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Gesundheit: Bildung: "Holt das Leben in die Schule zurück"

Edelgard Bulmahn (SPD) ist seit 1998 Bundesbildungsministerin. Nach den schlechten Ergebnissen deutscher Schüler beim Schulleistungstest Pisa stellt sich wieder die Frage, ob der Bund helfen kann.

Edelgard Bulmahn (SPD) ist seit 1998 Bundesbildungsministerin. Nach den schlechten Ergebnissen deutscher Schüler beim Schulleistungstest Pisa stellt sich wieder die Frage, ob der Bund helfen kann. Zuständig sind vorrangig die Länder.

Grundsatzstreit in der Stammzellenforschung, Ernüchterung über den Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen und um die nächste Reform der Hochschulreform wird gerungen. Macht es in dieser Zeit noch Spaß, Bildungs- und Forschungsministerin zu sein?

Jetzt macht es mir gerade Spaß, Ministerin zu sein; denn nun kann ich gestalten statt verwalten. In den letzten drei Jahren konnte ich Dinge anpacken, die vorher ein Jahrzehnt lang liegen gelassen wurden. So war die Dienstrechtsreform dringend notwendig. Es liegt klar auf der Hand, dass wir Leistungsanreize für Hochschullehrer brauchen und unseren jungen Wissenschaftlern früher Forschung und Lehre ermöglichen müssen. Das Gleiche gilt für die Bafög-Reform. Damit schaffen wir die Voraussetzungen dafür, dass ein Studium nicht mehr vom Einkommen der Eltern abhängt, sondern von Leistungsbereitschaft und Begabung.

Verhindert die Konkurrenz von Bund und Ländern in der Bildung nicht vieles?

Bereits vor zwei Jahren habe ich gemeinsam mit den Ländern, der Wirtschaft, den Kirchen und Verbänden das "Forum Bildung" geschaffen; denn schon da war es offensichtlich, dass unser Bildungssystem erhebliche Mängel hat. Als Bundesministerin habe ich zwar nicht die Zuständigkeit für die schulische Bildung, muss mich aber in allen meinen Aufgabenbereichen mit ihren Ergebnissen auseinandersetzen: in der beruflichen Bildung, bei den Hochschulen und in der Forschung. In diesen zwei Jahren haben wir im "Forum Bildung" schon vorgearbeitet und Änderungsvorschläge erarbeitet. Diese Ergebnisse können wir jetzt nutzen.

Stichwort Pisa: Was kann der Bund tun, um zur Verbesserung der Schulen beizutragen?

Wir können durch die Förderung guter Beispiele und Modellversuche Reformen anschieben. Die Pisa-Studie hat ja sehr deutlich auf Mängel in der Unterrichtsqualität hingewiesen. Was ich als Bundesministerin nicht kann, aber in der Sache für ungeheuer wichtig halte, ist, das Angebot an Ganztagsschulen auszubauen. Ich kann leider die Lehrer auch nicht zur Fortbildung verpflichten. Aber all dieses haben wir als "Forum Bildung" dringend empfohlen.

Mit den aus Mitteln der UMTS-Zinsersparnisse aufgelegten Bildungsprojekten wird ja auch die Computerausstattung der Berufsschulen verbessert. Das gehört ja zu den Mangelbereichen, die Pisa festgestellt hat, die aber jetzt noch nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Kann man da schon Erfolge sehen?

Wir haben das gestartet, weil auch dieser Mangel absehbar war. Allerdings ist das sehr hart an der Grenze der Bundeszuständigkeiten. Zu unserer Medienoffensive in der Bildung gehört auch die Initiative "Schulen ans Netz", mit der die Computerausstattung verbessert wird. Mit der Förderung von qualitativ guter Bildungs-Software initiieren wir einen weiteren Innovationsschub: Sie trägt beispielsweise zu gutem Unterricht bei, weil man damit den Stoff differenzieren und Textverständnis schulen kann. Der Bund kann außerdem durch klare Prioritäten für die Familienpolitik zur Verbesserung beitragen. Durch die Erhöhung des Kindergeldes bekommen die Familien mehr finanziellen Spielraum. Wir haben auch erstmals die Möglichkeit geschaffen, Kindergartenbeiträge steuerlich geltend zu machen. Gerade die frühkindliche Bildung verbessert die späteren Lebenschancen und deshalb müssen die Kindergärten ihren Bildungsauftrag stärker wahrnehmen. Neugier und Lernbereitschaft der Kinder in diesem Alter ist einfach riesig und muss genutzt werden - allerdings nicht, indem sie stur am Tisch sitzen.

In welchen Bildungsbereichen müssen die Länder jetzt nachlegen?

Es kommt darauf an, bald zu konkreten Verbesserungen zu kommen und nicht im Streit um Zuständigkeiten Zeit zu vertun. Zu den nötigen Veränderungen gehört auch ein Wechsel im Denken vieler Menschen, dass nämlich möglichst frühe und möglichst viel Selektion gut ist. Pisa hat ganz klar gezeigt, dass das nicht stimmt. Vielmehr kommt es auf eine frühe und sorgfältige Förderung für jedes einzelne Kind an, entsprechend seinen individuellen Möglichkeiten. Das hilft sowohl benachteiligten wie besonders begabten Kindern. Außerdem muss das Leben in die Schule zurückgeholt werden: Die Eltern sollen sich stärker am schulischen Leben beteiligen. Ich habe gerade mit meiner Sekretärin gesprochen, die in der DDR gelebt hat. Sie sagt, die Zusammenarbeit von Eltern und Lehrern war dort einfach besser. Die Unternehmen müssen sich ebenfalls stärker an den Schulen beteiligen. Wenn Kinder beispielsweise ein Wasserwerk besichtigt haben, können sie leichter verstehen, warum sie chemische Formeln lernen müssen.

Das können die Schulen doch jetzt gar nicht.

Um all das zu erreichen, müssen die Schulen mehr Eigenverantwortung und Selbstständigkeit bekommen. Dann können sie das vorhandene Engagement wirklich nutzen. In den europäischen Schulsystemen, die bei Pisa sehr erfolgreich waren, ist genau das realisiert. Das alles zentral zu steuern, wäre genau die falsche Konsequenz.

Nicht nur die Schulen, auch die Hochschulen haben erheblichen Veränderungsbedarf. Über die Novelle des Hochschuldienstrechts ist zu hören, es habe einen Kompromiss gegeben. Worin besteht er?

Dort brauchen wir dringend Leistungsanreize für Hochschullehrer. Wir brauchen sie auch für die anderen Mitarbeiter, aber das muss in Tarifverträgen ausgehandelt werden. An diesem Dienstag steht im Vermittlungsausschuss nur das Gesamtbudget der Professorenbesoldung zur Debatte. Nur dazu hat der Bundesrat den Vermittlungsausschuss angerufen, zu allen anderen Punkten des Gesetzes nicht. Wir waren uns am vergangenen Donnerstag in der Sache schon einig, so dass der Konsens jetzt gelingen müsste. Bei dieser Regelung geht es mir darum, sicher zu stellen, dass hier nicht gekürzt werden kann. Das war in dem Alternativvorschlag des Bundesrates nicht vorgesehen. Außerdem haben wir vorgeschlagen, diese Summe pro Jahr um zwei Prozent erhöhen zu können. Bayern wollte ohne Jahresbegrenzung um zehn Prozent erhöhen können. Dazu gibt es jetzt einen Kompromiss.

Mit dem Gesetz werden auch Juniorprofessuren als Alternative zur Habilitation eingeführt. Die ersten Juniorprofessoren beginnen jetzt. Können sie das beruhigt tun, oder sind Interventionen möglich, die die gesetzliche Einführung noch stoppen können?

Die Nachwuchswissenschaftler können ganz beruhigt sein. Die Einführung der Juniorprofessuren ist ganz unstrittig. Der Run der Hochschulen auf diese neuen Stellen ist riesig. Ich gehe davon aus, dass die Gesetzesänderung, die wir als nicht zustimmungspflichtig eingebracht haben, vom Bundespräsidenten unterzeichnet wird, da auch die Vorgängerregierungen ihre Änderungen schon immer als nicht zustimmungspflichtig durchgeführt haben. Beruhigt sein können aber auch diejenigen, die jetzt ihre Habilitation begonnen haben; denn das Gesetz gibt ihnen zehn Jahre Übergangsfrist.

Ein anderes Hauptvorhaben dieser Legislaturperiode ist die Umgestaltung der Helmholtz-Gemeinschaft. Bewegt sich der Tanker?

Die Helmholtz-Gemeinschaft hat ihre neue Form schon beschlossen. Vom 1. Januar an bekommt sie bereits keine institutionelle Förderung mehr, sondern wettbewerbsbezogene. Das ist ein gravierender Einschnitt, den viele in seiner Bedeutung noch gar nicht realisieren. Denn die Helmholtz-Gemeinschaft ist die größte Forschungsorganisation Deutschlands und hat mehr als 25 000 Beschäftigte.

Zum 1. Januar ist also das neue Dienstrecht in Kraft, die Umgestaltung der Helmholtz-Gemeinschaft ...

Die Bafög-Reform ist schon in Kraft . . .

Da bleiben ja nur noch die Stammzellen übrig. Das Parlament hat es ja in einem halben Jahr nicht geschafft, eine Entscheidung zu treffen. Die Wissenschaftler sind verärgert. Was kann man tun, wenn es doch ein negatives Votum für den Import gibt?

Die zweite Parlamentsdebatte ist für den Januar vorgesehen. Ich glaube auch, dass sie differenziert und nicht als Schwarz-weiß-Debatte ablaufen wird. Das Votum der Enquete-Kommission ist eine gute Grundlage für die Entscheidung, weil sie der Forschung den nötigen Freiraum gibt und andererseits klare ethische Grenzen setzt. Die Forschung braucht diese Freiräume. Ich hoffe, dass der Bundestag nun zur Entscheidung kommt. Alles andere sind dann technische Fragen: Wie importiert man Stammzellen, unter welchen Voraussetzungen etc. Dafür haben Enquete-Kommission und Ethikrat auch Empfehlungen gegeben. Und regeln muss man das, denn wir wollen eben keinen Import nach Wild-West-Manier. Forschungsprojekte müssen auch ethisch bewertet werden, aber das ist gang und gäbe in der Biomedizin. Schließlich müssen wir Transparenz über die Herkunft der Stammzellen herstellen. Aber all das ist angedacht. Sollte der Bundestag zu einem Nein kommen, muss man auch die Konsequenzen ziehen; denn bis jetzt ist der Import von Stammzellen rechtlich zulässig.

Gr, satzstreit in der Stammzellenforschung[Ern&u]

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