zum Hauptinhalt

Gesundheit: Biene sucht Blüte

Im Labor des Instituts für Neurobiologie der FU geschehen seltsame Dinge.In einem Glasgefäß rotiert ein Stab wie von Geisterhand getrieben und rührt eine trübe Flüssigkeit um.

Im Labor des Instituts für Neurobiologie der FU geschehen seltsame Dinge.In einem Glasgefäß rotiert ein Stab wie von Geisterhand getrieben und rührt eine trübe Flüssigkeit um."Was ist bloß mit dem Agar los?" fragt Anke Friedrich einen Diplomanden.Doch der weiß auch nicht, warum die Masse heute nicht dünnflüssig wird.Er wendet sich wieder einem Brett zu, auf das zahllose kleine Metallrohre aufgesetzt sind.In jedem der Röhrchen sitzt eine Biene.Nur die sich lustig bewegenden Antennen der Tierchen, die er mit einer Pipette füttert, ragen heraus.Irgendwann wird das Agar doch dünnflüssig und Anke Friedrich schaltet das den Stab treibende Magnetfeld aus.Dann dichtet sie mit der Masse eine Versuchsanordnung ab, mit der sie bestimmte Proteine im Gehirn von Bienen nachweisen will.Anke Friedrich ist seit vier Monaten Stipendiatin des Graduiertenkollegs "Signalketten in lebenden Systemen".Die erstaunliche Wirksamkeit dieser Signalketten läßt sich auch außerhalb des Labors bewundern: Auf Frühlingswiesen etwa, wo zahlreiche Insekten zielsicher bestimmte Pflanzen aufsuchen.Wie Schlüssel in ein Schloß passen die Pflanzenduftstoffe in die Moleküle der Rezeptorzellen, die sich in den Antennen der Insekten befinden.Innerhalb dieser chemosensitiven Zellen werden wiederum Signalketten aktiviert, die dazu führen, daß über das Nervensystem Aktionspotentiale an das Gehirn weitergeleitet und schließlich die ausgewerteten Signale in Flügel- oder Beinbewegungen übersetzt werden.Mit ihren Experimenten möchte Anke Friedrich klären, welche molekularen Veränderungen sich im Gehirn abspielen, wenn die Bienen lernen, auf bestimmte Reize zu reagieren.Ihr Untersuchungsgegenstand verliert sich bei der Arbeit im Labor buchstäblich im Nichts: Mit einem Skalpell entfernt sie einer getöteten Biene das winzige Gehirn und gibt es in eine Lösung.Nach etlichen Verfahrensschritten stecken - wenn alles gelingt - die Proteine in einem durchsichtigen Gel.Dort können sie dann mit Hilfe von Antikörpern nachgewiesen werden.

Das Kolleg, an dem neben der FU auch HU, TU und die Universität Potsdam beteiligt sind, ist im Frühjahr in eine zweite dreijährige Runde gegangen.Acht Graduierte werden derzeit von 13 Professoren betreut.Die Stipendien der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gelten allerdings als karg: "Die DFG lügt sich in die Tasche", meint Professor Hans-Joachim Pflüger.Einerseits sage man den Kollegiaten, sie gehörten zur intellektuellen Elite.Andererseits würden sie schlecht bezahlt.Wissenschaftliches Ziel des Kollegs ist es, Signalketten auch durch theoretische Ansätze zu beschreiben, um so ihrer doppelten charakteristischen Eigenschaft gerecht zu werden: dem Material- und Informationsumsatz."Auf der molekularen Ebene wurde damit bisher kaum angefangen", sagt Hans-Joachim Pflüger, dessen Arbeitsgruppe sich mit der Verarbeitung von Signalen im Nervensystem der Wanderheuschrecke beschäftigt.Wegen der hohen Komplexität der Vorgänge in den hochgradig vernetzten Systemen wurden in der Biologie bisher fast ausschließlich die Materialflüsse untersucht, die mit überwiegend physikalischen Meßmethoden registriert werden.

Mit übergeordneten informationstheoretischen Aspekten beschäftigt sich Professor Andreas Herz vom Innovationskolleg Theoretische Biologie der HU.Die Arbeitsgruppe des jungen Professors versucht unter anderem herauszufinden, wie akustische Reize im Nervensystem von Heuschrecken kodiert werden.Damit die Lockrufe der Geschlechtspartner vor der natürlichen Geräuschkulisse erkannt werden können, müssen sie im Gehirn anhand charakteristischer Merkmale identifiziert werden.Die Gruppe untersucht deshalb, an welchen Merkmalen die Rufe identifiziert und in welche zeitlich-räumlichen Muster neuronaler Aktivität sie übersetzt werden.

Mit dem "Spiken" - also der Aussendung elektrischer Impulse der Zellen - beschäftigt sich der Stipendiat Daniel Wüstenberg.Ihn interessiert, wie sich die elektrische Aktivität der Zellen in Folge von Lernvorgängen verändert.Die am Kolleg beteiligten Informatiker, die biologische Neuronennetze auf dem Computer zu simulieren versuchen, trifft er bei "Bierkontakten" und in den Lehrveranstaltungen des Kollegs, die die Kollegiatinnen und Kollegiaten teilweise selbst organisieren."Wenn es uns wichtig erscheint, dann können wir uns auch ein Rhetorikseminar einrichten", lobt Anke Friedrich.Allerdings hat sie ein Zeitproblem: "Ich bin hin- und hergerissen zwischen der Arbeit im Labor und diesen Veranstaltungen." Die Kommunikation zwischen den Disziplinen ist allerdings manchmal schwierig.Derselbe Begriff hat oft unterschiedliche Bedeutungen: So sind in der Informatik "neuronale Netze" relativ starre, aus gleichartigen Bausteinen zusammengesetzte Systeme.Biologische Netze dagegen sind sehr flexibel.Das Interesse der Theoretiker gilt denn auch der enormen Flexibilität biologischer Systeme und deren Fähigkeit, viele Informationen gleichzeitig verarbeiten zu können.Doch obwohl das Forschungsfeld nicht zuletzt wegen des erhofften Nutzens für die Informatik "blüht", meint auch Andreas Herz: "Gehirne sind mehr als nur Rechenmaschinen."

Graduiertenkolleg "Signalketten in lebenden Systemen": Informationen: http://apis.neuro.biologie.fu-berlin.de/grk120/anzeige.html

Bereits erschienen: Körper-Inszenierungen (11.August), Demokratie in den USA (18.August), Codierung der Gewalt im medialen Wandel (25.August), Das Standardmodell der Elementarteilchen (1.September), Das neue Europa (8.September), Gesellschaftsvergleich (25.September).

MARTIN KIESLER

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false