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Gesundheit: Brustkrebs: "Die Diagnose ist der größte Schock"

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"... und als er dann zurückkam, wollte er sich in diesem Warteflur mit mir über meine Lebensperspektiven unterhalten." Eine Frau berichtet darüber, unter welchen Umständen ihr ein Klinikarzt die Diagnose Brustkrebs eröffnen wollte: Ein Gespräch, für das kein eigener Raum und kaum Zeit beansprucht werden konnte.

Die 42-Jährige mit dem Decknamen Lisa ist eine von 13 Betroffenen, die die Berliner Soziologin Silke Kirschning für ihre Doktorarbeit ausführlich interviewte. Dabei erfuhr sie, dass es nicht genügt, ein einzelnes "Aufklärungsgespräch" genauer unter die Lupe zu nehmen, wenn man wissen will, wie die Diagnose Brustkrebs heute von Ärztinnen oder Ärzten in Klinik oder Praxis einer Frau und ihren Angehörigen übermittelt wird.

"Die Diagnoseeröffnung verläuft prozesshaft, oft vergehen Monate zwischen Verdacht und Gewissheit", sagt die Sozialwissenschaftlerin und Mitbegründerin der Brustkrebs-Initiative e.V., die inzwischen an der Humboldt-Universität tätig ist. Auch die Auseinandersetzung mit der Diagnose ist ein Prozess: Als "Aneignungsarbeit" im ständigen Kampf gegen den Wunsch nach Verdrängung beschreibt ihn Kirschning.

Das Buch, das aus den Nachforschungen entstand, trägt den sprechenden Titel "Brustkrebs - Der Diagnoseprozess und die laute Sprachlosigkeit der Medizin" (Verlag Leske und Budrich 2001, 39 Mark, ISBN 3-8100-3100-3). Die Autorin, die auch Klinikärzte und Gesundheitswissenschaftler befragte, beschreibt darin nicht nur den vielfach unbefriedigenden Ist-Zustand, sondern will Ansätze für gelungenere Verständigung zeigen. Anlass genug für den Verlag, zu einer Podiumsdiskussion ins Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung einzuladen.

"Der Spezialist kann nicht alles"

Dort schlug eine prominente Betroffene aber auch ganz andere Töne an. "Wir dürfen vom Spezialisten nicht erwarten, dass er Dinge tut, die nicht von ihm geleistet werden können." Brandenburgs streitbare Ex-Gesundheitsministerin Regine Hildebrandt verteidigt die "sprachlosen" Mediziner. Außerdem: "Was heißt schon sensible Information? Die Patientinnen sind sehr unterschiedlich!"

Für sie sei am wichtigsten gewesen, dass so schnell wie möglich gehandelt wurde, und das kompetent. Ein Anliegen, das sie auch als Ministerin durch die Organisation überschaubarer Versorgungsketten, vom Tumorzentrum über den niedergelassenen Onkologen bis zur Reha-Klinik verfolgt habe.

Hatte die oben zitierte Lisa ihre Frauenärztin gelobt, die sich später die Zeit nahm, in entspannter Atmosphäre bei einer Tasse Kaffee zu erklären, was nun auf die Brustkrebs-Patientin zukommen werde, so meinte Regine Hildebrandt nur nüchtern, ihr liege nichts am guten Kaffee, wenn dafür ein "Feld-, Wald- und Wiesen-Arzt" die Mammografie mache. Statt dessen habe sie lieber versucht, in wissenschaftliche Studien aufgenommen zu werden: "Ich bin eben Naturwissenschaftlerin."

Den Befund diktiert

Dass es aber gerade Frauen "vom Fach" passieren kann, von ihren Mediziner-Kollegen heillos überfordert und menschlich schnöde abgefertigt zu werden, wenn sie zur Brustkrebs-Patientin werden, erzählte die Ärztin und Psychodramatherapeutin Cornelia Hinrichsen von der Brustkrebs-Initiative: "Ach, Sie sind ja Kollegin. Dann hören Sie einfach mal zu, während ich den Befund diktiere." So sah bei ihr die Aufklärung aus.

Ernst von Kardorff, geschäftsführender Direktor des Instituts für Rehabiliationswissenschaften der HU, berichtete aus eigenen Untersuchungen, dass "hochgradige Arbeitsteilung", die den modernen Kliniksalltag bestimmt, auch zur "zerstückelten Beratung" führt: "Kann man in einer solchen Situation, in der das System noch dazu Hektik produziert, überhaupt zuhören?" Dringt man zu dem Problem vor, das wirklich persönlich und letztlich entscheidend ist? Die Politologin Monika Butterbrod von der Brustkrebs-Initiative erinnerte sich und die Anwesenden an diese Frage aller Fragen: "Was heißt das in meinem Fall: Sie haben Brustkrebs?"

Da sprach dann auch Regine Hildebrandt von der "knallharten Erkenntnis, Krebs zu haben". Und es wurde schließlich spürbar, warum ihr die Kritik an unsensiblen Ärzten und Hektik auf Krankenhausfluren nicht behagte und nicht genügte: "Die Diagnose ist der Schock, nicht der Arzt."

Fairerweise sollten Kritiker des Krankenhausbetriebs daran denken: Das Überbringen schlechter Nachrichten ist eine schwere und undankbare Aufgabe, die in der Antike bisweilen sogar mit dem Tod bestraft wurde. Andererseits konfrontiert die Diagnose Krebs auch den Empfänger der Nachricht mit nicht weniger als dem Tod. Insofern klingt Monika Butterbrods Forderung nicht gerade übertrieben: "Gute Aufklärung und Beratung gehören in die Qualitätskette."

Adelheid Müller-Lissner

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