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Gesundheit: Buckelwale singen auch

Hirnforscher erklären, wie Musik im Kopf entsteht

„Man wird weder satt davon, noch bringt Musik einen unmittelbaren Überlebensvorteil“, sagt Manfred Spitzer. Der Ulmer Psychiater liebt Musik dennoch. Etwa, weil sie im Gehirn Spuren hinterlässt, die man mit moderner Bildgebung, im „Hirnscanner“, sichtbar machen kann. So nimmt die Region in der Großhirnrinde, die die Hände repräsentiert, bei Musikern besonders viel Platz ein. Diese Hirnregion bekommt größere Bedeutung, weil Musiker beim Üben immer wieder die Hände benutzen.

„Musizieren ist eine monomane Beschäftigung, wir haben es hier mit drastischen Fällen von heftigem Lernen zu tun“, sagt Spitzer. Der Neurowissenschaftler, Hobbymusiker und Autor des Buches „Musik im Kopf“ traf sich im Rahmen der „Kulturellen Dialoge“ am Dienstag in der Akademie der Künste mit dem Komponisten Georg Katzer. Bei dem Gespräch über Musik und Gehirn ging es auch um Buckelwale. Denn diese Meeressäuger können neue Gesänge lernen, wenn „Kollegen“ aus einem anderen Ozean sich zu ihnen verirren und sie mit ihren Melodien begeistern.

„Beim Musizieren ist das gesamte Gehirn aktiv. Hat das auch Einfluss auf die Intelligenzentwicklung?“, fragte der Komponist. Spitzer verwies auf eine kanadische Studie, wonach Kinder tatsächlich intelligenter werden, wenn sie Mozart hören. Vor allem aber vermittle das aktive Musikmachen den Kindern die Erkenntnis: „Sich anzustrengen nützt etwas!“ Wer gut geübt hat, kann auf den Applaus des Publikums hoffen, er kann mit anderen zusammen spielen und seinen Spaß dabei haben. „Musik aktiviert das Belohnungszentrum im Kopf.“ Dennoch sollte das Musikmachen nicht als Mittel zum Zweck verstanden werden. „Musik sollte man nicht instrumentalisieren, sondern instrumentieren.“

Aus einer Druckwelle, die unser Ohr erreicht, wenn das Orchester spielt, werden Nervensignale, die über viele Schaltstellen zu jenen Instanzen in unserem Gehirn gelangen, die uns schließlich zur Bewertung führen: Diese Musik hat mich ins Herz getroffen! Genauso wenig, wie man sich an Lärm gewöhnen kann, gewöhnt sich der Mensch an eine Abfolge schöner Töne, davon ist der Neurowissenschaftler überzeugt. So gesehen könne man nicht oft genug in Konzerte gehen. „Investieren Sie nicht in Sachen, sondern in Erlebnisse, die sind es nämlich, die Sie glücklich machen.“

Melodien und Harmonien sieht Spitzer als „kulturelle Ausgestaltungen in einem biologischen Rahmen“, sie seien weder vollkommen naturgegeben noch völlig beliebig. Auf der Seite der Kultur seien die Jüngeren die treibenden Kräfte, die Neuerungen einbringen. „Wenn Sie merken, dass Sie die Musik der jungen Menschen nicht mehr verstehen, dann sind Sie alt“, meint der Vater von fünf Kindern (Jahrgang 1958). Wer nicht darin geübt ist, die feineren Strukturen neuer Musik analytisch mit der linken Hirnhälfte zu erfassen, mochte sich allerdings an diesem Abend beim Hören der „Fünf Bagatellen“ von Georg Katzer (Jahrgang 1935) schon etwas älter fühlen.

Übrigens kam Spitzer beim lockeren Plaudern mit dem Komponisten am Ende doch auf einen möglichen Überlebensvorteil, den das Musizieren bringen könnte. Nach der „ Handicap-Theorie“ der Evolutionsbiologen kann ein Pfau potenzielle Partnerinnen dadurch beeindrucken, dass er es sich leisten kann, nutzloses Gefieder mit sich herumzuschleppen. Das zeigt nämlich, wie fit er ist. Könnte es da – fragt Spitzer – für den Homo sapiens nicht auch einen Fortpflanzungsvorteil bringen, „etwas so Nutzloses zu machen wie Musik“?

Adelheid Müller-Lissner

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