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Bettnässen: Kleines Malheur

Kein Grund für Schuldgefühle: Einnässen hat mit der Erziehung der Eltern und seelischen Problemen des Kindes meist nichts zu tun. In der Regel bedarf es deshalb keiner besonderen Behandlung – außer viel Geduld.

Wenn Kinder immer wieder nachts ins Bett machen, obwohl sie längst trocken sein sollten, beginnen sich Eltern zu fragen, was sie falsch gemacht haben. Völlig zu Unrecht, wie Experten beteuern.

„Bettnässen ist keine Krankheit. Das ist das Allererste, was betroffene Eltern verstehen sollten“, sagt Dominik Müller, leitender Oberarzt der Pädiatrie der Charité in Berlin-Wedding. Es handelt sich nicht einmal um eine Fehlentwicklung, sondern um einen kindlichen Reifeprozess, der ganz normal ist und bei einigen früher, bei anderen später abgeschlossen ist – genau wie das Laufenlernen.

Müller weiß zwar um die Sorgen und Nöte von Eltern, deren Kinder teilweise noch mit neun Jahren oder länger ins Bett machen. Der auf Nierenheilkunde spezialisierte Kinderarzt ist aber davon überzeugt, dass fast jedes Kind seine Blase irgendwann unter Kontrolle hat und keiner speziellen Therapie bedarf.

Viele Eltern wissen gar nicht, dass ihr bettnässendes Kind keine Ausnahme ist, sondern etwa 600 000 Leidensgenossen allein in Deutschland hat. Das liegt vor allem daran, dass Bettnässen ein Tabuthema ist. Denn die Überzeugung, Kinder würden immer aufgrund psychischer Probleme ins Bett machen, hält sich bis heute hartnäckig.

In seltenen Fällen hat das Einnässen aber auch organische Ursachen. Dann kann eine Operation nötig sein. Diese Kinder haben meist auch tagsüber Probleme beim Wasserlassen und schlafen unruhiger als andere.

Betroffene Eltern sollten zuallererst ganz offen mit ihrem Kinderarzt über das nächtliche Einnässen (Enuresis) ihres Kindes sprechen. Stellt der Arzt dann tatsächlich ein körperliches Problem fest, wie zum Beispiel einen verschleppten Harnwegsinfekt, Wasserdiabetes (Diabetes insipidus) oder eine Fehlbildung des Harntraktes, wird er das Kind an einen Facharzt überweisen.

Eine dieser Fachärztinnen in Berlin ist Karin Riebe, Chefärztin des Kinderurologie-Zentrums der DRK-Klinik in Westend. Wenn bei einem Kind der Verdacht auf organische Fehlbildungen besteht, macht sie eine Ultraschall- oder Röntgenuntersuchung. „Meist können wir solche Fehlbildungen dann ausschließen“, sagt sie. Aber es komme leider immer wieder vor, dass Familien sich jahrelang mit erfolglosen Therapieversuchen herumschlagen, weil sie ihr Kind nie untersuchen lassen, sagt die Ärztin und erklärt sich das mit der mangelnden Aufklärung und dem Vorurteil, Bettnässen habe immer psychische Ursachen.

„Es ist zwar richtig, dass Kinder mit seelischen Problemen nicht selten nachts ins Bett machen. Das heißt aber nicht, dass alle Kinder, die nachts ins Bett machen, seelische Probleme haben“, betont auch der Nierenexperte Müller.

Karin Riebe ist sogar vom Gegenteil überzeugt: „Leider drohen viele Eltern ihrem Kind immer noch Strafen an oder zeigen ihm deutlich, wie enttäuscht sie sind, wenn das Bett nachts nicht trocken bleibt. Und das, obwohl garantiert kein Kind mit Absicht ins Bett macht oder zu faul ist, aufzustehen.“ Ein solches Verhalten der Eltern macht auf Dauer alles noch schlimmer. Die Kinder haben Schuldgefühle, weil sie den Eltern zur Last fallen und können nichts dagegen tun.

Denn die Blasenkontrolle kann nur reibungslos und „im Schlaf“ funktionieren, wenn das Zusammenspiel von Gehirn und Blase ausgereift ist. Ein Prozess, auf den das Kind aber keinen Einfluss hat.

Zum Einnässen kommt es, wenn die Blasenkapazität noch nicht altersgemäß entwickelt, die Blasenkontrolle noch unzureichend ist oder das körpereigene Antidiuretische Hormon ADH noch nicht in ausreichender Menge gebildet wird. Dann produziert das Kind nachts unter Umständen genauso viel Urin wie tagsüber und die Blase läuft über. Im Tiefschlaf aber nehmen die Kinder den Reiz der vollen Blase gar nicht wahr, sondern erwachen erst morgens im nassen Bett.

Auch wenn kindliches Bettnässen in der Regel harmlos ist, bleibt es für die Familien eine Belastung, insbesondere, wenn es beim Übernachten bei Freunden oder auf einer Klassenreise passiert.

Dominik Müller versteht, wenn Eltern ungeduldig werden und versuchen, die Entwicklung zu beschleunigen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten: Die einen starten die Therapie mit dem Führen eines Trockenkalenders, in den das Kind jeden Morgen einträgt, ob das Bett nass geworden ist oder nicht. Viele Eltern erhoffen sich, dass das Kind motiviert wird, „trockene Nächte zu sammeln“. Von solchen Belohnungs- oder Bestrafungsmethoden rät der Enuresis-Experte vom Virchow-Klinikum allerdings ab. Sie würden den Frust des Kindes nur verstärken.

Für alle Beteiligten anstrengender, aber dafür auch von nachhaltigerer Wirkung sind die „Alarmtherapien“. Dabei trägt das Kind nachts eine Klingelhose oder schläft auf einer „Klingelmatte“. Der erste Tropfen Urin, der den Sensor darin trifft, löst ein lautes Geräusch aus, das das Kind wecken soll, damit es den entstandenen Blasendruck bewusst spürt.

Auch Medikamente mit dem Wirkstoff Desmopressin werden zur Behandlung eingesetzt. Sie sollen den körpereigenen ADH-Mangel ausgleichen und bewirken, dass nachts weniger Urin produziert wird. Diese Medikamente aber haben bei manchen Patienten Nebenwirkungen. „Außerdem beträgt die Rückfallquote über 80 Prozent, sobald das Medikament abgesetzt wird,“ sagt Karin Riebe vom DRK-Klinikum. Ihr Charité-Kollege Müller hält zumindest den kurzfristigen Einsatz für unbedenklich, zum Beispiel auf einer Klassenreise.

Einem Sechs- oder Siebenjährigen noch dauerhaft Windeln anzuziehen, hält Karin Riebe auch nicht für die richtige Lösung. „Sie geben dem Kind das Gefühl, noch ein Baby zu sein und nehmen ihm die Chance zu spüren, ob sich die volle Blase nicht doch meldet.“

Da sich eine Reifeverzögerung nicht von heute auf morgen kurieren lässt, sollten Kinder und Eltern Geduld haben und sich nicht verunsichern lassen. Manche Kinder brauchen eben etwas länger.

Elisabeth Oehler

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