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Gesundheit: Das Kreuz mit dem Kreuzband

Fußballer haben häufig Knieverletzungen. Trotz Fortschritten bei der Behandlung sind Spätschäden häufig

Eigentlich verletzen sich Fußballer nicht häufiger als andere Sportler. Im Gegenteil: Handballer und Basketballer leben deutlich gefährlicher. Und Profifußballer haben, gemessen an der Spielzeit, sogar weniger Verletzungen zu beklagen als Amateure. Trotzdem ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Zuschauer während der kommenden WM einige Verletzungen live miterleben werden. Denn während des Wettkampfs sind die Spieler besonders gefährdet.

„Im Spiel gibt es zehnmal so viele Verletzungen wie während des Trainings“, sagte Heinrich Hess, Vorsitzender der medizinischen Kommission des Deutschen Fußballbundes, beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, der in der letzten Woche in Berlin stattfand. Die meisten verletzungsträchtigen Unfälle ereignen sich dabei gegen Ende der beiden Halbzeiten. Zu dem Zeitpunkt also, an dem die meisten Tore fallen.

Hess ist stolz darauf, an die 300 Länderspiele und drei Weltmeisterschaften direkt auf der Bank mitgemacht zu haben. „In dieser Zeit hat sich der internationale Fußballsport erheblich gewandelt“, sagte der Mediziner. Die Spieler laufen zwar wie eh und je pro Spiel zwischen acht und zehn Kilometern. Was jedoch zugenommen hat, ist das Tempo der einzelnen Spielaktionen und die Anzahl der kurzen Sprints, die zwischendurch eingelegt werden müssen.

„Insgesamt ist das keine ganz unvernünftige Mischung", sagte der Unfallchirurg Philipp Lobenhoffer von der Henriettenstiftung in Hannover. So ist den Studien zufolge die Lebenserwartung von Profifußballern auch höher als die von Ringern oder Gewichthebern, wenn auch niedriger als die von Ausdauersportlern. Doch es ist vor allem die Zunahme der Spiele, die den Sportmedizinern Sorgen macht. Viele Profis muteten sich bis zu 80 Spiele im Jahr zu.

Wenn sie dabei ohne Verletzung davonkommen, tragen sie trotzdem kein erhöhtes Risiko für Verschleißerscheinungen der Gelenke. Doch zehn bis 20 Prozent der Bundesliga-Spieler erleiden schon zu Beginn ihrer Karriere schwere Knieverletzungen. Typisch ist, dass nach einem schnellen Richtungswechsel, einer unglücklichen Landung nach einem Sprung oder einem Abstoppen das vordere Kreuzband reißt (siehe Infokasten).

Das passiert auch Basketballern und Handballern, und ganz besonders gefährdet sind die Kreuzbänder des Sportlerinnen-Knies: Beim Frauenfußball ist ein Kreuzbandriss dreimal, beim Frauenhandball sogar fünfmal häufiger als bei den Männern. Sportmediziner vermuten als Grund eine Mischung aus anatomischen, hormonellen und bewegungstechnischen Geschlechtsunterschieden.

Ob die Kreuzbandrisse in den letzten Jahren wirklich zugenommen haben, ist nicht ganz klar. Auf jeden Fall werden sie dank moderner Aufnahmetechniken zuverlässiger festgestellt. Und bei Menschen, die weiter aktiv Leistungssport betreiben wollen, werden sie inzwischen auch praktisch immer operiert. Die Techniken dafür sind in den letzten Jahren raffinierter geworden. „Die minimal-invasive Chirurgie mit ihren kleinen Schnitten kann hier als Quantensprung gelten“, sagte Klaus Michael Stürmer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie, von der Uni Göttingen.

In 90 bis 95 Prozent der Fälle erzielt die minimal-invasive Schlüssellochchirurgie gute Ergebnisse, so die Experten auf dem Kongress. Das bedeutet: Das Kniegelenk der Sportler ist wieder stabil. Der Wermutstropfen: Langzeituntersuchungen zeigen, dass eines der Ziele der Operation nicht erreicht wird. Die Sportler haben trotzdem ein deutlich erhöhtes Risiko, später eine Arthrose des Kniegelenks zu bekommen.

„Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass unsere Patienten mit dem Knie, das auf einem schlechteren Level funktioniert, schnell wieder in einen hohen Leistungsbereich katapultiert werden“, sagte der Unfallchirurg Lobenhoffer. Die Spieler stehen schließlich unter hohem finanziellem und psychologischem Druck. „In den allermeisten Fällen werden die Verletzungen nicht auskuriert“, kritisierte Stürmer.

Selbst nach einer angemessenen Pause ist das Risiko einer erneuten Verletzung deutlich höher als das eines bisher unversehrten Spielers für einen ersten Unfall auf dem Spielfeld. Hauptgrund ist eine bleibend gestörte Wahrnehmung: Die feinen Nervenenden in den Bändern und Kapseln fehlen nach einer Kreuzbandoperation. „Man kann viel ausgleichen, aber es wird nicht wieder wie vorher“, meinte Stürmer.

Eine Knieverletzung bedeutet für den Profifußballer also nach wie vor: Erhöhte Gefahr für eine spätere Arthrose des Kniegelenks. Einer Schweizer Untersuchung zufolge leidet die Hälfte aller Ex-Profi-Fußballer an Arthrose, ein Drittel hatte schon mindestens eine Gelenkoperation. Die Spitzenfußballer der 70er Jahre hätten heute praktisch alle Beschwerden in den Gelenken, „und auch Franz Beckenbauer sagt offen, dass er Schmerzmittel nimmt, bevor er zum Golfen geht“, berichtete der Unfallchirurg Stürmer.

Studien zeigen allerdings auch, dass man mit einem geeigneten Training die Verletzungsgefahr deutlich senken kann. Der Weltfußballverband FIFA propagiert für Amateure wie Profis Übungen, die vor allem die feine Eigenwahrnehmung und die Koordination verbessern und die Muskulatur von Rumpf und hinterer Oberschenkel-Muskulatur kräftigen sollen.

Die letzte von der FIFA empfohlene Übung lautet ausdrücklich: Fair Play. Aber auch wenn Fouls bei dieser WM konsequent vermieden werden sollten, ist die Verletzungsgefahr damit nicht ganz gebannt. Wie Henry Hornung von der unfallchirurgischen Abteilung des Berliner Martin-Luther-Krankenhauses auf dem Kongress erläuterte, ereignen sich 70 Prozent der Unfälle nämlich ohne direkten Körperkontakt.

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