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Gesundheit: Das frühere Robert von Ostertag-Institut wäre als EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit gut geeignet

Die Medien berichteten kürzlich über Überlegungen der Europäischen Kommission, angesichts der Verunsicherung von Verbrauchern durch die BSE-Erkrankung britischer Rinder durch zu hohe Dioxingehalte in belgischem Geflügelfleisch und Hygienedefizite in französischen Futtermitteln ein unabhängiges "Amt für Nahrungsmittelsicherheit und Gesundheit" zu schaffen. Es soll der vom Kommissionspräsidenten Prodi angestrebten Lebensmittelagentur vorgelagert werden.

Die Medien berichteten kürzlich über Überlegungen der Europäischen Kommission, angesichts der Verunsicherung von Verbrauchern durch die BSE-Erkrankung britischer Rinder durch zu hohe Dioxingehalte in belgischem Geflügelfleisch und Hygienedefizite in französischen Futtermitteln ein unabhängiges "Amt für Nahrungsmittelsicherheit und Gesundheit" zu schaffen. Es soll der vom Kommissionspräsidenten Prodi angestrebten Lebensmittelagentur vorgelagert werden.

So sehr diese und andere organisatorische Maßnahmen der Verbesserung des Verbraucherschutzes dienen können, so sehr müsste jedoch sichergestellt sein, dass eine derartige Institution über eigene, unabhängig zustande gekommene experimentelle Ergebnisse verfügt. Was bisher der EU fehlt, sind wissenschaftliche Einrichtungen der Mitgliedsstaaten, die als EU-Referenzzentren teilweise oder in toto auf bestimmten Forschungsgebieten des Verbraucherschutzes spezialisiert sind. Als Vorbilder könnten die bereits bestehenden EU-Referenzlaboratorien gelten, die beispielsweise auf dem Gebiet bestimmter Infektionskrankheiten über besondere Erfahrungen verfügen und deshalb von der EU ernannt worden sind.

Das zuständige Bundesministerium für Gesundheit, Fachausschüsse und Parlament hatten bereits bei der Genehmigung und Planung eines großzügigen Neubaus für das damalige Robert von Ostertag-Institut des Bundesgesundheitsamtes in Berlin-Marienfelde an eine solche Aufgabenübernahme mit gedacht, als sie in den siebziger Jahren ein in der Welt einmaliges und hoch technisiertes Bauwerk für letztlich 360 Millionen DM für die Verbesserung des gesundheitlichen Verbraucherschutzes beschlossen. Unter einem Dach sollten alle Hygienedefizite erforscht werden können, die vom lebenden Nutz- und Schlachttier bis zum Lebensmittel ausgehen können.

Das nach 15jähriger Bauzeit erst 1992 offiziell seiner Bestimmung übergebene Institut ist dabei so konzipiert, dass moderne Infektionslaboratorien und Tierställe sowie Schlachtanlagen mit fleischverarbeitender Technologie erlauben, alle möglichen Risikobereiche mit Infektionserregern und toxischen Substanzen zu erforschen. Gemeinsam mit einem dem Institut unmittelbar gegenüber liegenden Versuchsgut, das 1975 der Bund vom Berliner Senat als ehemaliges Stadtgut Marienfelde erwarb und inzwischen mit über 40 Millionen DM für die Aufgabenbelange des damaligen Robert von Ostertag-Institutes, des heutigen Bundesinstitutes für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV), aus- und umgebaut worden ist, erfüllt es alle Voraussetzungen, Gesundheitsrisiken für einen verbesserten Verbraucherschutz zu erforschen.

Dies ist deshalb dringend erforderlich, weil unsere intensiv gehaltenen Nutztierbestände aufgrund einer veränderten Immunlage durch moderne Zucht-, Haltungs- und Fütterungstechnologien in relativ großem Umfang mit für den Verbraucher pathogenen, also krank machenden Infektionserregern wie Salmonella-, Campylobacter- und Colibakterien oder Toxoplasmen belastet sind. Für die heutige landwirtschaftliche Praxis heißt das, dass die in einer Herde befindlichen Tiere äußerlich gesund erscheinen und trotzdem Träger von Infektionserregern sein können.

Da die Erreger reaktionslos im Gewebe, meist im Darmtrakt liegen, verursachen sie dort keinerlei Veränderungen und können nach der Schlachtung der Tiere im Rahmen der amtlichen Schlachttier- und Fleischuntersuchung nicht diagnostiziert werden. Hierin liegt das eigentliche Hygienedilemma unserer Zeit.

Die Folge ist das unbemerkte Einschleusen solch kontaminierten Fleisches in den Verarbeitungsprozess mit der Gefahr der Weiterverbreitung über Gerätschaften und Hände in das Umfeld. Letztlich erscheinen diese Erreger im Endprodukt und gefährden den Verbraucher, wenn beim Verarbeitungsprozess im Lebensmittel nicht ausreichend hohe Temperaturen eingewirkt haben. Dieser Sachverhalt hat inzwischen weltweit zur Zunahme von Lebensmittelinfektionen und zu unterschiedlichen, meist aber nicht ausreichenden Bekämpfungsmaßnahmen geführt. Es besteht seit Jahren erheblicher Forschungsbedarf, um hier die permanenten Verbraucherrisiken beseitigen zu können.

Für solche Aufgaben war der Neubau konzipiert worden. Auch dafür, jederzeit Manipulationen oder nicht vorhersehbare Pannen in technologischen Abläufen durch möglichst prozessnahe Simulationen aufzudecken. Die lange Bauzeit über mehrere Legislaturperioden und schließlich die Wiedervereinigung mit dem Zwang zum Sparen machten den ursprünglich mit dem Neubau beschlossenen Personalausbau zunichte. Nicht nur das. Der bestehende Personalbestand wurde zusätzlich durch Verlagerung oder Streichung von Stellen so weit abgebaut, dass experimentelle Arbeiten in diesem vornehmlich für experimentelle Aufgaben geschaffenen "Vorzeigeinstitut" nur noch in relativ geringem Umfang erfolgen.

Die futtermitteltechnische Einrichtung, ursprünglich zum Aufdecken von Manipulationen im Tierfutter vorgehalten, wurde inzwischen verkauft, die Großtierlaboratorien verwaisen, das Versuchsgut mit seinen wertvollen Tierstallungen und Süßwasserfischlaboratorien wird möglicherweise verstärkt durch Dritte zweckentfremdet genutzt werden müssen. Bevor also eine Entwicklung einsetzt, die allein aus ökonomischen Gründen der Raumauslastung dient, ohne dass dabei die aufwendige Technik des Neubaus mit ihrer eindeutigen Zweckbestimmung genutzt werden kann, wäre es eine dankbare Aufgabe, wenn sich die Bundesregierung, vertreten durch die zuständige Bundesministerin für Gesundheit, mit der EU-Kommission in Verbindung setzen würde, um diesen Neubau in Berlin-Marienfelde zumindest teilweise als EU-Institut für Lebensmittelsicherheit anzubieten.

Es gibt nirgendwo anders in der EU eine solche moderne Einrichtung, um notwendige Forschungen auf den Gebieten der Bekämpfung von Tierkrankheiten, die auf den Menschen durch Kontakt oder über Lebensmittel übertragbar sind, durchzuführen. Dieser Institutsteil des heutigen BgVV, das frühere Robert von Ostertag-Institut, ist zudem mit internationalen Aufgabenstellungen vertraut, seit es zum Forschungs- und Ausbildungszentrum etwa der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ernannt worden ist; es führt das europäische Überwachungsprogramm der WHO auf dem Gebiete der Lebensmittelinfektionen durch, arbeitet aktiv seit Jahren in EU-Gremien mit und wurde bereits zum nationalen Referenzlaboratorium für Salmonellose, Brucellose und Trichinellose ernannt.

Hier bestehen geradezu ideale Voraussetzungen zur Übernahme weiterer Aufgaben im Dienste der EU. Dieses gilt auch für die Unterbringung von Spezialisten, zum Beispiel von Nachwuchswissenschaftlern aus EU-Mitgliedsstaaten, für die ein eigenes Appartmenthaus auf dem Institutsgelände geschaffen wurde.

So bietet sich für die Bundesregierung eine große Chance, durch das Angebot dieses international anerkannten Institutsneubaus, bisher ein weltweites Unikat, eine deutsche Visitenkarte für die Verbesserung des Verbraucherschutzes einzubringen. Zum anderen könnten erhebliche Steuergelder, die seinerzeit überzeugend begründet aufgebracht worden sind, zum Wohle der Allgemeinheit doch noch nutzbringend eingesetzt werden.Der Autor ist Professor für Lebensmittelhygiene und war Präsident des 1994 aufgelösten Bundesgesundheitsamtes.

Dieter Großklaus

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