auch Gelegenheit, in Ruhe ihren Betreuer auszusuchen. Damit ist der Kontakt zur übrigen Fachwelt aber nicht beendet. Weiterhin stehen ihr bei anderen Professoren die Türen offen, insbesondere bei denjenigen, die wie ihr Betreuer ihrem Dissertationskomitee angehören. Die Beziehung zu ihren Professoren ist ungezwungen. „Sheri“, „Nancy“ und „John“ – Meadow redet sie alle mit Vornamen an. Einige von Meadows Kommilitonen haben jahrelang im Beruf gestanden, bevor sie sich dazu entschieden, als Doktoranden an die Universität zurückzukehren. Auch das wirkt einer starren Hierarchie zwischen Professoren und Doktoranden entgegen.

Wer bummelt, wird exmatrikuliert

Wer jetzt glaubt, amerikanische Professoren würden bei ihren „Zöglingen“ grenzenlose Sanftmut walten lassen, ist auf dem Holzweg. Es gibt Fristen. Ist die Regelstudienzeit überschritten und bereits einmal eine Verlängerung beantragt worden, droht Doktoranden bei erneuter Verzögerung die Exmatrikulation. Einmal im Jahr muss Meadow ihrem Institut schriftlich Rechenschaft über ihre Fortschritte abgeben. Dazu gehören auch Konferenzpapiere, Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und Lehrerfahrungen. Mit Hilfe dieser Unterlagen an das Institut entscheiden wieder die Professoren darüber, wen das Institut weiter finanziell fördert oder wer gemahnt werden muss.

Die amerikanischen Doktoranden nehmen ihr Promotionsstudium sehr ernst. „Twenty-four/ Seven“ zu arbeiten – vierundzwanzig Stunden an jedem der sieben Wochentage ist kaum eine Übertreibung. Sechs Stunden Schlaf, schwarze Ringe unter den Augen und keine Freizeit an den Wochenenden nehmen sie für Jahre auf sich, um ihren Fuß in die Tür der Wissenschaft zu bekommen.

Und Erika? Die Deutsche muss sich als Einzelkämpferin behaupten. Nur wenige deutsche Doktoranden sind durch Dozentenstellen oder Graduiertenstipendien finanziell abgesichert und in den Fachbereich ihrer Universität aktiv eingebunden. Den Übrigen fehlt der tägliche Kontakt zu anderen Doktoranden und Professoren.

Wie aber finanziert Meadow sich ihr Promotionsstudium? Nicht nur an Amerikas Eliteuniversitäten sind Studieren und Promovieren teuer. Dreitausend Dollar Studiengebühren pro Semester sind vergleichsweise preiswert. Wer sich nicht Schuldenberge aufbürgen lassen will, muss auf „fellowships“ setzen. Neben Museen, Stiftungen, Unternehmen und Organisationen bieten auch die Universitäten selbst finanzielle Unterstützung für Neuankömmlinge. In manchen Programmen erhalten sogar alle zugelassenen Doktoranden Vollstipendien. „Fellowships“ können mit der Auflage verbunden sein, als Dozent Erstsemester zu unterrichten. Nach amerikanischer Sichtweise ist die Lehrerfahrung für die zukünftigen Professoren bei dem späteren Einstieg in das Arbeitsleben ein Vorteil. Im Notfall kann Meadow sich als Doktorandin bei Banken Geld leihen. Für Amerikaner ist das eine Investition in die Zukunft.

Na, und wer ist nun eher fertig? Das ist ungewiss. Letztendlich ist auch in den USA der Weg zum „Doktor“ nicht asphaltiert. Aber anders als Erika und ungezählte deutsche Doktoranden schwebt Meadow nicht in Gefahr, als Schöngeist den akademischen Faden zu verlieren und schließlich aufgeben zu müssen. Amerikaner sind Pragmatiker. Und für Pragmatiker ist die Doktorarbeit nur ein Projekt, das in einer bestimmten Zeit zu bewältigen sein muss. Nicht mehr und nicht weniger.

Die Autorin ist Doktorandin in „American Studies“an der University of Maryland

Henrike Lehnguth

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