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Gesundheit: Auf Herz und Nieren

Ein Medikament, das zu großen Blutverlust bei Operationen verhindern soll, steht im Verdacht schwerer Nebenwirkungen

Ein Medikament, das in aller Welt seit Jahren nach Herzoperationen häufig eingesetzt wird, um Blutverluste zu verringern, erhöht möglicherweise das Risiko für Nierenversagen, Herzgefäßprobleme und Schlaganfälle.

Dieses Ergebnis einer internationalen Beobachtungsstudie zu der Substanz Aprotinin wurde Ende letzter Woche im New England Journal of Medicine (Band 354, Seite 413 bis 415) veröffentlicht. Das Bayer-Medikament mit dem Markennamen Trasylol wird seit Anfang der 90er Jahre nach Bypass-Operationen und anderen Eingriffen am Herzen mit dem Ziel verwendet, Bluttransfusionen unnötig zu machen.

Doch der Einsatz des Mittels wurde zugleich immer von grundsätzlichen Bedenken begleitet. Die Forscher der unabhängigen „Ischemia Research and Education Foundation“ um den kalifornischen Mediziner Dennis Mangano, die das etablierte Medikament jetzt nochmals einer kritischen Prüfung unterzogen, sprechen sogar von einer Behandlung, die vielen Ärzten als „kontra-intuitiv“ eigentlich gegen den Strich gehe.

Denn Aprotinin wirkt gegen Blutungen, indem es dessen Gerinnung fördert. Weil die Bildung von Gerinnseln die Gefahr eines Herzinfarkts erhöhen, ist die Behandlungsstrategie aber normalerweise umgekehrt: Es werden bei Arteriosklerose grundsätzlich eher Mittel eingesetzt, die das Blut in Fluss halten. Die Verhinderung von Blutungen während einer Operation, so die Befürchtung, könnte mit einem erhöhten Risiko für Gefäßverstopfung teuer erkauft werden.

Die Beobachtungsstudie, die den Bedenken jetzt Nahrung gibt, basiert auf den Daten von 4374 Patienten aus den USA, verschiedenen europäischen Ländern, Kanada, Kolumbien, Mexiko, Israel und Thailand. Auch acht deutsche Zentren waren beteiligt.

Außer Aprotinin wurden die konkurrierenden, wesentlich billigeren Wirkstoffe Aminocapronsäure und Tranexamsäure getestet. Ein Drittel der Operierten erhielt gar keines der gerinnungsfördernden Mittel. Das Ergebnis: Nur bei den mit Aprotinin behandelten Patienten zeigte sich eine statistisch aussagekräftige Erhöhung der Fälle von Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzschwäche, Schäden des Gehirns und Nierenversagen, dem nur mit Dialyse zu begegnen war. In jedem Jahr könnten den Autoren der Studie zufolge etwa 10 000 Fälle von Nierenversagen vermieden werden, wenn das Mittel nicht mehr verwendet würde.

Weltweit bekommen jährlich etwa eine Million Menschen einen Bypass gelegt, mit dem krankhaft veränderte Abschnitte eines Herzkranzgefäßes überbrückt werden. Zwei Drittel bis drei Viertel der Patienten bekämen danach heute Trasylol, sagte Studienleiter Mangano der New York Times.

Wie das Deutsche Ärzteblatt jetzt berichtet, plant die Herstellerfirma Bayer eine Ausweitung des Einsatzes von Trasylol. Auf der Basis einer kürzlich begonnenen Studie soll auch die Zulassung des Mittels zur Blutstillung nach dem Einsatz künstlicher Hüftgelenke beantragt werden. Die Ergebnisse der neuen Untersuchung haben Gewicht, weil sie sich auf eine hohe Fallzahl stützen können.

Hier zeige sich, wie wichtig es sei, auch nach der Zulassung von Medikamenten deren Sicherheit weiter intensiv zu untersuchen, schreibt der Harvard-Mediziner Gus Vlahakes in einem Kommentar zur Studie.

Diese Untersuchung unter Alltagsbedingungen hat andererseits aber einen entscheidenden methodischen Mangel: Die Operierten wurden den verschiedenen Gruppen nicht nach dem Zufallsprinzip zugeteilt. Stattdessen entschieden die behandelnden Ärzte, ob und welches Mittel zur Blutstillung zum Einsatz kommen sollte.

Es ist deshalb durchaus möglich, dass schwerer kranke Patienten häufiger Aprotinin bekamen, das Blutungen wirkungsvoll stillt. Der Grund für das erhöhte Risiko wäre dann zumindest teilweise in deren höherer Anfälligkeit für Folgeerkrankungen zu suchen.

Während die Herstellerfirma Trasylol weiter für sicher hält, sehen Kritiker Parallelen zu dem wegen schwerer Nebenwirkungen vom Markt genommenen Schmerzmittel Vioxx.

Der Anästhesist Siegfried Piepenbrock von der Medizinischen Hochschule Hannover wünscht sich Studien, in denen genaue Informationen über die Blutgerinnung der Patienten im Zeitraum rund um den Eingriff herum erhoben werden. „Bei Nierenleiden und bestimmten Erkrankungen der Gefäße geben wir Trasylol schon heute nicht.“

Adelheid Müller-Lissner

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