zum Hauptinhalt

Gesundheit: Biowaffen: Der schwarze Tod

Den 23. Mai dieses Jahres werden die Ärzte und Krankenschwestern der Stadt Denver im US-Bundesstaat Colorado so schnell nicht vergessen.

Den 23. Mai dieses Jahres werden die Ärzte und Krankenschwestern der Stadt Denver im US-Bundesstaat Colorado so schnell nicht vergessen. Unvorbereitet und aus heiterem Himmel lösten die Gesundheitsbehörden Katastrophenalarm aus. Terroristen hatten mitten in der Stadt Pestbakterien in Form eines Aerosols freigesetzt - so das Drehbuch eines Seuchenplanspiels.

Zum Thema Foto-Tour: Milzbrand weltweit Online Spezial: Bio-Terrorismus Stichwort: Milzbrand Hintergrund: Seuchenexperten Web-Link: Robert-Koch-Institut Zwei Tage später wurden die ersten Menschen krank. Am Ende des dritten Tages, als die Pestepidemie "offiziell" bestätigt wurde, gab es in den 22 Akutkrankenhäusern der Stadt bereits 783 fiktive Patienten mit Lungenpest. 126 waren im Laufe der vergangenen 24 Stunden gestorben. Am nächsten Tag stieg die Zahl der Pestkranken auf 1871, am dritten Tag waren es 3060.

Ressourcen schnell erschöpft

Als die Übung nach 84 Stunden abgebrochen wurde, waren auf dem Papier trotz intensiver medizinischer Maßnahmen 950 Menschen an Lungenpest gestorben. "Da wir in Colorado regelmäßig Fälle von Beulenpest in unseren Krankenhäusern betreuen", sagt Richard Hoffman, der leitende Gesundheitsbeamte und Epidemiologe des Bundesstaats, "dachten wir, auf einen Ernstfall gut vorbereitet zu sein. Aber die kurze Inkubationszeit bei einer Übertragung von Mensch zu Mensch und die stark ansteigenden Fallzahlen haben die medizinischen Ressourcen binnen Stunden erschöpft".

Ein unlösbares Problem war nicht nur die Rekrutierung von medizinischem Personal (obgleich 25 in Katastrophenmedizin geschulte Ärzte und 1050 hauptamtliche Mitarbeiter des öffentlichen Gesundheitssystems an der Simulation der Pestepidemie beteiligt waren). Auch so simple Fragen wie die, wer von den zigtausend Kontaktpersonen der fiktiven Pestkranken mit Antibiotika versorgt werden sollte und wer nicht (die Medikamentenbestände reichten nur für einen Bruchteil des Bedarfs), führten zu langwierigen Diskussionen unter den Leitern der beteiligten Institutionen.

Und gleich heillos zerstritt man sich in puncto Quarantänemaßnahmen. Da im Laufe der Übung die Meldung von Neuerkrankungen den "tatsächlichen" Fallzahlen immer mehr hinterher hinkte, entschloss sich die Einsatzleitung zu einem drakonischen Schritt. Per Dekret wurden alle zwei Millionen Einwohner von Denver unter Hausarrest gestellt - eine Maßnahme, die bei einer realen Epidemie wohl nicht durchzuhalten wäre.

Die Pestalarmübung in Denver - rund 15 Wochen vor dem terroristischen Anschlag in New York und Washington und fünf Monate vor dem ersten Anthrax-Fall in Florida - war kein obskurer Einfall gelangweilter Beamten, die ihren Apparat auf Trab bringen wollten. Bereits im Mai des Vorjahres hatte ein Gremium amerikanischer Mediziner in der Fachzeitschrift der American Medical Association darauf hingewiesen, dass man auf eine bewusst herbei geführte Freisetzung von Pestbakterien nicht ausreichend vorbereitet sei. Genau deshalb wollten die Gesundheitsbehörden von Colorado die Probe aufs Exempel machen - und bestätigten mit ihrer im Fiasko geendeten Übung die Befürchtung der Experten.

50 Kilogramm Bakterien

Bereits 1970 hatte die Weltgesundheitsorganisation WHO ein erstes Szenario mit Pestbakterien durchgespielt. 50 Kilogramm eines fiktiven Aerosols mit "Yersinia pestis" wurden über dem Zentrum einer Fünf-Millionen-Stadt freigesetzt. Auch hier warfen die Experten nach einer Schreckensbilanz von 120 000 Schwerstkranken und 36 000 Todesfällen innerhalb von zehn Tagen das Handtuch.

Das Planspiel der Gesundheitsbeamten aus Genf passte ganz in die Zeit des Kalten Krieges, hatte gleichwohl einen realen Hintergrund. Im Zweiten Weltkrieg warf ein japanisches Spezialkommando mit Pestbakterien infizierte Flöhe über dicht besiedelten Gebieten Chinas ab und verursachte dadurch mehrere Pestepidemien in der Bevölkerung.

Einige Jahre später wurden in der Sowjetunion im Rahmen des "Biopräparat-Programms" weitaus wirkungsvollere Techniken entwickelt, um den Erreger über Wohngebieten freisetzen zu können. Die Militärführung hatte die feste Absicht, im Falle eines Krieges mit den USA die gefährlichen Bakterien gleich zentnerweise mittels Raketensprengköpfen zu verteilen.

An der dafür notwendigen großtechnischen Herstellung und Aufbereitung des Pesterregers "Yersinia pestis" arbeiteten mehrere Tausend Wissenschaftler in zehn Forschungsinstituten. Ob auch der Irak vor dem Golfkrieg in seinem ungeahnt breiten Arsenal biologischer Kampfstoffe Pestbakterien hatte, ist unklar, aber durchaus möglich. Immerhin hatte Saddam Hussein bereits 20 000 Liter Botulinumtoxin und 8000 Liter Anthraxsporen herstellen lassen.

Warum gerade die Pestbakterien auf der Hitliste möglicher B-Waffen weit oben stehen, wird aus den biologischen Merkmalen des Erregers verständlich. "Yersinia pestis" ist leicht zu beschaffen, einfach zu vermehren und als Biowaffe so ökonomisch wie effizient: Bereits 100 bis 500 eingeatmete Keime reichen aus, eine Lungenpest zu verursachen. (Damit sich Milzbrand entwickelt, müssen dagegen 8000 bis 50 000 Sporen in die Atemwege aufgenommen werden).

Da der Erreger, außer in Australien, in allen Kontinenten vorkommt - jährlich rund 1700 Fälle von Pest wurden der WHO in den letzten 50 Jahren gemeldet -, kennt man die Charakteristika bei natürlich auftretenden Erkrankungen genau. In den USA beispielsweise stellt die Beulenpest mit 84 Prozent der Fälle das Gros, gefolgt von einer Blutvergiftung (13 Prozent). Nur rund jeder fünfzigste Patient erkrankt an einer Lungenpest. Die Todesfallrate bei den verschiedenen Krankheitsformen beträgt etwa 14, 22 und 57 Prozent.

Nur knapp zwei Prozent Überlebende

Da im Falle eines bioterroristischen Anschlags nahezu ausschließlich Fälle von Lungenpest erwartet werden, ist hier mit vielen Todesopfern zu rechnen. Dies zeigte sich auch bei einer kleineren Epidemie von Lungenpest in Madagaskar im Jahre 1997, als acht der achtzehn Erkrankten starben. In Zeiten, als es noch keine Antibiotika gab, war das Schicksal der Lungenpestkranken so gut wie besiegelt. So überlebten bei einer Epidemie in der Mandschurei zwischen 1910 und 1911 nur etwa 1000 der rund 60 000 Erkrankten.

Da nach der Aufnahme der Bakterien über die Atemwege zwei, höchstens drei Tage vergehen, bis erste, schwere Krankheitszeichen auftreten, ist eine rasche Diagnose wichtig, um die Epidemie eindämmen zu können. Auch bei diesem Problem legte die amerikanische Expertengruppe im Mai 2000 den Finger in die Wunde. Es fehlen demnach labordiagnostische Methoden, um die Erreger rasch und zuverlässig zu erkennen. Konventionelle Anzüchtungsverfahren zeigen nämlich erst nach 24 bis 48 Stunden Ergebnisse. Noch schlimmer: die in den meisten bakteriologischen Labors heute eingesetzten Automaten, mit denen Keime identifiziert werden können, verwechseln den Erreger möglicherweise mit anderen, banalen Keimen. Sechs Tage könnten dann bis zu einem endgültigen Ergebnis vergehen. Eine untragbar lange Zeit.

Bedenklich stimmt auch, dass es nirgends auf der Welt einen zugelassenen Pestimpfstoff gibt. Die bis 1999 in den USA lizenzierte Vakzine wurde vom Markt genommen, weil sie starke Nebenwirkungen zeigte und zudem nicht zuverlässig vor Lungenpest schützte.

Nur in puncto Therapie sehen die Forscher einen Silberstreif am Horizont. Ein halbes Dutzend hochwirksamer Antibiotika gegen "Yersinia pestis" hat die Infektionsmedizin in petto. Bei der Beulenpest ist die Wirksamkeit gut dokumentiert, für die Lungenpest fehlen bisher systematische Untersuchungen. In USA und Europa gibt es allerdings nur noch geringe Vorräte des derzeitigen Medikaments der Wahl, einem Antibiotikum namens Streptomycin. Infektionsmediziner halten das 55 Jahre alte Medikament seit langem für "überholt" und haben es längst aus den Krankenhausapotheken verbannt.

Unter Behandlung mit Antibiotika entwickeln sich bei "Yersinia pestis" Resistenzen. Die Erreger sind dann unempfindlich gegen Medikamente. Solche vielfach resistenten Stämme wurden kürzlich von Pestpatienten in Madagaskar isoliert. Auch die als großer Fortschritt gefeierte Aufklärung des Genoms von Yersinia pestis könnte sich letzten Endes als Bumerang erweisen. Liegt der Bauplan des Erregers nämlich vollständig vor, so lassen sich auch jene Teile erkennen und verändern, die die Resistenzen gegen Antibiotika bestimmen. Zumindest am molekularbiologischen Reißbrett erscheint es dann möglich, mehrfach resistente Pesterreger herzustellen.

Die Waffe des armen Mannes

Die Anschläge mit Milzbrand-Sporen in den USA zeigen, dass auch die gewollte Freisetzung von Pestbakterien eine reale Gefahr sein könnte. Schreckensszenarien wie das im Mai in Denver durchgespielte sind allerdings unwahrscheinlich. Zwar erscheint "Yersinia pestis" im Arsenal biologischer Kampfstoffe eher wie die "Waffe des armen Mannes". Um aber den Erreger in großen Mengen züchten und wirksam freisetzen zu können, benötigt man mehr als ein Labor in der Waschküche.

Da sich die natürlich vorkommenden Erreger stark in ihrer krankmachenden Wirkung unterscheiden, braucht man hohes Fachwissen, um todbringende Varianten und eher ungefährliche auseinander zu halten. Schließlich ist es ohne gute Infrastruktur nicht möglich, die extrem kleinen Partikel in einer Art Nebelwolke wirksam freizusetzen. Dieses Know-How ist nur an wenigen Forschungsinstituten vorhanden.

Hermann Feldmeier

Zur Startseite