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Gesundheit: Babys: Linksträgerinnen

Ausgerechnet Prinzessin Diana, die "Königin der Herzen", legte beim Liebkosen von Kindern eine ungewöhnliche Neigung an den Tag: Auf den meisten Photos, die von diesem Akt überliefert sind, drückte sie die Winzlinge an die rechte Seite der Brust. Mit diesem Hang bot die verstorbene Wohltäterin einem Trend die Stirn, der von der überwiegenden Mehrheit der Mütter beachtet wird, und der nach einer einflussreichen Theorie ein wichtiges Fundament für die kindliche Entwicklung legen soll.

Ausgerechnet Prinzessin Diana, die "Königin der Herzen", legte beim Liebkosen von Kindern eine ungewöhnliche Neigung an den Tag: Auf den meisten Photos, die von diesem Akt überliefert sind, drückte sie die Winzlinge an die rechte Seite der Brust. Mit diesem Hang bot die verstorbene Wohltäterin einem Trend die Stirn, der von der überwiegenden Mehrheit der Mütter beachtet wird, und der nach einer einflussreichen Theorie ein wichtiges Fundament für die kindliche Entwicklung legen soll. Doch zur Ehrenrettung von Lady Di sei gesagt, dass die Theorie bei der empirischen Prüfung ins Schlingern geraten ist.

Bei unzähligen Gelegenheiten gehen Menschen im Alltag einer einseitigen Bevorzugung einer Körperseite nach. Da die Rechtshänder in der Überzahl sind, drückt sich dieser Drall vorwiegend in einer Vorliebe für die rechten Extremitäten aus. Es gibt jedoch eine bemerkenswerte Ausnahme, auf die der amerikanische Kinderarzt Lee Salk in den 60er Jahren bei der Beobachtung einer Rhesusaffenmutter stieß. Die meisten Menschen drücken Babys und Kinder beim Liebkosen an die linke Seite der Brust. Diese Tendenz war in allen bisher untersuchten Kulturen zur verzeichnen.

Die Vorliebe für die linke Seite, die im deutschen Begriff "herzen" Ausdruck findet, tritt nicht nur bei Kindern auf. Auch Puppen werden von Frauen lieber links gehätschelt. Der Seiteneffekt stellt sich bereits bei der puren Vorstellung des Liebkosens ein. Entsprechend der Ausgangsbeobachtung von Salk ist der Linksdrall auch bei unseren Vettern, den Affen nachzuweisen. Das nahe liegende Argument, die Mütter hielten ihren Nachwuchs mit links, um die rechte, dominante Hand für wichtige Tätigkeiten frei zu halten, wird durch die Studien an Linkshändern widerlegt: Auch die Mehrheit der "linken" Mütter hätschelt die Kleinen links.

Salk leitete aus seinen Beobachtungen in den 60er und 70er Jahren eine weitreichende und einflussreiche These ab, halten der britische Psychologe Oliver H. Turnbull und seine südafrikanische Kollegin Marilyn D. Lucas fest. Das Ungeborene habe sich im "Nirwana" des Mutterleibes an den beruhigenden Herzschlag der Mutter gewöhnt. Mütter würden ihre Kinder daher instinktiv an die linke Seite drücken, um sie mit dem entspannenden Sound einzulullen.

Selbst der universelle Appeal der Musik wurde von Salk auf den Urtakt im Mutterleib zurückgeführt. Bei seinen eigenen Experimenten brachte Salk sogar Beweise hervor, dass Neugeborene schneller Gewicht zulegen, wenn man ihnen Herzschläge mit einer Frequenz von 72 vorspielt. Zudem ging die Häufigkeit des kindlichen Weinens zurück, die Winzlinge schliefen schneller ein.

Prägende erste Stunden

Der eigentliche Clou der Salkschen Theorie sollte jedoch noch mehr für Furore sorgen: Bei den Müttern, die direkt nach der Geburt von ihren Sprösslingen getrennt wurden, nahm die Tendenz zum linksseitigen Herzen ab. Während 77 Prozent der Gebärerinnen, die ununterbrochenen Kontakt mit dem Neugeborenen hatten, selbigen an die linke Seite drückten, sank diese Quote bei den vorübergehend getrennten auf 53 Prozent. Nach Salk sind die ersten 24 Stunden nach der Geburt entscheidend für die "Prägung", die das Band zwischen Mutter und Kind determiniert.

Im Nachhinein kam jedoch ans Tageslicht, dass Salks Studien unter entscheidenden Schönheitsfehlern litten, die Zweifel an ihrer Gültigkeit wecken. So waren die Experimente nicht "blind", die den Versuch ausführenden Personen wussten bestens über die Theorie Bescheid. Ein nicht unerhebliches Manko, denn bei späteren, "blind" ausgeführten Wiederholungsstudien glänzte der beruhigende Effekt der Herztöne auf Kleinkinder durch Abwesenheit.

Turnbull und Lucas haben eine Fülle von weiteren Unstimmigkeiten aufgedeckt, die mit der Theorie auf Kriegsfuß stehen. Auch erblich taube Kinder, die nie in den Genuss des mütterlichen Herzschlages kamen, wurden von ihren Müttern an die linke Brust gedrückt. Die einzige auffindbare Frau, deren Herz aufgrund einer anatomischen Laune auf der rechten Seite lag, drückte ihr Kleinkind dennoch an die linke Brust.

Es ist aber auch alleine deshalb abwegig, den Linksdrall dem beruhigenden Herzschlag zuzuschreiben, weil man heute weiß, dass der Takt aus der Mitte des Brustkastens ertönt. Ganz abgesehen von der Frage, ob dieser Rhythmus für das gehätschelte Baby überhaupt vernehmbar ist. Schließlich hat sich auch der Glaube zerschlagen, dass eine vorübergehende Trennung von Mutter und Neugeborenem den Linkstrend und damit die frühe Bindung zerstört. Auch die Mehrheit der vorübergehend enzweiten Mütter drückte ihr Neugeborenes in neueren Untersuchungen links. Dazu kommt laut Turnbull und Lucas, dass selbst die meisten Frauen, die nie eigene Kinder hatten, Kinder an die linke Seite drücken. Selbst 79 Prozent aller sechsjährigen Mädchen drückten Babys bei entsprechenden Versuchen links.

Die rechte Wahl des Hirns

Wegen dieser Befunde ist die wissenschaftliche Gemeinde von der Herzschlag-These abgerückt. Neuerdings steht die "zerebrale" Erklärung hoch im Kurs: Mütter halten ihr Baby auf der linken Seite, damit seine Wahrnehmung von der rechten Seite des mütterlichen Gehirnes verarbeitet wird, die für die Analyse bildlicher und emotionaler Reize zuständig ist. Weil sie das Baby mit der Schokoladenseite des Gehirnes sehen, bekommen sie demnach einen besseren Draht zu ihm. Mütter, die ihr Kind rechts drücken, haben vielleicht einfach nur eine umgekehrte Symmetrie, so dass ihr linkes Hirn emotionale Bilder analysiert.

Unglücklicherweise ist auch diese Theorie bei der empirischen Prüfung abgestürzt, betonen die beiden Seelenforscher. Sie haben bei umfangreichen Versuchsreihen ausgetestet, mit welcher Hirnhälfte Frauen emotionale Wahrnehmungen verarbeiten. Zwischen diesem Seitenschwerpunkt und der Lieblingsseite für das Liebkosen bestand nicht der geringste Zusammenhang. Außerdem haben sie die Kosevorlieben von blinden und tauben Frauen geprüft. Fazit: Trotz dieser Sinnesdefizite hielten die Frauen ihre Kinder links. Abgesehen davon steht heute fest, dass der Anteil der Personen mit abweichender Lateralität im Gehirn nur 5 bis 10 Prozent beträgt. Somit bliebe unerklärt, warum 25 Prozent aller Frauen Kinder notorisch an die rechte Seite drücken.

In einer eigenwilligen Beobachtungsstudie haben die beiden Forscher schließlich auch eruiert, an welche Körperseite erwachsene Menschen Nahestehende beim Empfang am Flugplatz drücken. Nach der zerebralen Theorie würde man auch hier einen linken Trend erwarten. Tatsache ist jedoch, dass bei der Umarmung kaum eine Seitenbevorzugung festzustellen war. Wenn überhaupt, zeigten Frauen einen leichten Trend, ihre weiblichen Lieben etwas häufiger an die rechte Seite zu pressen.

Bleibt also nur ein unbefriedigendes Resümee: Es existiert ein starker und robuster Trend, Kinder an die linke Brust zu drücken. Aber es gib keine überzeugende Theorie, die dies erklärt. Völlig offen bleibt eine damit verbundene Behauptung, die in den 80er Jahren für Schlagzeilen sorgte: Frauen, die ihre Kinder an die rechte Seite halten, weisen angeblich ein schlechteres Verhältnis zum Nachwuchs auf und bemuttern ihre Kinder schlechter. Niemand weiß, ob diese Aussage bei einer kritischen Prüfung Bestand hätte. Und es bleibt ein Rätsel, was sie über Lady Di aussagt, die Kinder auf 75 Prozent aller Bilder an die rechte Seite drückt.

Rolf Degen

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