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Gesundheit: Auge im All

Wieder eine neue Brille, ein noch besseres Teleskop. Und abermals sieht die Welt ein wenig anders aus.

Wieder eine neue Brille, ein noch besseres Teleskop. Und abermals sieht die Welt ein wenig anders aus. Der Saturn zum Beispiel zeigt sich umgeben von einer beträchtlichen Kinderschar: Zwölf neue Saturnmonde haben Astronomen kürzlich ausfindig gemacht.

Doch kann man diese nur wenige Kilometer großen Brocken wirklich als Monde bezeichnen? Oder handelt es sich um einst auf völlig anderen Bahnen fliegendes Gestein, um Asteroiden, die erst spät und möglicherweise nur vorübergehend in den Wirkungskreis des Saturn geraten sind?

Unsere Vorstellung von der himmlischen Ordnung gerät mehr und mehr durcheinander. Eine strenge Einteilung der Himmelskörper in Asteroiden und Monde, in Planeten und Sterne taugt in der modernen Forschung kaum mehr. Ist der kürzlich neu vermessene Himmelskörper Varuna nicht ebenso würdig oder unwürdig Planet genannt zu werden wie der Winzling Pluto? Sind "Braune Zwerge" riesige Planeten oder verhinderte Sterne?

Einsame Himmelskörper

Je näher wir hinschauen, umso mehr verschwimmen die einst gezogenen Grenzen. Kürzlich haben Forscher aus Baltimore im US-Bundesstaat Maryland weitere Indizien dafür gefunden, dass Planeten nicht immer Begleiter einer Sonne sind. Hier und da irren Himmelskörper von der Größe des Jupiter mutterseelenallein durchs All.

Unsere Begriffe werden der neu entdeckten Vielfalt und Dynamik im Kosmos nicht mehr gerecht. Sie behindern mitunter bereits das Verständnis. Aber nicht nur dies hat das Sprechen über das Weltall erschwert. Die astronomischen Objekte selbst entziehen sich unseren Sinnen mehr und mehr.

Technische Instrumente registrieren heute die Vorgänge im All. Sie fangen die Strahlung von Himmelskörpern ein, die unser Auge auf keine Weise mehr wahrnehmen kann. Die Teleskope haben sich zu vielschichtigen Vermittlern zwischen uns und einem sich immer weiter entfernenden Universum entwickelt.

Der Aufbruch war viel versprechend. Er begann Anfang des 17. Jahrhunderts mit einer Kuriosität aus Holland: dem Fernrohr. Galileo Galilei erkannte schnell den militärischen Nutzen dieses Instruments, etwa um nahende Kriegsschiffe schon aus großer Entfernung gewahren zu können. Er schliff Vergrößerungslinsen und verbesserte das Gerät.

Die von da an unablässigen Himmelsbeobachtungen führten Galilei schnell zu dem Schluss, dass die Erde nicht den Mittelpunkt der Welt bildete. Sie kreiste gemeinsam mit den anderen Planeten um die Sonne. Galileis Entdeckungen haben dem Menschen in aller Deutlichkeit vor Augen geführt, dass er seinen Sinnen nicht trauen kann.

Schon ein paar Linsen reichten von nun an aus zu erkennen, was sonst verborgen blieb. In der Folgezeit stützten sich die Astronomen zunehmend auf neue Apparate. Der in New York lebende Wissenschaftsjournalist Richard Panek beschreibt die Weiterentwicklung des Fernrohrs in seinem soeben erschienenen Buch "Das Auge Gottes". (Klett-Cotta, 197 Seiten, 31 Mark 50).

Panek lässt in seinem Werk Astronomen wie Friedrich William Herschel oder George Ellery Hale lebendig werden, die von der Idee besessen waren, immer größere und genauere Linsensysteme und Spiegel herzustellen, um weit hinter die Grenzen der bis dato vertrauten Welt vorzustoßen.

Unsichtbares wird sichtbar

Inzwischen sind die Teleskope vollendete Sehmaschinen. Sie besitzen eine eigene Netzhaut. Als derart künstliche Augen haben sie gegenüber dem menschlichen Auge entscheidende Vorteile. Die Rezeptoren unserer Netzhaut erlauben zum Beispiel nur Momentaufnahmen. Sie können das Licht nicht über Minuten oder Tage sammeln. Das gelingt erst mit Hilfe fotografischer Platten, Filme oder lichtempfindlicher Halbleiterdetektoren.

Vor wenigen Jahren haben Astronomen das Weltraumteleskop "Hubble" zehn Tage lang auf ein winziges Fleckchen im Universum gerichtet. Nichts war dort zu sehen. Ein dunkles Loch zwischen den Sternen, so groß wie ein Sandkorn, das zwischen zwei Fingern am ausgetreckten Arm gehalten wird. Aber gerade deshalb schwenkten die Forscher den 2,40 Meter durchmessenden Spiegel genau dorthin.

Als die Forscher das Foto schließlich im Januar 1996 veröffentlichten, konnten sie darauf mindestens 2000 Galaxien ausmachen. Wenn schon dieses Sandkorn so viele Galaxien enthält, dann müssen es im gesamten Universum etwa 100 Milliarden Galaxien sein. Galaxien wie unsere Milchstraße, die selbst wiederum aus Abermilliarden Sternen besteht - die Sonne ist einer davon.

Einige der Galaxien in dem Sandkorn müssen so weit entfernt sein, dass das Licht zehn Milliarden Jahre unterwegs gewesen war, ehe der Spiegel des Hubble-Teleskops es einfing. Wir schauen zehn Milliarden Jahre zurück und erkennen lediglich, dass es damals schon etwas gab, was den heutigen Galaxien ähnlich war.

Immerhin sind Forscher dabei, Neues über die fernen Objekte herauszukriegen. Eigens dafür gebaute Detektoren können nicht nur das sichtbare Licht, sondern beinahe jede nur denkbare Art der Strahlung registrieren, die die fernen Galaxien möglicherweise aussenden. Dieses Band erstreckt sich über das Ultraviolett- bis hin zum Röntgenlicht und zur Gammastrahlung, vom Infrarotlicht bis zu den Radiowellen.

Die Astronomen fangen die Strahlung mit ihren Messgeräten ein und verfolgen, ob und wie diese reagieren. Daraus ziehen sie Rückschlüsse auf die Temperatur oder die Masse der Objekte, die sie wiederum aus dem ableiten, was sie bereits kennen. So charakterisieren sie jede Galaxie, jeden erkennbaren Stern mit einer Handvoll Daten und klassifizieren sie mit Hilfe mathematischer Formeln.

Heute brauchen wir nicht einmal mehr darauf zu warten, dass am Himmel etwas passiert. Denn das Einzelereignis ist zum Teil einer weiträumigen statistischen Analyse geworden. Astronomen suchen zum Beispiel nicht mehr nach einem Planeten, der einen fernen Stern umkreist. Sie nehmen bei dieser Suche gleich ein ganzes Himmelsareal ins Visier. Mit einer solchen statistischen Methode ("Microlensing") haben Astronomen unlängst sechs extrasolare Planeten aufgespürt.

Moderne Teleskope rasen heutzutage fast völlig automatisiert durchs All. Zum Beispiel der Satellit Hipparcos, der seinen mathematischen Auftrag geradezu prozessorartig erfüllt hat. Mit seiner Hilfe haben Forscher in den Jahren zwischen 1989 und 1997 einen Atlas der Milchstraße mit den genauen Positionen von mehr als einer Million Sternen erstellt. Das digitale Werk ist dreimal so umfangreich wie jedes vorhergegangene.

Noch größer ist die Zahl der Fragen, die Hipparcos oder die aktuellen Messungen im "Sloan Digital Sky Survey" aufwerfen, einer noch umfangreicheren Himmelsdurchmusterung. Sie wird von Forschern bereits als "kosmisches Genomprojekt" bezeichnet und soll im Jahre 2005 abgeschlossen sein.

Ausschau nach Antimaterie

Die technische Verbesserung der Teleskope schreitet derweil weiter voran, schneller noch als die der Genomentzifferungs-Automaten. Und sie nehmen immer ausgefallenere Formen an: Die neuesten Linsen und Spiegel sind nicht mehr aus Glas oder Silber. Es sind unterirdische Tanks riesigen Ausmaßes oder kilometerlange Vakuumröhren.

Damit wollen Wissenschaftler zum Beispiel Gravitationswellen einfangen, unvorstellbar winzige Kräuselungen des Raumes, des Mediums selbst, in dem wir leben. Andere Teleskope halten nach Antimaterie Ausschau. Sie führen uns die Grenzen unseres Vorstellungsvermögens noch deutlicher vor Augen. Was bleibt, ist ein seltsames Paradoxon: Wir zoomen das All zunehmend mit Hilfe der Technik heran - und es entschwindet dabei in immer fernere Tiefen.

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