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Gesundheit: Außen hart, innen ganz weich

Die letzten deutschen Schildkröten sind vom Aussterben bedroht – doch Rettung naht

Dass es bei uns einheimische Schildkröten gibt, wissen die wenigsten. Kein Wunder, denn der deutsche Bestand der Europäischen Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) ist im letzten Jahrhundert auf unter 100 Exemplare geschrumpft, die allesamt in Brandenburg zu Hause sind.

Vor allem die Trockenlegung von Gewässern und Sümpfen wurde den Tieren zum Verhängnis. Sie galten bereits als ausgestorben, bis Naturschützer Anfang der 1990er Jahre einige Exemplare in der Uckermark und im Havelland entdeckten. „Dieser natürliche Reliktbestand besteht aus sehr alten Tieren, die sich seit Jahrzehnten nicht mehr fortgepflanzt haben“, sagt Norbert Schneeweiß, 44, Leiter der Naturschutzstation Rhinluch, nordwestlich von Berlin.

Emys orbicularis ist die einzige europäische Sumpfschildkrötenart. In Südeuropa kommt sie noch häufig in der Natur vor. „Die bei uns lebenden Tiere gehören jedoch zu einem genetischen Typ, der vom Aussterben bedroht ist“, sagt Schneeweiß. Die Schildkröten aus Brandenburg haben sich an die kalte Witterung und den kurzen Sommer angepasst. Sie legen ihre Eier tiefer im Boden ab als ihre südlichen Verwandten. Außerdem sind ihre Gelege größer und der Eiablagezeitpunkt ist auf unsere Klimaverhältnisse abgestimmt. Deshalb ist es gefährlich, wenn Hobbyzüchter Schildkröten der südeuropäischen Formen heranziehen und aussetzen. „Wenn sich die Schildkröten aus Südeuropa mit den einheimischen paaren, sind die Nachkommen nicht optimal an den hiesigen Lebensraum angepasst“, sagt Schneeweiß. Die nächste Generation würde zum Beispiel ihre Eier nicht tief genug im Boden vergraben, sodass die in der Nesthöhle überwinternden Jungtiere erfrieren.

Seit zehn Jahren leitet Schneeweiß ein Schutzprojekt für die Panzertiere, das Geld dafür stammt aus Stiftungen, aus dem Naturschutzfonds und vom Landesumweltamt Brandenburg. „Durch die zunehmende Austrocknung der Sumpfgebiete und die intensive land- und forstwirtschaftliche Nutzung hat sich der Lebensraum der Schildkröten dramatisch verändert“, sagt Schneeweiß. Häufig legen die Weibchen ihre Eier auf Äckern oder Feldwegen ab, wo das Gelege überfahren wird. Andere Ablageplätze werden von Räubern entdeckt, und selbst wenn einige Nachkommen schlüpfen, fallen die meisten davon Störchen, Mardern oder Wildschweinen zum Opfer. „Außerdem ist die Population so klein, dass einige Weibchen kein Männchen finden und unbefruchtete Eier legen.“

Deshalb haben die Naturschützer vor zehn Jahren begonnen, die alten Weibchen mit Sendern auszustatten. So werden sie bis zur Eiablage verfolgt, gefährdete Gelege werden eingesammelt und nach Rhinluch gebracht. Dort werden die Eier künstlich ausgebrütet. Drei Jahre lang müssen die Jungtiere nach dem Schlüpfen aufgepäppelt werden – erst dann sind sie groß genug, um in freier Wildbahn überleben zu können.

Im letzten Frühjahr wurden 32 Jungtiere in der Uckermark ausgewildert. „Wie viele der ausgesetzten Tiere überlebt haben, lässt sich schwer sagen. Als die Kleinen in die Freiheit entlassen wurden, waren ihre Panzer mit einem Durchmesser von sechs bis acht Zentimetern gerade einmal so groß wie eine Oblate – zu klein, um einen Sender auf dem Rücken tragen zu können. „Wenn wir eines der Jungtiere wieder finden, können wir es anhand von individuellen Mustern an den Kopfseiten und den Beinen identifizieren“, sagt Schneeweiß. Die Panzermusterung verändert sich während des Wachstums, die Färbung dunkelt nach – deshalb ist der Panzer kein geeignetes Merkmal zur Identifizierung. Oft vergehen Jahre, bis die Naturforscher eines der ausgesetzten Tiere wieder finden. „Aus Erfahrung können wir sagen, dass etwa 30 Prozent der Tiere die ersten Jahre in der Freiheit überstehen.“ Klingt wenig, aber man muss davon ausgehen, dass früher unter natürlichen Bedingungen nur unter zehn Prozent der Schlüpflinge durchkamen.

Die Überlebenschancen der ausgewilderten Schildkröten steigen mit jedem Lebensjahr. Die Jungen haben noch einen weichen Panzer und stellen für viele Tiere eine Delikatesse dar, selbst kleine Wasserspitzmäuse können sie fressen. Erst mit zehn Jahren ist der Panzer hart genug, um Feinde abzuhalten – nur Wildschweine können ihn dann noch knacken.

Dieses Jahr will Schneeweiß rund 20 Jungtiere in die Natur entlassen. „Ob und wann wir die Dreijährigen auswildern, hängt von der Witterung ab.“ Nur wenn die Seen und Sumpfgebiete feucht genug sind, haben die Tiere eine Chance. Doch der Biologe ist zuversichtlich: „Durch die erfolgreiche Auswilderung von Jungtieren ist der Bestand auf etwa 150 Exemplare angestiegen. Bemühungen, die Sumpfgebiete der Norddeutschen Seenlandschaft zu erhalten, lassen mich hoffen, dass wir die Europäische Sumpfschildkröte in ihrer besonderen genetischen Form in Deutschland retten können.“

Im Discovery-Channel-IMAX, Marlene Dietrich-Platz 4, an den Potsdamer-Platz- Arkaden läuft noch bis zum 25. April die Ausstellung „Zeugen der Urzeit – Emys orbicularis“.

Dagny Lüdemann

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