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Gesundheit: Das große Tohuwabohu

Bald soll es in Deutschland nur noch Bachelor- und Masterstudiengänge geben – doch jedes Land und jede Uni hat andere Vorstellungen

Wann werden deutsche Erstsemester sich nur noch in Bachelor-Studiengänge einschreiben? Im September findet in Berlin eine richtungsweisende Konferenz der europäischen Bildungsminister statt. Es wird Bilanz gezogen, was in den Staaten seit der Erklärung von Bologna geschehen ist. Im Jahr 1999 hatten sich 29 Bildungsminister darauf verständigt, bis zum Jahr 2010 einen europäischen Bildungsraum zu schaffen. Im Mittelpunkt stehen die neuen Studiengänge mit dem Bachelor und Master. Deutschland hat erst 1600 neue Studiengänge dieser Art. Das ist wahrhaftig keine glänzende Bilanz. Die Mehrzahl der Curricula an den Hochschulen schließt noch mit dem Diplom, dem Magister oder dem Staatsexamen ab – nach unerträglich langen Studienzeiten.

Die deutschen Kultusminister haben sich bei ihrer Sitzung im Juni erstmals dazu durchgerungen, auch für die Bundesländer das Jahr 2010 als Ziel für die Neuordnung der Studiengänge mit den Abschlüssen Bachelor und Master zu nennen. Ein großer Durchbruch? In der Erklärung der Kultusminister steht der verräterische Satz: „Jedoch können wichtige Gründe für eine Beibehaltung der bewährten Diplomabschlüsse auch über das Jahr 2010 hinaus sprechen.“

Doppelt macht teuer

In Deutschland gibt es Bremser und Beschleuniger der großen Studienreform. Bayern bremst. Deutschland stellt auf bayerisches Drängen hin die Studiengänge auf die neuen Abschlüsse erst zum denkbar letzten Zeitpunkt um. Andere Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen, Niedersachen, Hamburg und Baden-Württemberg wollten es eigentlich schneller angehen. Sie finden dafür die Unterstützung des Wissenschaftsrats und des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Denn je länger eine Doppelstruktur bestehen bleibt – hier die herkömmlichen Studiengänge mit den Abschlüssen Diplom, Staatsexamen und Magister, dort die neuen Studiengänge mit dem Bachelor und Master –, desto teurer wird die Hochschulausbildung. Und die Akzeptanz der neuen Studiengänge bei den Studienanfängern wird in Krisenzeiten nicht allzu groß sein. Da setzt man eher auf Sicherheit im Bewährten. Von den Arbeitgebern in Wirtschaft, Industrie und öffentlichem Dienst werden die neuen Studiengänge – solange es die Doppelstruktur gibt – auch nur zögernd akzeptiert.

Wer die radikale Studienreform mit dem Bachelor und Master will, drängt auf Eile. Wenn den Bundesländern jetzt bis 2010 Zeit gelassen wird, droht ein zweifelhafter Endspurt ab 2007. Reicht das für eine flächendeckende Reform? Bayern will selbst nach dem Jahr 2010 Studiengänge mit dem Diplomabschluss aufrechterhalten, wenn sie international ein Begriff sind. Den deutschen Diplomingenieur wird es dort voraussichtlich auch noch nach dem Jahr 2010 geben.

Bayern will auch nicht mit „Folterinstrumenten“ arbeiten. Was die Hochschulen machen, bleibt ihnen überlassen. Diese Absichtserklärung steht sogar im Einklang mit der Rechtslage, denn nach dem Hochschulrahmengesetz sind allein die Hochschulen für die Einführung neuer Studiengänge zuständig. Andere Länder operieren mit Zielvereinbarungen – das heißt das Ministerium schließt mit einzelnen Hochschulen Verträge, um die Studienreform innerhalb klarer zeitlicher Vorgaben zu bewältigen. Daran denkt der bayerische Wissenschaftsminister Hans Zehetmair (CSU) nicht. Die neuen Studiengänge – in Bayern gibt es bisher 150 BA- und MA-Studiengänge – sollten sich erst einmal bewähren, was man erst nach einer Evaluation wissen könne, heißt es aus dem Wissenschaftsministerium.

Ob sich in Berlin die Bremser oder Beschleuniger durchsetzen, muss sich noch zeigen. In den Hochschulverträgen bis zum Jahr 2005 wird noch doppelgleisig verfahren: Die Universitäten sollen die Hälfte der herkömmlichen Studiengänge modularisieren und in geeigneten Bereichen gestufte Studiengänge einführen (zum Stand der Unis siehe nebenstehende Übersicht).

Das von Rot-Grün regierte Nordrhein-Westfalen geht die Sache forsch an. „Wir sind unter den 16 Bundesländern führend bei der Umstellung auf Bachelor und Master“ , heißt es aus dem Ministerium. Es gebe 434 neue Studiengänge mit dem Bachelor und Master an den 58 Hochschulen des Landes – das entspricht 20 Prozent der Studiengänge, bald sollen es 100 Prozent sein. Das Ministerium hat mit den Hochschulen einen Pakt abgeschlossen: Geld gegen Reformen. Bis zum Jahr 2006 werden die Hochschulen von Haushaltskürzungen freigestellt, andererseits zur Profilierung verpflichtet. In Nordrhein-Westfalen ist die Ruhruniversität Bochum mit der Umstellung am weitesten vorangekommen. Die Rheinisch Westfälische Technische Hochschule Aachen zögert noch, weil sie am bewährten Diplom für die Ingenieure festhalten will. Aber in Aachen hat das Nachdenken eingesetzt, nachdem die in Europa führende Eidgenössische Technische Hochschule in Zürich (ETH) beschlossen hat, das Studienangebot selbst für Ingenieure auf Bachelor und Master umzustellen.

Das von der CDU regierte Niedersachsen drängt ebenso auf Eile. Ziel für die Hochschulverträge ist die Umstellung bis zum Jahr 2007. Niedersachsen denkt ebenso wie Nordrhein-Westfalen daran, für den Übergang vom Bachelorstudium zum Master Eignungsgespräche, Aufnahmeprüfungen, Tests und eine Notenbewertung zur Selektion zu nutzen.

Baden-Württemberg hat gerade erst den Entschluss der Universität Konstanz gefeiert, innerhalb der nächsten fünf Jahre alle Studiengänge auf die neuen Abschlüsse umzustellen. Als vorbildlich lobte Minister Frankenberg die Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften an der Technischen Universität Karlsruhe. Sie hatte die neuen Studiengänge 1999 eingeführt und inzwischen alle anfangs noch parallel angebotenen Magisterstudiengänge „abgeschafft“. „Nur eine komplette Umstellung kann den Erfolg der neuen Studiengänge garantieren“, sagt Minister Frankenberg.

Reformfreudiges Hamburg

Hamburgs reformfreudiger Wissenschaftssenator Jörg Dräger will ebenfalls mit Zielvereinbarungen die Umstellung auf Bachelor und Master beschleunigen. Wenn an der Universität Hamburg weiterhin Magister- und Diplomabschlüsse neben den neuen Abschlüssen angeboten werden, werde die Chance einer inhaltlichen Studienreform womöglich vertan, befürchtet der CDU-geführte Senat. Auch werde die bessere Betreuung der Bachelorstudenten verhindert.

Hamburg wagt mehr als die Kultusministerkonferenz. Während die KMK den Übergang vom Bachelor zum Masterstudium vage „von weiteren besonderen Zugangsvoraussetzungen abhängig“ machen will, nennt Hamburg das Problem beim Namen: „Der Bachelor ist der Regelabschluss an den Hochschulen. Deshalb werden im Durchschnitt aller Fächer weniger als die Hälfte der Bachelorabsolventen ein Masterstudium aufnehmen, wobei dieser Anteil in den einzelnen Fächern und in den verschiedenen Hochschulen differenziert wird.“ Damit steht eine klare Quotierung im Raum.

Eine Quotierung schwebt auch Reformern im Wissenschaftsrat vor. Die sehen im Bachelor ein Studium für die Massen und im Master ein Studium für die Elite. Die alte Idee Humboldts von der Bildung durch Wissenschaft lässt grüßen. Der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft passt das überhaupt nicht.

Uwe Schlicht

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