zum Hauptinhalt

Gesundheit: „Bildung ist kein Bauernopfer“

Im Streit mit den Ländern: Bulmahn hält an ihren Plänen zu Ganztagssschulen und Spitzenunis fest

Frau Bulmahn, nach einer Umfrage meinen 70 Prozent der Deutschen, die Politik habe auf die PisaStudie schlecht reagiert. Welche Note gibt die Bildungsministerin den Schulreformen?

Die Bundesbildungsministerin gibt ihren Kollegen in den Ländern keine Noten. Ich bin aber davon überzeugt, dass wir unser Bildungssystem verbessern müssen. Vor allen Dingen müssen wir in Deutschland den Bildungsoptimismus zurückgewinnen, den wir einmal hatten, der aber in den letzten 20 Jahren Stück für Stück verloren gegangen ist.

Warum ist er verloren gegangen?

Die konservativen Kräfte in unserem Land, CDU und CSU, haben leider immer wieder herausgestellt, dass es am besten sei, wenn man Kinder sehr früh sortiert. Ein schwerer Fehler, dessen Konsequenzen wir heute spüren. Es ist aber eine wichtige Aufgabe, Chancengleichheit herzustellen, Kinder individuell zu fördern. Da gibt es jedoch einige Fortschritte.

Welche?

Wir haben die Bildungsstandards auf den Weg gebracht, Schulen werden dafür mehr Autonomie bekommen. Auch unser Ganztagsschulprogramm ist ein wichtiger Schritt. Und es gibt den Willen von Lehrern und Eltern, mit außerschulischen Einrichtungen zu kooperieren.

Nach dem Pisa-Schock hat die Bundesregierung versprochen, mit vier Milliarden Euro bis zum Jahr 2007 mindestens 10000 Ganztagsschulen aufbauen zu wollen. Jetzt kritisieren CDU-Kultusminister, Sie würden bei Ihrer Zwischenbilanz maßlos übertrieben und sanierte Sportplätze oder Cafeterien als Ganztagsschulen gezählt haben. Verpufft das Geld?

Zunächst einmal: Die Zahlen erheben nicht wir, sondern die Länder melden sie dem Bund. Außerdem läuft das Programm erst seit einem Jahr. Eine solide Zwischenbilanz kann man erst nach zwei Jahren ziehen. Mit den vier Milliarden Euro, die die Bundesregierung zur Verfügung stellt, kann man sehr wohl 10000 Ganztagsschulen aufbauen. Einige Landesminister ergreifen diese Chance. Wenn das Geld anderswo nicht für Ganztagsschulen eingesetzt wird, werden wir es zurückfordern.

Kommen wir zur Hochschule. Die alten Studiengänge werden bis 2010 zugunsten von Master und Bachelor abgeschafft. Doch in Deutschland gibt es Kritik an der Qualität der Studiengänge. Wird die Lehre schlechter?

Es gibt ein Akkreditierungsverfahren für diese Studiengänge. Damit ist die Qualität sichergestellt. Und gemeinsam mit den anderen EU-Ländern setzen wir eine Qualitätsentwicklung in Gang. Das gibt es in Deutschland bislang nicht.

Versagt vielleicht die Akkreditierung? Der Stifterverband wollte 2003 die besten Bachelor-Studiengänge küren. Doch von 91 Bewerbern fand er nur vier preiswürdig.

Wenn man einen Wettbewerb durchführt, kann man nicht alle zum Sieger erklären, dann ist es kein Wettbewerb mehr. Über das Niveau sagt das erstmal nichts aus. Aber natürlich müssen wir in Deutschland bereit sein, uns auch einer kritischen Selbstüberprüfung zu stellen. In der Forschung ist das schon üblich. In der Lehre ist es auch berechtigt.

Sie sind gegen Studiengebühren im Erststudium. Warum sind für Sie auch solche Gebühren unzumutbar, die erst nach dem Einstieg in den Beruf zurückgezahlt werden?

Es geht doch darum: Wie kann sichergestellt werden, dass auch junge Leute aus einkommensschwächeren Familien nicht durch hohe Gebühren vom Studium abgeschreckt werden? Das Modell der nachlaufenden Gebühren leidet an dem großen Problem, dass sie damit keine langfristigen Sicherheiten geben können. Außerdem ist in Deutschland nicht gewährleistet, dass die Gebühren direkt den Hochschulen zugute kommen.

Ist es gerecht, wenn die Krankenschwester dem Chefarzt das Studium finanziert?

Sie verkennen, dass wir inzwischen über zehn Milliarden Euro pro Jahr an öffentlichen Mitteln in die berufliche Ausbildung stecken. Das halte ich auch für notwendig. Die Frage ist, ob wir bereit sind, umzusteuern: von Subventionen in die Vergangenheit zu Investitionen in die Zukunft. Das ist eine der wichtigsten Aufgaben, auch wegen des demographischen Wandels. Schätzungen gehen jetzt schon von einem Fachkräftemangel von dreieinhalb Millionen aus.

Aber die Länder haben kein Geld, Berlin ist pleite.

Finnland und Schweden sind wirtschaftlich erfolgreich. Beide haben keine Studiengebühren. Schweden hatte gravierende wirtschaftliche Schwierigkeiten vor zehn, 20 Jahren. Aber es hat konsequent auf Bildung und Wissenschaft gesetzt. Das kann doch auch uns gelingen.

Unlängst haben Sie einen großen Durchbruch bei den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern im Wettbewerb um Spitzenuniversitäten verkündet. Jetzt sagen CDU-Ministerpräsidenten, es gebe gar keine Einigung. Womöglich wollen sie das Programm nicht mehr unterstützen. Wie erklärt sich der Widerspruch?

Bund und Länder haben sich grundsätzlich auf ein Förderprogramm zum Aufbau von Spitzenuniversitäten verständigt. Ich selbst stehe zu dieser Verständigung. Ich gehe davon aus, dass alle Bundesländer, nicht nur die SPD-regierten, ein Interesse daran haben, unsere Hochschulen zu stärken. Ich würde es außerordentlich bedauern, wenn die unionsregierten Länder aus parteipolitischem Kalkül das Programm ablehnten. Das würde den Hochschulen schwer schaden.

Die Ministerpräsidenten verbinden ihren Einspruch mit den jüngsten Vorstößen von Ortwin Runde und Volker Kröning, beide SPD, in der Föderalismus-Debatte. Beide wollen dem Bund noch weitergehende Kompetenzen in der Bildung eröffnen als er bislang hat. Teilen Sie diese Ansicht?

Es geht nicht um eine Verschiebung von Kompetenzen, sondern darum, die Zusammenarbeit von Bund und Ländern auf eine klare Grundlage zu stellen. Dem trägt der Vorschlag von Kröning und Runde Rechnung. Er gibt dem Bund aber keine weitergehenden Kompetenzen.

Die Ministerpräsidenten der Union wollen das Elite-Programm offenbar platzen lassen, wenn Runde und Kröning ihren Vorschlag nicht zurückziehen. Was ist Ihnen wichtiger – das Elite-Programm oder die Kompetenzen des Bundes in der Bildung?

Die Ministerpräsidenten müssten es selbst verantworten, wenn sie unseren Hochschulen Schaden zufügen würden.

Der Vorsitzende des Wissenschaftsrates hat im Tagesspiegel befürchtet, die Themen Wissenschaft und Bildung seien in der Föderalismuskommission nur ein Bauernopfer. Ist sein Eindruck berechtigt?

Die SPD wird es nicht zulassen, dass die Bildung das Bauernopfer wird. Aber man muss auch zu Kompromissen kommen.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel beim Hochschulbau. Vor zwei Jahren haben die Ministerpräsidenten erklärt, sie wollten die gemeinsame Förderung des Hochschulbaus von Bund und Ländern beenden. Ich habe damals gesagt, dass sich der Bund nicht generell aus der Hochschulförderung zurückziehen sollte. Er hat beschlossen, sich auf bundesweit relevante Aufgaben zu beschränken. Die Förderung von Spitzen-Universitäten gehört dazu.

Im Januar schlugen Sie vor, die Leibniz-Gemeinschaft aufzulösen. Seitdem befinden sich die Institute in einem Schwebezustand. Wann herrscht hier Gewissheit?

Die Institute befinden sich nicht in einem Schwebezustand, es gibt eine klare rechtliche Grundlage für ihre Förderung. Mein Vorschlag war, dass der Wissenschaftsrat überprüft, ob die Institute der Leibniz-Gemeinschaft richtig in dieser Einrichtung angesiedelt sind oder ob sie anderswo besser angesiedelt wären.

Vor wenigen Tagen ist das Gentechnikgesetz beschlossen worden. Nun hat sich die Bundesregierung ja das Thema Innovation auf die Fahne geschrieben. Wie verträgt sich das mit einem Gesetz, das nach Expertenmeinung eher verhindern wird, dass die Gentechnik sich entwickelt? Werden die Forscher auswandern?

Das befürchte ich nicht. Wir haben ein Gesetz beschlossen, das klare Rechtssicherheit für die Unternehmen und die Forschung gibt.

Das Gesetz ist aber sehr strikt. Die Haftung ist ein extremes Risiko für Landwirte, die mit gentechnisch verändertem Saatgut arbeiten wollen. Kann man so Innovationen anschieben?

Ja, denn wir schaffen Rechtssicherheit. Mit unserem Entwurf ist es gelungen, die Interessen von Forschung und Verbraucherschutz zu wahren.

Sie werden in der Öffentlichkeit und auch in Ihrer eigenen Partei als Kandidatin für eine Kabinettsumbildung gehandelt. Wie erklären Sie sich das?

Da müssen Sie andere fragen. Für die Presse scheint es ein gelegentlich viel interessanteres Thema zu sein als für mich. Ich mache diese Aufgabe gerne, ich habe wichtige Anstöße zur Weiterentwicklung von Bildung und Forschung geben können. Das werde ich auch weiterhin mit genau so viel Enthusiasmus wie bislang tun.

Das Gespräch führten Albert Funk, Anja Kühne und Hartmut Wewetzer.

Edelgard Bulmahn (53), Bundesministerin für Bildung und Forschung, ist seit

Beginn der rot-grünen Koalition im Oktober 1998 im Amt.

Sie ist Studienrätin.

-

Zur Startseite