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Gesundheit: Bloß keine Blumen

Seit einigen Jahren zertifiziert das Charité-Zentrum ECARF Einrichtungen, die allergikerfreundlich sind Was bedeutet das? Unser Autor hat ein Berliner Hotel besucht – und reizstoffarme Zimmer gefunden.

Peter Gebhardt ist Koch – ein Knochenjob zwischen engen Lieferterminen, heißem Dampf und hungrigen Gästen. Doch anders als viele andere Küchenchefs muss Gebhardt außerdem noch eine Liste im Auge behalten, die im Mercure Hotel in der Invalidenstraße in Mitte höchste Aufmerksamkeit genießt: 34 Zutaten stehen darauf, die verbreitetsten 34 Auslöser für Allergien, je nach Gast sind das 34 Stolpersteine auf dem Weg zum guten Essen.

Und so muss Mercure-Koch Gebhardt immer genau wissen, welche Nahrungsmittel in seinen Kühlschränken etwa Milch, Pfeffer, Weizen oder Ei enthalten – weil diese Allergien auslösen können. Es gibt nur wenige Nahrungsmittel, gegen die Menschen fast nie allergisch sind, etwa Blattsalate und Reis. Gebhardt muss beispielsweise darauf achten, ob seine Äpfel gewachst wurden, denn selbst darauf reagieren einige allergisch. Und auch Bratensaucen verträgt nicht jeder Gast, weil darin oft Mehl enthalten ist. „Man lernt viel“, sagt Gebhardt.

Das Mercure in Mitte ist eines von zehn Berliner Häusern, die sich offiziell als allergikerfreundliche Unterkunft bezeichnen können. Seit mehr als einem Jahr führt das Hotel das Siegel der European Centre for Allergy Research Foundation (ECARF), ein Zentrum, in dem Experten der Charité arbeiten. Sie befürchten, dass Allergien in der Öffentlichkeit eher bagatellisiert würden. „Bald ist fast jeder Dritte betroffen, vor allem was Allergien der Atemwege und auf bestimmte Nahrungsmittel betrifft“, sagt Torsten Zuberbier, Chef der Charité-Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie und einer der Köpfe bei ECARF. Viele Deutsche sind sogar von mehreren Allergien betroffen, etwa auf verschiedene Nahrungsmittel.

„Allergien sind Zivilisationskrankheiten, bei 80-Jährigen treten sie deshalb seltener auf als bei 20-Jährigen“, erklärt Zuberbier. Der Mediziner weist auch auf die Folgen des Klimawandels hin. „Wegen des milden Wetters leiden in diesem Januar beispielsweise schon tausende Berliner unter den Pollen der Haselblüten“, sagt Zuberbier. In drei oder vier Jahren könnte Schätzungen zufolge schon jeder zweite Bundesbürger an einer Allergie leiden. Der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie zufolge werden nur zehn Prozent der Betroffenen richtig behandelt, schon weil nicht alle Fälle korrekt erkannt werden. Das Qualitätssiegel der ECARF soll helfen, allergikerfreundliche Produkte und Dienstleistungen zu erkennen.

Als Allergien werden Abwehrreaktionen des gereizten Immunsystems bezeichnet. Diese Reaktionen erfolgen auf bestimmte und normalerweise harmlose Stoffe in der Umwelt, die sogenannten Allergene. Kontakt mit ihnen äußert sich in typischen, oft mit Entzündungen einhergehenden Symptomen. Besuche in Hotels können für Allergiker besonders problematisch werden: Hatte der letzte Gast vielleicht einen Hund dabei? Liegt irgendwo nicht doch ein bisschen Staub? Und was ist mit den Pollen der Hotelblumen? In Zimmer 503 des Mercure steht René Benkenstein, Vizedirektor des Hauses. Der Raum wirkt freundlich, fast warm, obwohl er – biologisch gesehen – nahezu tot ist. Parkett statt Teppich, Lederbezüge statt Stoff, Bilder statt Pflanzen – alles abwischbar. Seife und Shampoo sind allergikerfreundlich. „Und bei uns herrscht selbstverständlich Hundeverbot“, sagt Benkenstein.

Hat ein Hotel, ein Gerätehersteller oder ein Lebensmittelhändler das Siegel bekommen, wird er von den ECARF-Experten regelmäßig überprüft. Schon 2008 hatte das Ostseebad Baabe auf der Insel Rügen das Gütesiegel bekommen. Die Auszeichnung einer allergikerfreundlichen Gemeinde war seinerzeit einzigartig. Inzwischen sind Urlaubsorte im Schwarzwald hinzugekommen. Öffentliche Gebäude, Gaststätten und Sportanlagen werden dazu auf Allergieauslöser überprüft. Wer das Siegel will, meldet sich bei den Fachleuten der ECARF. Diese prüfen, ob sich Anbieter tatsächlich die Mühe machen, Auslöser bekannter Allergien aus ihren Räumen und von ihren Produkten zu verbannen. „Wir zeichnen Produkte aber nur dann mit dem Siegel aus, wenn sie das tägliche Leben von Allergikern verbessern“, sagt Zuberbier. Die allergikerfreundlichen Angebote sollten deshalb nicht teurer als andere handelsübliche Produkte aus dem Segment sein.

Ein Einzelzimmer im Mercure kostet je nach Saison zwischen 79 und 209 Euro, was in der Hauptstadt üblich ist. „Wir sind zu knapp 80 Prozent ausgebucht“, sagt Vizehoteldirektor Benkenstein. Ihm zufolge kommen viele seiner Gäste aus den Bundesämtern in Bonn zu Dienstbesuchen nach Berlin. Nicht alle steigen im Mercure ab, weil sie Allergiker sind. Allerdings, berichtet Benkenstein, hätten durchaus schon Besucher vor dem Check-in angerufen und sich als „laktosefreie Reisegruppe“ angekündigt.

Informationen zu allergikerfreundlichen Orten, Produkten und Dienstleistungen im Internet unter www.ecarf.org

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