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Gesundheit: Das Gehirn im Hinterhof

Morgen eröffnet Norman Fosters neue Bibliothek in der „Rostlaube“ der Freien Universität

„Weg mit den verknöcherten Herrschaftsstrukturen, nieder mit der hierarchischen Ordnung.“ – Kaum ein Berliner Gebäude bringt derart plastisch zum Ausdruck, wes Geisteshaltung seine Protagonisten und Planer gewesen sind. Als die Pariser Architekten Georges Candilis, Alexis Josic und Shadrach Woods 1963 den Neubau der Freien Universität in Dahlem planten und ab 1967 (unter Mitarbeit des Berliner Architekten Manfred Schiedhelm) realisierten, hatten sie es sich zur Aufgabe gemacht, ein neues gesellschaftliches Denken in Architektur umzusetzen. Kein repräsentatives Hauptgebäude mit monumentaler Ordnung und keine zementierten Strukturen wollten sie liefern. Stattdessen eine polyzentrische Wissenschaftsstadt, informell, dynamisch, flexibel, in der Austausch und Kommunikation den Alltag prägen sollten.

Damals war die Wissenschaft von Netzplantechnik und Diagrammschemata begeistert, und die Architekten setzten ein solches Schema sehr direkt in einen Grundriss um (ähnlich ging man bei den damaligen Berliner Oberstufenzentren vor). Das Stahlbausystem sollte rasche Montierbarkeit und Veränderungen erlauben, was in der Praxis später jedoch nie in Anspruch genommen wurde. Strukturalismus sagte man zu diesem Entwurfsprinzip, bei dem eine vorgedachte Struktur mit Nutzungen gefüllt wurde.

Doch genau hierin sah man später das Problem. Die FU-Erweiterung mit ihrer an der arabischen Kasbah orientierten „Teppichstruktur“ und dem rechtwinkligen Flursystem erwies sich als unübersichtlich und labyrinthisch. Die Vorstellung von einem offenen gesellschaftlichen Lernsystem, in das jeder Nachbar und Passant durch eine Vielzahl von Türen gelangen kann, um an der Bildung teilzuhaben, erwies sich als praxisfremde Utopie.

Lord Norman Foster, der nun angetreten ist, die Anlage zu sanieren, kümmert sich deshalb nicht nur um die Bautechnik, um die Erneuerung der Fassaden und die Ertüchtigung der Haustechnik, er versucht auch, die Nutzung des Hauses neu zu organisieren. Aus dem unübersichtlichen Flickenteppich der kleinteiligen Nutzungen werden zweigeschossige, abgeschlossene Institutseinheiten, aus dem Mittelflur „Straße K“ wird eine Haupterschließungsachse, und die Querachsen werden zum Teil gekappt und zu internen Fluren gemacht.

Foster versucht dabei nicht, dem Bau seinen eigenen Stempel aufzudrücken, im Gegenteil, er erweist sich als pietätvoller Denkmalpfleger. So wird der Innenausbau nach Möglichkeit im Stil des Ursprungsbaus ausgeführt, werden Decken nach dem alten Vorbild gestaltet und Beleuchtungskörper aufgearbeitet und wieder eingebaut. „Nach Möglichkeit“ heißt dabei, dass aus Budgetgründen oftmals doch auf unpassende Industrieerzeugnisse zurückgegriffen werden muss.

Das signifikanteste Merkmal der „Rostlaube“, wie die Anlage schon bald nach Fertigstellung genannt wurde, war die rostende Cortenstahlfassade. Leider stoppte der Rostvorgang, der auf den Oberflächen eine schützende Patina bilden sollte, nicht wie vorgesehen, so dass die Fassade zum ständigen Ärgernis und bautechnischen Problem wurde. Manfred Schiedhelm hat deshalb 1979 bei der Erweiterung des Bauwerks eine Aluminiumfassade gewählt, was die Erweiterung zur „Silberlaube“ werden ließ. Foster hat sich zum Ziel gesetzt, das Erscheinungsbild des Altbaus zu erhalten, und entwickelte ein neues Fassadensystem mit besserer Wärmedämmung und einer äußeren Verkleidung aus Bronze, die mit ihrer braunen Patina dem ursprünglichen Aussehen doch sehr nahe kommt.

Folgenschwerster Eingriff ist jedoch die Implantation eines Bibliotheksgebäudes in die matrixartige Baustruktur. Möglicherweise wäre die philologische Bibliothek auf dem Nachbargrundstück besser und sinnvoller untergebracht worden, doch die Entscheidung hatte finanzielle Gründe, denn es hätte sich um einen haushaltstechnisch nicht realisierbaren Neubau gehandelt, während der Einbau in die vorhandene Anlage als „Sanierung“ läuft. Foster & Partners nahmen einige Gebäudeteile aus der Struktur heraus (deren demontierte Bauteile aufgearbeitet und an anderer Stelle durchaus systemkonform als Ergänzungen wieder verwendet wurden) und setzte in den entstandenen Innenhof den neuen Bibliotheksbau.

„Iglu“ oder „Wassertropfen“ nannte man intern die Form, die sich im Entwurfsvorgang aus einem zunächst voluminösen Kubus durch Minimierung nach und nach entwickelte. Eine Skizze des Meisters ist auch „brain“ tituliert und zeigt die Bibliothek als „Gehirn“ aus dem Umbau ragen. Nur durch drei Übergänge mit dem Altbau verbunden, hockt der Bau in einem Hof und lugt ein wenig über das Dach der Umbauung. Seine Außenhaut versucht erst gar nicht, mit den Bronzefassaden zu kommunizieren. Silberne Metallplatten und Glasflächen wechseln sich ab und bilden das Muster der Oberfläche. Der Haupteingang saugt sich wie ein quittegelber Rüssel an den Altbau. Ein wenig erinnert der Bau an eine vollgesaugte Zecke.

Quittegelb ist auch das Mero-Rohrfachwerk, das durch die Fenster leuchtet, denn das Primärtragwerk der Superblase wurde mit dieser Signalfarbe als architektonisches Element besonders hervorgehoben. Im Inneren wird deutlich, mit welch baukonstruktivem Aufwand die derzeit aktuelle „Blobarchitektur“ realisiert wird. Es bedarf exquisiter Ingenieurleistungen, um die komplizierten Kräfteverhältnisse der 58 Meter langen Wölbung zu meistern. Legitimiert wird der Aufwand mit dem optimalen Verhältnis von Rauminhalt und Hüllfläche, das als besonders ökologisch gilt.

Die innere Hülle bilden in weiße Rahmen gespannte, gleichfalls weiße Stoffbahnen. Nur hier und da sind Wandelemente glasklar durchsichtig und erlauben einen Blick in die gelbe Rohrkonstruktion, in den Hof und in den Himmel. Spektakuläre Aussichten hat der Innenhof ohnehin nicht zu bieten. Foster gehört zu jenen Architekten, denen die ökologische Komponente ihrer Architektur viel bedeutet und die nicht abgeneigt sind, diese Ziele mit dem Einsatz neuester Technik zu erreichen. So besitzt die neue Bibliothek ein in die Gebäudehülle integriertes Lüftungssystem, das durch intelligentes Klimamanagement den Großteil des Jahres ohne zusätzlichen Energieeinsatz auskommen soll. Heizung und Kühlung werden durch Bauteilaktivierung, also durch in Betondecken und -kernen eingelegte Heiz- und Kühlschlangen, geleistet.

Eine eigentümliche, gedämpfte Stimmung herrscht im Inneren, bestimmt durch das indirekte Licht und die Grautöne der Wände, Stützen, Brüstungen und Böden. Bunte Farben sollen die Bücher und die Nutzer ins Haus bringen, so ein von Architekten oft formuliertes Prinzip (die farbenfrohe neue Universitätsbibliothek in Cottbus zeigt eine andere, inspirierendere Möglichkeit).

Fünf Ebenen mit den Regalen der Präsenzbibliothek stapeln sich terrassenförmig unter der Hülle. Ihre Brüstungen schwingen gegenläufig mal auf Armlänge nahe an die Hülle, dann wieder zurück. In der Mittelachse lassen sie einen Lichthof frei, in dem der faszinierende Raum erlebbar wird. Entlang der Brüstungen sind immerhin 636 Leseplätze aufgereiht, jeweils mit Leselampe und die meisten mit Laptop-Anschluss. Vor allem die Plätze im Untergeschoss entlang der grauen Außenwand haben extremen Klausurcharakter. Ein größerer Gegensatz zum offenen und kommunikativen Konzept von Scharouns Staatsbibliothek lässt sich kaum denken, und es wird interessant sein zu beobachten, wie die Studenten das Gebäude nutzen und welche Plätze sie bevorzugen werden. Vielleicht ist die ungewöhnliche, hermetische Atmosphäre, bestimmt von gedämpftem Licht und dem leisen Klicken der Laptops, das optimale Ambiente zum konzentrierten Studium.

Die morgige Eröffnungsfeier der Bibliothek mit Norman Foster und Klaus Wowereit ist nicht öffentlich. Der Tagesspiegel vergibt für den Festakt jedoch 25 mal zwei Freikarten an die ersten Leser, die sich zwischen 10.30 und 12 Uhr unter 26009-809 melden und die Karten im Tagesspiegel-Kundencenter in der Potsdamer Str. 81 abholen. Die Feier beginnt um 16 Uhr in der Habelschwerdter Allee 45.

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