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Gesundheit: Ausverkauf der eigenen Werte

Von George Turner, Wissenschaftssenator a.D.

Die SPD in Berlin will einen WerteUnterricht als Pflichtfach einführen. Offensichtlich gibt es ein Defizit bei Schülern: Es fehlen ihnen gemeinsame Überzeugungen und Grundlagen des überkommenen Wertesystems. Traditionell wurden die eigenen Werte und die anderer Kulturen und Religionen in allen Schulfächern vermittelt. Keineswegs blieb dies etwa dem Fach Religion vorbehalten. Diese Funktion der Fächer scheint weitgehend verloren gegangen zu sein, denn sonst wäre es nicht erklärbar, dass man einen gesonderten „Werte-Unterricht“ braucht.

Eine Arbeitsgruppe soll jetzt den Rahmenplan für das Fach erarbeiten. Man nennt es unausgegoren, wenn erst gehandelt und dann gedacht wird. Der Inhalt steht so wenig fest, dass darüber spekuliert wird, ob vielleicht ein allgemeiner „Benimm-Unterricht“ dabei herauskommt. Soll es darum gehen, ein zivilisiertes Miteinander einzuüben, also elementare Regeln des Anstands und der guten Sitten? Soll das Ziel sein, Versäumnisse mancher Elternhäuser auszubügeln, indem den Schülern klar gemacht wird, dass Vandalismus und Rücksichtslosigkeit kein gedeihliches Miteinander ermöglichen? Sollen die Schüler lernen, dass Eigeninteressen nicht in hemmungslosen Egoismus ausarten dürfen, dass ein bestimmtes soziales Verhalten unverzichtbar in einer Gemeinschaft ist? Erforderlich ist das alles ohne Zweifel.

Dann aber ist der Kontext mit dem Fach Religion falsch gewählt, womöglich bewusst. Man kann darüber streiten, ob ein Sammelsurium wie LER (Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde) und Religion in Brandenburg alternativ angeboten werden sollen. Aber ob eine Erziehung zu zivilisiertem Verhalten und das Fach Religion austauschbar wären – das ist keine wirkliche Alternative. Es drängt sich der Verdacht auf, dass mit dem verschwommenen Begriff „Werte“ ein Nebeneffekt erreicht werden soll: den Religionsunterricht auf kaltem Weg zurückzudrängen.

Schüler mit einem nur pro forma christlichen Elternhaus werden mehrheitlich auf den zusätzlichen Religionsunterricht verzichten, zumal er in Randstunden angeboten wird. Schüler aus moslemischen Familien werden den Islamunterricht und oft auch Koran-Schulen besuchen und auf diese Weise den Hintergrund ihres Kulturkreises intensiv kennen lernen. Den „christlichen“ Mitschülern wird Religion als grundlegender Bestandteil der europäischen Kultur und Geschichte weitgehend verschlossen bleiben.

So führt man einen Wandel der Gesellschaft herbei. Man kann es auch Ausverkauf der eigenen Werte nennen.

Wer mit dem Autor diskutieren möchte, kann ihm eine e-mail schreiben: g.turner@tagesspiegel.de

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