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Gesundheit: Das geläuterte Erbe der Antike Zum Tode des Latinisten Manfred Fuhrmann

Zum Ende des 20. Jahrhunderts traten zwei Gelehrte an, um uns zu sagen, was wir wissen sollten: Manfred Fuhrmann, Altphilologe aus Konstanz, mit „Der europäische Bildungskanon des bürgerlichen Zeitalters“ und Dietrich Schwanitz, Anglist aus Hamburg, mit „Bildung – alles, was man wissen muss“.

Zum Ende des 20. Jahrhunderts traten zwei Gelehrte an, um uns zu sagen, was wir wissen sollten: Manfred Fuhrmann, Altphilologe aus Konstanz, mit „Der europäische Bildungskanon des bürgerlichen Zeitalters“ und Dietrich Schwanitz, Anglist aus Hamburg, mit „Bildung – alles, was man wissen muss“. Das Brevier des kürzlich verstorbenen Schwanitz ist bis heute ein Bestseller, das Werk Fuhrmanns, der am Mittwoch im Alter von 79 Jahren verstarb, wurde – ein kleiner Bestseller. Beide sahen sich teilweise scharfer Kritik ausgesetzt. Aber Manfred Fuhrmanns „Eloge auf den verlorenen Bildungskanon“ nötigte den Rezensenten auch Respekt ab: für seine „wohltuend nüchterne Bilanz“ der philosophischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Tradition, an der sich Kulturträger seit der Aufklärung orientiert haben.

Manfred Fuhrmann, 1953 in Freiburg promoviert, seit 1962 Professor in Kiel, ab 1966 in Konstanz, ruhte auch nach seiner Emeritierung 1990 nicht, den Bildungshunger der Deutschen zu stillen. Die Frage, die ihn bewegte: Was bedeuten das Erbe der Antike und seine Rezeption für uns? Fuhrmann vertrat das durch Mittelalter, Renaissance, Humanismus, Aufklärung geläuterte Erbe der Antike. Und er wandte sich gegen eine allzu stürmischen „Entrümpelung“ von Lehrplänen. Er wollte der Jugend den Zugang zu den Quellen der europäischen Kultur öffnen. Was hier zu retten wäre, hat er immer wieder in lebendigen Vorträgen und in gut lesbaren Büchern bewusst gemacht, zuletzt in seiner großen Monographie „Latein und Europa – Geschichte des gelehrten Unterrichts in Deutschland von Karl dem Großen bis Wilhelm II.“ (2001).

Den altsprachlichen Unterricht wollte Fuhrmann radikal umgestalten. Ins Zentrum sollte die neulateinische Literatur treten. Statt immer nur Cäsar, warb Fuhrmann, solle in den Schulen auch der niederländische Humanist Erasmus von Rotterdam mit seiner „Klage des Friedens“ oder dem „Lob der Torheit“ gelesen werden. Von dort aus sollten sich dann Linien zum Mittelalter und zur Antike ergeben. Und zur unmittelbaren Gegenwart der Schüler – zu den Menschenrechten, und zum Grundgesetz.

Fuhrmann galt in den eigenen Reihen in jungen Jahren als „enfant terrible“. Darüber hinaus war Fuhrmann ein genialer Übersetzer und Herausgeber antiker Texte. So hat er sämtliche Cicero-Reden übersetzt; ein großes Werk, für das er 1990 den Johann-Heinrich-Voss-Preis der Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt erhielt. Das deutsche Geistesleben verliert mit Manfred Fuhrmann eine einzigartige, vielseitige, dynamische Persönlichkeit.

Der Autor ist Professor für Lateinische Sprache und Literatur und ihre Didaktik an der Freien Universität Berlin und an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Andreas Fritsch

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