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Gesundheit: Das Gehirn Europas

Brüssel will ein Institut für Technologieforschung gründen. Aber aus der Wissenschaft hagelt es Kritik

Europa soll ein Elite-Institut für Forschung und Entwicklung bekommen. Im European Institute of Technology (EIT), auf dessen Grundzüge sich gestern in Brüssel die Europäische Kommission geeinigt hat, sollen renommierte Wissenschaftler mit exzellenten Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeitern aus der ganzen Welt zusammenarbeiten. „Europa braucht ein starkes Europäisches Technologie-Institut, das die besten Köpfe und Unternehmen zusammenführt und die Ergebnisse in ganz Europa verbreitet“, sagte Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Im EIT sollen Teams von Universitäten, Forschungszentren und Unternehmen kooperieren.

Ziel des ehrgeizigen Projekts ist es, die zersplitterte Forschungslandschaft in Europa zusammenzuführen, um langfristig mit Innovations-Großmächten wie den USA und Japan, aber auch mit den Aufsteigern China und Indien konkurrieren zu können. Einen Ort hat das EIT bislang allerdings nicht: Beim nächsten EU-Gipfel am 23. und 24. März in Brüssel muss Barroso erst die Staats- und Regierungschefs von dem Projekt überzeugen – und die Finanzierung klären.

Er werde sich derzeit noch nicht auf eine Debatte über den Standort des Technologie-Instituts oder über die Finanzierung einlassen, wehrte Barroso Fragen ab. „Wenn ich das mache, dann wird erfahrungsgemäß das ganze Projekt auf unabsehbare Zeit blockiert.“ Einig sei man sich allerdings, dass die von Brüssel unabhängige Einrichtung „schlanke Strukturen“ erhalten solle: ein kleines Leitungsgremium in Form eines Verwaltungsrats und eine Reihe von „Wissensgemeinschaften“, die an Universitäten und Forschungsinstituten in ganz Europa gewonnen werden sollen und dann miteinander vernetzt werden könnten. Schwerpunke von Forschung und Lehre des EIT sollen die Umweltforschung, die Informationstechnologien und die Nanotechnologie werden.

„Unser Ziel ist es, das EIT zu einer Art Flaggschiff der europäischen Technologieforschung und Lehre zu machen,“ sagte EU-Bildungskommissar Jan Figel. Es sei fatal, dass immer noch viele exzellente Forscher wegen der besseren Rahmenbedingungen in die USA abwandern – und dort auch ihre Nobelpreise holten.

Nach wie vor seien in Europa Bildungseinrichtungen, Universitäten, Forschung und die Wirtschaft viel zu wenig verzahnt, heißt es in dem gestern präsentierten Entwurf für das EIT. Immer noch habe man große Probleme, die oft exzellenten Ergebnisse der europäischen Forschung in Innovationen und neue Arbeitsplätze umzusetzen. Um das Europäische Technologie-Institut zu finanzieren, müsse man sowohl auf den EU-Haushalt und die nationalen Haushalte zurückgreifen als auch private Geldgeber gewinnen. Wenn die Staats- und Regierungschefs grünes Licht für das EIT geben, will die EU-Kommission nach der Sommerpause einen formellen und dann auch konkreten Vorschlag vorlegen. Frühestens 2009 könnten dann die ersten „Wissensgemeinschaften“ ihre Arbeit aufnehmen.

Das EIT gilt als Lieblingsidee Barrosos. Im Februar 2005 hatte die Kommission den Aufbau des Instituts vorgeschlagen; Pläne dafür existieren schon seit Jahren. Ursprünglich sollte das EIT seinem amerikanischen Namensvetter, dem Massachussetts Institute of Technology (MIT), ähneln: ein Superinstitut, dem es weder an Personal noch Geräten mangelt – und das dem amerikanischen Vorbild langfristig Konkurrenz machen kann. Eine Gruppe von EU-Parlamentariern hatte mit Straßburg bereits einen Sitz für das europäische Elite-Institut ausgeguckt.

Deutsche Wissenschaftsmanager reagierten gestern ablehnend auf den Vorschlag der EU-Kommission. „Ich halte gar nichts von der Idee“, sagte Ernst-Ludwig Winnacker, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Tagesspiegel. Mit einem EIT würde die EU das Geld, das sie für die Forschung ausgeben wolle, „verzetteln und von anderen, wichtigeren Projekten abziehen“. Die geplante Struktur sei eine „Zwangsvernetzung“, die wissenschaftlich nichts bringen würde. Spitzenforschung „funktioniert nicht nach dem Top-Down-Prinzip“, sagte Winnacker, sondern vielmehr im Wettbewerb der bestehenden Einrichtungen.

Die jetzt vorgesehene Struktur sei ein typisch europäischer Kompromiss, der alle bedienen solle, aber keinerlei internationale Ausstrahlung habe, sagte Jürgen Mlynek, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten deutschen Forschungsgemeinschaft. Wenn die EU eine Technische Elite-Uni ähnlich dem amerikanischen MIT aufbauen wolle, solle sie das Geld lieber in eine bestehende Hochschule investieren, die bereits Spitzenforschung betreibe. Kandidaten könnten das Londoner Imperial College sein, die ETH Zürich oder die Technischen Unis in München und Aachen.

Im Laufe des vergangenen Jahres hatte die Kommission bereits Politiker, Forscher und Hochschulen befragt, wie ein Technologie-Institut aussehen könnte. Dabei zeigte sich, dass die Idee eines europäischen MIT in den 25 EU-Staaten kaum durchsetzbar sein wird. So befürchtet das höchste Beratungsgremium der Europäischen Kommission in Sachen Forschung, das European Research Advisory Board, dass die bereits geplante Forschungsförderung im Rahmen des neuen European Research Councils (ERC) unter den EIT-Plänen leiden könnte. Beim ERC, der 2007 startet und über dessen Finanzierung noch verhandelt wird, sollen sich Wissenschaftler aus allen Disziplinen und Einrichtungen ähnlich wie bei der DFG um Gelder bewerben können. Auch Winnacker und Mlynek betonten, dass das EIT auf keinen Fall finanziell zu Lasten des ERC gehen dürfe. Vielmehr müsste das Research Council „oberste Priorität bei der europäischen Forschungsförderung haben“, forderte Mlynek.

Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) unterstützt Barrosos Pläne. Es sei ein richtig, das Potenzial der „ausgezeichneten technischen Universitäten“ in Europa in einer dezentralen Institution zu nutzen und zu stärken. Schavan unterstützt die Idee, die am EIT beteiligten Forschungseinrichtungen in einem Wettbewerb zu ermitteln, der von unabhängigen Wissenschaftlern gestaltet wird.

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