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Gesundheit: Blick über die Grenze

Zukunftspreis für supergenaues Lichtmikroskop

Stefan Hell hat Grenzen überschritten, er hat eine vor 133 Jahren aufgestellte physikalische Regel widerlegt. Der Physiker des Göttinger Max-Planck-Instituts (MPI) für Biophysikalische Chemie hat ein Lichtmikroskop gebaut, das Objekte im Bereich von wenigen Nanometern (millionstel Millimeter) schärfer abbilden kann, als es der große Wissenschaftler Ernst Abbe 1873 behauptet hat.

Jetzt steht der 43-jährige MPI-Direktor, mit randloser Brille und den wenigen Haaren, lachend auf dem Podium und hält den Pokal in den Händen. Es ist der mit 250000 Euro dotierte Zukunftspreis des Bundespräsidenten, den ihm Horst Köhler gerade überreicht hat. „Ihre Ideen sind der Stoff, aus dem die Zukunft unseres Landes ist“, hatte der Bundespräsident gesagt. Dabei hatte er so strahlend gelächelt, dass man ihm die Freude über die innovative Erfindung abnahm, die am gestrigen Donnerstagabend im Berliner Congress Centrum am Alexanderplatz präsentiert wurde.

Vier Projekte waren vor zwei Monaten nominiert worden. Es ging um Nachtsichtassistenten fürs Auto, Hirnschrittmacher für Parkinson-Patienten und ein System, das mit Laserstrahlen biologische Proben berührungsfrei gewinnen kann. Und es ging um Hells Mikroskop, dessen Schärfe nicht mehr von der Wellenlänge des Lichts begrenzt ist. Nach der Abbeschen Beugungsgrenze, wie sie in den Physiklehrbüchern steht, können Objekte, die enger als die halbe Wellenlänge des Lichts (200 Nanometer) zusammen liegen, nicht mehr scharf abgebildet werden.

Nur Elektronenmikroskope konnten bisher so kleine Bereiche wie Moleküle oder Atome sichtbar machen. Damit kann man auch in Zellen hineinschauen, aber nicht in lebende. Denn diese werden durch das dafür notwendige Vakuum und die Strahlenbelastung abgetötet. Solche Probleme vermeidet das Fluoreszenzmikroskop, das Hell weiterentwickelte.

Dabei wird die zu untersuchende Probe mit leuchtfähigen (fluoreszierenden) Stoffen markiert und mit Licht einer bestimmten Wellenlänge zum Leuchten gebracht. Das Fluoreszenzlicht ist im Mikroskop zu sehen. Hells Trick besteht nun darin, nur das Zentrum, das von der Linse erfasst wird, als scharfen Fleck zum Leuchten zu bringen. Die umliegenden Moleküle werden dagegen energetisch „abgeregt“, dieser Bereich bleibt dunkel. „Stimulierte Emissionslöschung“ nennt man das Verfahren und entsprechend der englischen Abkürzung spricht Hell von STED-Mikroskopen.

Damit erzielte das Team um Hell schon Auflösungen von 20 Nanometern. In dieser Größenordnung werden Proteine sichtbar, die molekulare Skala des Lebens rückt ins Blickfeld. „Wir können anschauen, was in lebenden Zellen passiert", erklärt Hell. Die Ursachen von Krankheiten lassen sich leichter entschlüsseln. Neben der Anwendung in der Biologie und Medizin sieht Hell auch Potenzial bei technischen Mikrostrukturen. „Wir wollen ausloten, ob man es für Computerchips verwenden kann“, sagte der Preisträger dem Tagesspiegel. Diese Arbeit sei aber noch sehr in der Frühphase. Im Vordergrund stehe die biomedizinische Anwendung, für die Hell „enormen Bedarf“ sieht.

Patente hat er sich schon frühzeitig gesichert. Jetzt entwickelt die in Weimar und Mannheim produzierende Leica Microsystems GmbH die STED-Mikroskopie weiter. Die Markteinführung des schätzungsweise 800 000 Euro teuren Geräts ist für nächstes Jahr geplant. Das entspricht der Zielsetzung des Zukunftspreises. „Wir wollen zukunftsweisende Erfindungen auszeichnen, die Wissenschaftler zu marktfähigen Produkten entwickelt haben“, sagte der Bundespräsident.

Paul Janositz

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