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Gesundheit: Botanik: Pflanzensammler im Schutz der Armee

Wer hierzulande von weltumspannender Forschung spricht, zitiert oft Alexander von Humboldt. Dieses Genie eröffnete mit seinen Reisen nach Südamerika um 1800 herum ein neues Kapitel der deutschen Wissenschaft.

Wer hierzulande von weltumspannender Forschung spricht, zitiert oft Alexander von Humboldt. Dieses Genie eröffnete mit seinen Reisen nach Südamerika um 1800 herum ein neues Kapitel der deutschen Wissenschaft. Doch vor Humboldt waren schon Hunderte nach Westindien oder nach Fernost gereist, hatten Afrika erkundet. Sie stammten meist aus Frankreich, Spanien, Holland oder England. Als diese Nationen ihre Kolonialreiche schufen, waren die deutschen Fürsten noch mit Kleinkrieg beschäftigt, also fehlten den deutschen Botanikern, Geografen und Händlern wichtige Schutzmächte. Erst nach 1800 reisten verstärkt deutsche Expeditionen ins Ausland, um zu sammeln, zu dokumentieren und auszugraben. Humboldt war übrigens in der Botanik zu wenig bewandert, deshalb begleitete ihn der Franzose Aimé Bonpland auf seine Expeditionen.

"Die Leitwissenschaft des Zeitalters der großen Entdeckungen war die Botanik", meinte Londa Schiebinger, Wissenschaftshistorikerin an der Universität von Pennsylvania. Im Potsdamer Einstein Forum trafen sich Experten, um die Rolle der Botaniker bei der Eroberung fremder Länder und der Legitimation dieser Kriegszüge in Europa zu beleuchten.

Am Ausgang des Mittelalters um 1600 erlebte die Botanik in Europa einen Aufschwung. Vorher galt die Kenntnis von Heilpflanzen oder botanischen Drogen als Geheimwissen von Klöstern. Die katholische Inquisition hatte die "Hexen", die als weise Medizinfrauen über Jahrtausende ihr Wissen gesammelt und weiter gegeben hatten, erfolgreich ausgeschaltet. Diese weisen Frauen waren auch als Expertinnen für Empfängnisverhütung und als Hebammen tätig. Nach den Pogromen stieg die Geburtenrate in Europa explosionsartig an.

Europas Bevölkerung wuchs

Die Entdeckung Amerikas durch Columbus 1492 war das Werk einer kleinen Abenteurerschar, die den stürmischen Atlantik in einer Nussschale bezwangen. 100 Jahre später dagegen standen bereits Menschenmassen an den Kais von Lissabon, Cadiz und London bereit, um zu Tausenden überzusetzen, um Kolonien zu erobern und sich in den Neuen Welten einzurichten. Zugleich stieg der Bedarf an Nahrungsmitteln in Europa an, die chronischen Hungersnöte waren ein wesentlicher Auslöser für die englische Revolution oder die Erstürmung der Bastille im Jahr 1789. Ohne den Überschuss an Menschen in der Alten Welt wären der Aufschwung der Seefahrt und des Handwerks, wären auch stehende Heere und die Vielzahl Forschungsreisender nicht möglich gewesen.

Gehörte das Mittelalter den Bauern und dem Landadel, so stand die neue Ära ganz im Zeichen des sich formenden Händlertums, die ersten Börsen entstanden. "Im 17. Jahrhundert war die Holländische Ostindien-Handelsgesellschaft eine wesentliche Quelle für neue Informationen über die natürlichen Gegebenheiten in Asien", sagte Harold Cook vom University College in London. "Viele Informationen stammten dabei aus erster Hand, aus eigener Beobachtung der Händler selbst." In dieser Zeit entstand der Typus des modernen Wissenschaftlers, der stets auf der Suche nach potenten Sponsoren ist. Unzählige Globetrotter nutzten die Arbeitsverträge mit den großen Handelsgesellschaften oder mit den Militärs, um nebenbei ihrem Forscherdrang nachzugehen.

Im Dienste der Holländischen Ostindien-Kompagnie war beispielsweise Jacob Bontius unterwegs, Sohn eines Medizinprofessors an der Universität in Leiden. Bontius gilt heute als herausragender Botaniker und Arzt seiner Zeit. Um sich in Batavia (heute Jakarta) ungehindert bewegen zu können, diente er sich Jan Pietersz Coen an, dem brutalen Chef der Handelskompagnie in Fernost. Unter seinem Schutz konnte Bontius die Gewürzinseln und Timor bereisen, in Europa wurde er dafür als Held gefeiert. Zurückgekehrt nach Leiden, nahm er einen Lehrstuhl an. Den Terror der Holländer in Indonesien übersah er dabei geflissentlich.

Die meisten Forscher zweifelten damals nicht an der geistigen Überlegenheit der Europäer. Oft waren es auch Missionare, die sich als Botaniker, Zoologen und Völkerkundler betätigten, wie die Jesuiten in China oder im heutigen Brasilien. Dabei standen die wirtschaftlich interessanten Pflanzen im Vordergrund: Exotische Gewürze, Zimt, Früchte, Tabak, Zucker, Kaffee, Tee, Kautschuk oder Kakao. Das versprach den Forschern die meisten "Drittmittel", ihren Sponsoren die höchsten Gewinne. Nicht länger waren die europäischen Mächte auf die Landwege durch Vorderasien angewiesen, die über Jahrhunderte von den Arabern und den Indern dominiert wurden. Der Handel mit Tee aus Asien, Zuckerrohr und Kaffee aus Südamerika und Kokosnüssen aus Südafrika führte zum internationalen Wettrennen um die schnellsten Schiffe. Europa machte sich von der Versorgung aus seinen Kolonien abhängig, dehnte seine Vorherrschaft auf die ganze Welt aus.

Der Darwinismus wird geboren

Mitte des 18. Jahrhunderts legte der schwedische Arzt Carl von Linné in Uppsala eines der größten Herbarien der Wissenschaftsgeschichte an. 1744 schickte er einen Studenten nach Nordamerika, um in der Hudson Bay nach Nutzpflanzen zu suchen, die auch im skandinavischen Klima gedeihen konnten. Keine der Pflanzen, die der junge Pehr Kalm mit heimbrachte, ließ sich in Schweden kultivieren. Doch Linné konnte seine Sammlung um 90 Pflanzenarten aus der Neuen Welt bereichern. Er war es, der den Begriff der "Art" überhaupt erst einführte, seine Nomenklatur gilt als Geburtsstunde des modernen Darwinismus. "In dieser Zeit waren die Forschungsreisenden schon oft mit Messgeräten ausgestattet, um die klimatischen Bedingungen der Pflanzen zu bestimmen und vergleichbar zu machen", sagte Marie-Noëlle Bourguet, Historikerin an der Denis-Diderot-Universität von Paris. Die Botanik stand somit auch am Beginn der modernen Großgeräteforschung.

Heiko Schwarzburger

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