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Gesundheit: Auf der Suche nach der Aktualität von Adorno

Frankfurt am Main im Philosophie-Fieber

Adorno-Ausstellungen, Adorno-Biographien, Adorno-Lerntage, -Matineen und -Abende, ein Adorno-Platz in Frankfurt am Main und eine „Adorno-Stabsstelle“ bei der Oberbürgermeisterin selbst, dazu die Adorno-Wochen, ja Adorno-Monate in allen großen Feuilletons – es fällt nicht leicht, sich an einen vergleichbaren Wirbel um einen als so esoterisch geltenden Philosophen zu erinnern. Lebt denn aber Adornos Werk noch in den wissenschaftlichen Disziplinen, denen es einmal richtungsweisende Impulse gab, in Philosophie und Soziologie? Unter dem Titel „Dialektik der Freiheit“ versuchte eine vom Frankfurter Institut für Sozialforschung veranstaltete Konferenz, diese Frage zu klären.

Sie überhaupt stellen zu müssen, legt natürlich bereits eine skeptische Antwort nahe, und so sprach Axel Honneth, Direktor des Instituts, eingangs von der „dramatischen Abkehr von Adorno in den Einzelwissenschaften“. Die Vorträge und Diskussionen belegten denn auch, dass sich an das Werk des wohl schwärzesten Gesellschaftstheoretikers des 20. Jahrhunderts nur anschließen lässt, wenn man seine zentralen philosophischen Konstruktionen beherzt preisgibt.

Bereits der Eröffnungsvortrag von Jürgen Habermas machte dies deutlich. Er vollzog nach, wie Adorno das Kantische Problem ins Gesellschaftliche transformierte: Den Menschen als frei handelndes und zugleich in seiner Naturzugehörigkeit unter kausalen Naturgesetzen stehendes, also unfreies Wesen zu denken. Denn für Adorno stellte sich der berühmte Kantische Widerspruch nicht in der Konfrontation einer naturwissenschaftlichen Perspektive mit derjenigen, die ein verantwortlicher moralischer Akteur einnimmt. Nicht in einer leibhaft verkörperten, der Natur entwachsenen Vernunft sah Adorno das Problem, sondern in einer Gesellschaft, die in der Zwanghaftigkeit ihrer kapitalistischen Verwertungslogik dem Individuum wie eine zweite Natur begegnet, deren Kausalgesetzen es unterworfen ist. Für Adorno prägte die gleiche instrumentelle, verdinglichende Vernunft das naturwissenschaftliche Verständnis von Natur wie auch die reale, totalisierende, unfreie Gesellschaft. Damit bot sich die Perspektive, durch ein „Eingedenken der Natur im Subjekt“ gewissermaßen an beiden Fronten zugleich auf die falschen, vom Menschen gemachten Zwänge aufmerksam zu werden.

So wenig sich Habermas die Vorstellung von Gesellschaft als einer zweiten Natur zu eigen machen wollte, so wenig wollte er Adorno als philosophischen Lehrer fallenlassen. Denn dessen Beharren auf eine leibhaft verkörperte, im Rahmen einer je eigenen Lebensgeschichte sich im „Raum der Gründe“ verantwortende Subjektivität verweise auf eine Perspektive der Freiheit, die sich grundsätzlich nicht durch eine naturwissenschaftliche Beschreibung ersetzen lasse, wie dies nun etwa die Hirnforschung versucht.

So war es vor allem der noch den geringsten Regungen und Verwerfungen der Subjektivität nachspürende „Mikrosoziologe“ Adorno, an dem das Lebendige, das Produktive aufgesucht wurde. Sighard Neckel (Gießen) machte sich an eine Gegenwartsanalyse in Adornoschem Geiste und rückte die Paradoxie in den Blick, dass kritische Analysen unter der Hand zu Selbststeuerungsmechanismen der Individuen geraten: Adornos negative Gesellschaftstheorie als Ratgeber im praktischen kapitalistischen Überlebenskampf. Ein Typus des „reflexiven Mitspielers“ sei entstanden, der noch sein Unangepasstsein und das Einzigartige seiner Persönlichkeit als Input für die Selbstvermarktung nutze und damit letztlich für eine „Selbstbehauptung ohne Selbst“.

Der Geist leidet

Doch fanden etliche Vorträge auch ein Widerstandspotential in Adornos Werk, an das eine kritische Gegenwartsanalyse anschliessen könne. Raymond Geuss (Cambridge) zeichnete die Züge einer „Erkenntnistheorie geistiger Erfahrung“ nach, die in einer „Philosophie des leidenden Geistes“ wurzele. Der Philosoph machte geltend, dass das Leiden an der falschen Vergesellschaftung nicht blind bleiben müsse, sondern zu Erkenntnis werden könne. Geuss sah in der Kategorie des Leids eine Parallele zum zeitgenössischen Liberalismus mit seiner problematischen „Politik des Leids“, wie sie sich etwa in der Begründung humanitärer Interventionen offenbare.

Auch Axel Honneth beharrte darauf, dass Adorno die Möglichkeit niemals verloren gegeben habe, die Menschen könnten ihre Verdinglichung erfahren. Darin liege die Bedeutung der Kindheit bei Adorno: Die Ausbildung des „mimetischen Vermögens“, mit affektiver Zuwendung des Nachgeahmten verbunden, sei der Grund, warum Menschen letztlich keine Einschränkung ihrer Vernunft erfahren können, ohne darunter zu leiden.

So spürte die Tagung gerade den nicht-wissenschaftlichen Impulsen nach, die von Adorno für eine schonungs-, aber nicht hoffnungslose Gegenwartsanalyse ausgehen könnten. Es entstand der Eindruck, dass die Philosophen und Soziologen an einem Werk litten, dessen theoretische Konstruktionen sie längst abgerissen haben, in dem aber immer noch ein Stachel sitzt und schmerzt.

Michael Adrian

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