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Gesundheit: Begrenzte Vielfalt

Die EU ist erweitert, aber die Unis sparen. Es droht ein Mangel an Übersetzern für osteuropäische Sprachen

Deutschland ist jetzt mittendrin in Europa. Jede deutsche Grenze zu einem Nachbarland ist seit dem 1. Mai 2004 die Grenze zu einem EU-Nachbarn. Die Europäische Union besteht aus 26 Staaten, in denen insgesamt 19 offizielle Sprachen gesprochen werden – Sprachen ohne Staat wie Sorbisch, Gälisch oder Baskisch nicht eingerechnet. Durch die Erweiterung können sich Handelsbeziehungen vertiefen, Märkte neu erschlossen werden, und Wissensaustausch kann vermehrt stattfinden. Doch die universitären Dolmetscher- und Übersetzer-Institute sind kaum dafür gerüstet. Experten warnen: Es droht ein Mangel an Dolmetschern und Übersetzern für so wichtige Sprachen des neuen Europa wie Polnisch, Tschechisch und Litauisch.

Die Sprachausbildung in Litauisch und Lettisch ist pünktlich zur EU-Erweiterung noch weiter reduziert worden: Als Dolmetscher oder Übersetzer konnte man sich in diesen Sprachen nirgendwo in Deutschland ausbilden lassen, doch zumindest gab es zwei größere philologische Institute, an denen man sich im Hauptfach mit der Sprache und Literatur des Baltikums beschäftigen konnte: in Münster und in Greifswald. Die Baltistik in Münster wurde nun geschlossen. Auch bei den slavischen Sprachen der EU sieht es nicht gut aus. Zum Übersetzer oder Dolmetscher für Polnisch kann man sich noch in Mainz-Germersheim ausbilden lassen, sowie in Leipzig als Übersetzer. Tschechisch-Dolmetscher kann man gar nicht mehr werden, Tschechisch-Übersetzer werden noch in Leipzig ausgebildet. Slovakisch kann nur an einer einzigen deutschen Universität als philologisches Hauptfach studiert werden, Slovenisch gibt es in ganz Deutschland nirgendwo als Hauptfach, weder für Dolmetscher oder Übersetzer noch für Philologen.

Bis vor kurzem konnten west- und südslavische Sprachen noch im Studiengang „Interkulturelle Fachkommunikation“ der Humboldt-Universität zu Berlin belegt werden. Doch zum kommenden Wintersemester dürfen dort Studenten für den Diplomübersetzer-Studiengang und für Interkulturelle Fachkommunikation – außer für Englisch – nicht mehr immatrikuliert werden. „Die Möglichkeiten, Osteuropa-Studien in Berlin zu betreiben, nehmen radikal ab; und das vor dem Hintergrund zunehmender Beziehungen nach Osteuropa“, klagt Larisa Schippel, Leiterin der Interkulturellen Fachkommunikation. „Ich weiß nicht, wie der Übersetzungsbedarf da gedeckt werden soll.“

Auch wer „alte“, aber kleine EU-Sprachen wie Niederländisch, Dänisch oder Neugriechisch studieren will, hat nur die Wahl zwischen einigen wenigen Instituten. Als Dolmetscher- und Übersetzerstudiengang werden von den genannten Sprachen nur Niederländisch und Griechisch angeboten, und zwar in Mainz-Germersheim.

Wenn es allerdings um die „großen“ Sprachen geht, bestehen keine ernsthaften Engpässe. Englisch, Französisch, Spanisch können an allen deutschen universitären Dolmetscher- und Übersetzerinstituten belegt werden. Mancherorts sind diese Sprachen bei den Studenten so beliebt, dass die Institute eine Auswahl treffen müssen. Am Institut für Übersetzen und Dolmetschen (IUED) in Heidelberg gibt es jedes Wintersemester etwa 500 Bewerber für Englisch, Französisch und Spanisch. In einem Eignungstest wird dann entschieden, wer einen der begehrten Plätze bekommt. „Einen Vorteil hat, wer einen Auslandsaufenthalt nachweisen kann“, sagt Anja Holderbaum, Akademische Rätin an der Englischen Abteilung des IUED.

In der Fachrichtung Angewandte Sprachwissenschaft sowie Übersetzen und Dolmetschen der Universität des Saarlandes ist Englisch ein NC-Fach. Der Traum der meisten Bewerber ist der Dolmetscher-Beruf. „Es gibt da so eine idealisierte Vorstellung vom Dolmetschen: man steht im Rampenlicht, kommt viel herum, sieht viel“, weiß Gerd Wotjak, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Angewandte Linguistik und Translatologie (IALT) der Universität Leipzig. Aber man müsse auch bedenken: Die meisten Dolmetscher arbeiten freiberuflich, müssen sich selbst versichern und ihre Altersvorsorge regeln. Überdies sei auch nicht jeder für diesen Beruf geeignet. Am Ende des Grundstudiums, in dem angehende Übersetzer und Dolmetscher noch zusammensitzen, gibt es wieder eine Eignungsprüfung.

Weniger als zehn Prozent der Studierenden gehen anschließend in den Dolmetscher-Studiengang, die anderen werden Übersetzer. Dabei sind Übersetzer nicht etwa als zweite Garnitur zu verstehen. Es ist eine ganz andere Studienrichtung. „Dolmetscher sind nicht automatisch gute Übersetzer“, betont Anja Holderbaum.

Die Berufsaussichten für Dolmetscher und Übersetzer werden generell als gut bezeichnet. So kann etwa Gerd Wotjak von der Universität Leipzig darauf verweisen, dass nach einer Absolventenverbleibstudie von 2003 etwa 80 Prozent der Absolventen des IALT nach einem halben Jahr berufsspezifisch untergekommen sind. Die Arbeitsbereiche entsprechen dabei häufig den speziellen Ausrichtungen der einzelnen Dolmetscher- und Übersetzer-Institute. Die Heidelberger Absolventen finden zum Beispiel ihre Jobs bei Software-Unternehmen, Banken, Schulungsunternehmen für E-Learning. Denn am Heidelberger IUED gibt es die Schwerpunkte Software-Lokalisierung (sprachliche Anpassung von Software an Ländergegebenheiten) und Webseiten-Lokalisierung. Bei der Gestaltung von Web-Seiten für ein anderes Sprachgebiet muss ein Übersetzer sogar fast zu einem neuen Autor werden, da nicht nur in eine andere Sprache, sondern auch in eine andere Kultur übersetzt werden muss.

Wie groß der Bedarf an Sprachmittlern für die neuen EU-Sprachen sein wird, ist offenbar nicht bezifferbar. Noch signalisieren die EU-Institutionen keinen Dolmetscher-Notstand für die Sprachen der neuen mittel- und osteuropäischen Mitglieder. Aber Norbert Koschyk, Sprecher des Bundesverbandes der Dolmetscher und Übersetzer, geht davon aus, dass der Mangel an qualifiziertem Personal „in nächster Zeit sichtbar wird“ – in dem Maße, in dem sich die Kontakte vertiefen.

Wolfgang Sturz, Geschäftsführer des Übersetzungsdienstes „transline“ in Reutlingen, sieht nicht nur einen insgesamt steigenden Übersetzer-Bedarf, sondern auch einen Wandel des Berufsbildes: Es werde immer häufiger darum gehen, dass ein Text in bestimmten Zusammenhängen von Italienern, Deutschen und Polen auf die gleiche Weise verstanden werden muss. Neben den Übersetzern, die jeweils von einer Sprache in die andere übersetzen, werden Projektmanager benötigt, die das Gesamtverständnis bei allen Beteiligten überprüfen. „Sie sollten in mehreren Sprachen Kompetenzen haben und ein Übersetzer-Studium oder ein philologisches Studium absolviert haben.“

Doris Marszk

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