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Gesundheit: Das "Haus der Wannseekonferenz" ist auf die Initiative des verkannten Zeithistorikers zurückzuführen

Wer im Haus der Wannseekonferenz die Ausstellung über die Geschichte der Gedenkstätte studiert, stößt auf Joseph Wulf. Mit Unterstützung von Freunden hatte er in den 60er Jahren für ein "Internationales Dokumentationszentrum zur Erforschung des Nationalsozialismus und seiner Folgeerscheinungen" gekämpft.

Wer im Haus der Wannseekonferenz die Ausstellung über die Geschichte der Gedenkstätte studiert, stößt auf Joseph Wulf. Mit Unterstützung von Freunden hatte er in den 60er Jahren für ein "Internationales Dokumentationszentrum zur Erforschung des Nationalsozialismus und seiner Folgeerscheinungen" gekämpft. Trotz anfänglicher Unterstützung durch Politiker scheiterte das Vorhaben. Die 1992 eingerichtete Gedenkstätte mit der Dauerausstellung über den Holocaust knüpfte dann doch an Wulfs Initiative an und benannte ihre Bibliothek nach dem engagierten Vorstreiter.

Der Kampf um das Dokumentationszentrum machte Wulf in Berlin bekannt. Doch blieb er ein polnischer Jude im Täterland und fand auch in der jüdischen Gemeinde Deutschlands kaum eine Heimat. Der 1912 Geborene bekam an der jüdischen Hochschule in Krakau die Ausbildung zum Rabbiner, er war zionistisch orientiert. Nach der Okkupation Polens wurde er Mitglied der Jüdischen Kampforganisation im Krakauer Ghetto. Der damals 27-Jährige stand der AKIBA nahe, die europäischen Liberalismus mit der Idee der Kibbuzim vermitteln wollte. Verhaftung, Folter, das Konzentrationslager Auschwitz und die Flucht von einem der Todesmärsche überstand Wulf.

Die knapp 30 Jahre danach von 1945 bis 1974 sind durch die Anstrengung geprägt, den Nationalsozialismus und seine Vernichtungspolitik aufzuarbeiten. Zunächst wirkte Wulf an diesem Vorhaben als Mitglied der berühmten Jüdischen Kommission in Polen, deren Verlag in den ersten Nachkriegsjahren Erinnerungen, Dokumente und literarische Zeugnisse der Verfolgung publizierte. Wulf verließ das von der kommunistischen Arbeiterpartei dominierte Polen und war von 1948 an im Pariser Zentrum zur Erforschung des polnischen Judentums tätig. Die Zusammenarbeit mit Leon Poliakov erbrachte vier Dokumentationsbände, die zu den bleibenden Ergebnissen der frühen Historiographie des Nationalsozialismus zählen. Alles kreiste um die Vernichtung der Juden. So hießen die Bücher "Das Dritte Reich und die Juden", "Die Denker", "Die Vollstrecker" und "Die Diener". Er entlarvte die Vernichtungsmaschinerie durch Dokumente der Bürokratie.

Auch danach setzte Wulf seine Aufklärungsarbeit fort mit einer fünfbändigen Dokumentenreihe "Kultur im Dritten Reich": die ideologische Durchdringung der Bildenden Künste, Musik, Literatur und Dichtung, von Theater und Film, Presse und Rundfunk war das Generalthema. Eine Darstellung jiddischer Dichtung aus Ghettos, Monographien über Himmler und Bormann, aber auch über den schwedischen Helfer der Juden, Raoul Wallenberg, stammen aus seiner Feder.

Wulf lieh auch seine Stimme der Erinnerung. Eine Schallplattenaufnahme mit jiddischen Liedern offenbart die Gegenwart der vernichteten Lebenswelt in seinem Selbstverständnis: "Ob ich ein Jude bin? Ich weiß es ehrlich nicht. Ich weiß, dass man nicht nur sechs Millionen Juden vergast, sondern eine große intellektuelle, poetische ostjüdische Kultur ausgerottet hat."

Wulf blieb ein Kämpfer im Widerstand. Nicht, dass die in seinen Büchern demaskierten Nazi-Täter juristische Gegenangriffe starteten, kränkte ihn, aber dass seiner Arbeit wegen Formalitäten oder Unvollständigkeit der zitierten Dokumente wissenschaftliche Dignität abgesprochen wurde - das hat ihn tief verletzt. Was Wulf und Poliakov präsentierten, konnte kein historisches Urteil, sondern ein, wie Wulf schrieb, "Stadium für künftige Historiker" sein.

In den letzten Lebensjahren wurden Wulf Ehrungen zuteil: Der Leo Baeck-Preis, die Carl von Ossietzky-Medaille, der Heinrich Stahl-Preis und die Ehrendoktorwürde der Freien Universität. Bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde erklärte der damalige Dekan der Philosophischen Fakultät: "Mit dieser Auszeichnung ehrt die Universität sich selbst." 1973 starb Wulfs Frau Jenta, der vertrauteste Mensch in diesem erschütterten Leben. Ihr war es gelungen, aus Wulf, dem "verwöhnten Schöngeist", einen "engagierten Mann" zu machen. Am 10. Oktober 1974 nahm Wulf sich in Berlin das Leben.

Barbara Breysach

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