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Gesundheit: Dahlemer Empörung

Anfang vom Ende? Forscher werten die Schließung der Vorklinik als herben Rückschlag

Wenn es um wissenschaftliche Durchbrüche geht, reden Forscher gern von einer „kritischen Masse“, die erreicht werden muss. Der Ausdruck stammt aus der Kernforschung. Ist genügend Uran vorhanden, so kann eine Kettenreaktion in Gang gesetzt werden. Übersetzt heißt das: Kommen ausreichend viele helle Köpfe zusammen, entsteht ein explosives Gebräu revolutionärer wissenschaftlicher Ideen. Neue Horizonte öffnen sich.

Im Berliner Stadtteil Dahlem arbeiten Forscher seit Jahren an der kritischen Masse. Aber ihr Thema ist nicht die Kernspaltung – die 1938 in eben diesem Dahlem zum ersten Mal glückte –, sondern ein neues, systematisches Verständnis der Lebensvorgänge. Wissenschaftler der Freien Universität, zweier Max- Planck-Institute, des Konrad-Zuse-Instituts und anderer Einrichtungen arbeiten zusammen, es geht um das Entziffern von genetischen Codes und elementaren Lebensprozessen. Physiker, Mathematiker, Mediziner, Informatiker, Chemiker, Biologen – alle vernetzen sich auf dem „Biocampus Dahlem“, um das Netzwerk des Lebens zu entwirren. Und die Zusammenarbeit klappt gut. Bisher.

Diesen Hintergrund muss man kennen, wenn man die Verärgerung, ja Empörung verstehen will, die in den Labors im Berliner Südwesten die Entscheidung des Senats ausgelöst hat, die Vorklinik der Charité in Dahlem zu schließen und ganz nach Mitte zu verlegen. Im vorklinischen Teil lernen die angehenden Mediziner die natur- und sozialwissenschaftlichen Grundlagen: Anatomie, Physik, Chemie, Biochemie, Physiologie, Psychologie. Nach vier Semestern Vorklinik wechseln sie aus dem Labor ans Krankenbett, in den klinischen Teil des Studiums.

Aus Sicht des Biocampus hat die Schließung der Vorklinik vor allem zwei gravierende Nachteile. Zum einen verschwinden die Medizinstudenten vom Campus, von denen sich viele für die Mitarbeit an wissenschaftlichen Vorhaben interessierten. Und zum anderen bricht ein Pfeiler des Biocampus weg, nämlich die Institute für Biochemie, Molekularbiologie und Physiologie in der Arnimallee. Vom Verkauf des Grundstücks verspricht der Senat sich einen „Einspareffekt“. Die Institute sollen in die Räume der Zahnklinik Nord im Wedding umziehen.

„Wenn wir keine Studenten mehr haben, wie sollen wir dann Forschung machen?“ fragt der Mathematiker Peter Deuflhard vom Konrad-Zuse-Zentrum, Sprecher des Biocampus Dahlem. Deuflhard sieht in der Nachbarschaft vieler Institute und Fachgebiete die große, für Berlin einmalige Chance des Biocampus. „Das ist wie ein Trampelpfad, den alle Wissenschaftler benutzen – man trifft sich zwanglos, diskutiert die Probleme in der Mensa oder dem Seminar.“

„Ich bin fassungslos“, sagt Hans Lehrach, Direktor am Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik in Dahlem. Lehrachs Institut ist in den letzten Jahren stark gewachsen und hat nach seinen Angaben an die „100 Millionen Euro an Fördermitteln“ und Hunderte von Arbeitsplätzen in die Stadt gebracht.

Der Genforscher arbeitet am Konzept für ein „Zentrum für Systembiologie“, in dem die Dahlemer Institute zusammenarbeiten wollen. Wie viele andere befürchtet er, dass die Schließung der Vorklinik der Anfang vom Ende für die Naturwissenschaften in Dahlem und das Franklin-Klinikum in Steglitz ist. Der Plan des Senats, die Steglitzer Uniklinik in ein städtisches Krankenhaus umzuwandeln, war 2002 nach Protesten gescheitert.

„Die Sorge sitzt den Kollegen in Steglitz in den Knochen“, kommentiert Rudolf Tauber, für Medizin zuständiger Vizepräsident der Freien Universität. Einen zwingenden Zusammenhang zwischen Schließung der Vorklinik und einer Umwandlung des Steglitzer Klinikums sieht er aber nicht. Trotzdem spricht er von einer „grundsätzlich falschen Entscheidung“, mit der das Votum der Experten und Charité-Gremien übergangen, das Vertrauen in die Planungssicherheit erschüttert und das Klima in der Charité verdorben werde.

Auf Nachfrage der Grünen Lisa Paus bekräftigte Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) am gestrigen Mittwoch im Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses, dass das Franklin-Klinikum „ausdrücklich nicht in Frage gestellt“ ist. Der Berliner Bundestagsabgeordnete Klaus Uwe Benneter (SPD) nannte den Beschluss „irritierend und kurzsichtig“.

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