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Gesundheit: „Das Universum ist ein Konzert“

Was hält die Welt im Innersten zusammen? Schwingende Saiten, sagt der String-Physiker und Autor Brian Greene

Mr. Greene, ist die Weltformel schon zum Greifen nah?

Es könnte sein, dass ich morgen ins Internet gehe und ich sie da, in einer wissenschaftlichen Publikation, vorfinde. Aber ich glaube nicht, dass morgen dieser Tag sein wird.

Sondern?

Wenn wir so weitermachen wie in den letzten fünf bis zehn Jahren, würde ich sagen: In zehn bis zwanzig Jahren werden wir wissen, ob unser jetzige Ansatz in die richtige Richtung geht. Es ist sogar möglich, dass wir dann auch schon experimentell beweisen können, dass unsere Theorie stimmt.

Die String-Theorie...

... oder eine ihrer Nachfolgerinnen.

Was besagt die String-Theorie?

Dass die Teilchen, die wir kennen, nicht der fundamentale Baustein des Universums sind. Der fundamentale Baustein sind die Strings.

Wie dürfen wir uns die Strings vorstellen?

Wie die Saiten eines Cellos, die unterschiedlich schwingen. Je nach Schwingung der Saite entsteht – statt eines bestimmten Tons – ein bestimmtes Teilchen, etwa ein Elektron oder ein Quark.

Das Universum ist ein gigantisches Konzert?

Ja.

Wow. Und wie hilft uns diese Idee weiter?

Bis zum Auftauchen der String-Theorie gab es zwei Gedankengebäude, mit denen sich das Universum verstehen lässt. Zum einen Einsteins Relativitätstheorie für die großen Dinge – Sterne und Galaxien. Zum anderen die Quantenmechanik für Moleküle, Atome und subatomare Teilchen. Beide Theorien sind fantastisch. Es gibt nur einen Haken: Sie passen nicht zusammen.

Wieso nicht?

Immer dann, wenn etwas im Universum zwei besondere Eigenschaften zugleich hat, stoßen wir auf ein Problem. Diese Eigenschaften sind: Das gewisse Etwas muss massereich sein, so dass wir Einsteins Relativitätstheorie brauchen. Und es muss sehr klein sein – was uns in den Bereich der Quantenmechanik führt.

Was ist denn dieses gewisse Etwas?

Zum Beispiel ein Schwarzes Loch...

...ein Gebilde im Universum, dessen Anziehungskraft so groß ist, dass selbst das Licht ihm nicht entweichen kann...

...und es gibt noch einen Fall, bei dem beide Theorien ins Spiel kommen: die Situation kurz vor dem Urknall, als unser Universum auf einen winzigen Punkt geschrumpft war.

Inwiefern gleicht ein Schwarzes Loch dem Urzustand unseres Universums?

Die beiden sind sich tatsächlich sehr ähnlich. Die mathematischen Beschreibungen sind zwar im Detail verschieden. Aber viele Physiker glauben, dass wir, wenn wir das Zentrum eines Schwarzen Lochs verstehen, wir auch Situation vor dem Urknall begreifen.

Und wie hilft die String-Theorie dabei?

Die String-Theorie begrenzt, wie klein Dinge werden können. Im herkömmlichen Denken sind das Zentrum eines Schwarzen Lochs sowie die Singularität – dieser Zustand vor dem Urknall – ein unendlich kleiner Punkt, so winzig, wie man sich nur denken kann.

Und die String-Theorie vergrößert die Sache?

Genau, die String-Theorie dehnt den Punkt aus, gibt ihm eine Größe. Die Teilchen bestehen nicht mehr aus noch kleineren Teilchen, bis sie unendlich klein sind, sondern aus ausgedehnten Schleifen – Strings. Mit Hilfe der Strings lassen sich Einsteins Relativitätstheorie und die Quantenmechanik mathematisch unter einen Hut bringen.

Aber woraus bestehen diese Strings?

Aus Energie. Aus purer Energie.

Und man kann einen String nicht zerschneiden und noch kleiner machen?

Doch, manche Strings kann man zerschneiden, aber wie bei einem Wurm haben Sie dann lediglich einen weiteren String. Sie haben nichts qualitativ Neues.

Was befindet sich in dem Raum um den Strings herum?

Das ist Raum, der nicht existiert.

Wie bitte?

Ich weiß, es ist schwer für unseren Verstand, sich das Nichts vorzustellen.

Und die Zeit? Wie bilden Strings die Zeit?

Ich wünschte, ich könnte es Ihnen sagen! Bisher nehmen wir die Existenz von Raum und Zeit immer noch an. Erst danach finden wir die Formeln, die das Verhalten der Strings innerhalb dieser Raumzeit beschreiben. Die nächste Revolution wird deshalb in der Entwicklung einer Theorie liegen, die Raum und Zeit nicht mehr annehmen muss, sondern bei der diese sich aus der Theorie ergeben.

Wie soll man das verstehen?

Nehmen Sie das Phänomen Temperatur. Sie ergibt sich aus der Tatsache, dass sich Moleküle bewegen. Bewegen sie sich stark, ist es warm. Bei geringer Bewegung ist es kalt. Temperatur ist nicht etwas Fundamentales in der Natur. Es ist etwas, dass aus der Bewegung von Molekülen resultiert. Auch Raum und Zeit sind, wie ich glaube, nicht fundamental. Sie ergeben sich aus einer besonderen Konfiguration von Strings. Es könnte Orte geben, wo sich die Strings so organisiert haben, dass sie weder Raum noch Zeit hervorbringen.

Die String-Theorie besagt auch, dass es nicht drei, sondern zehn Dimensionen des Raums gibt. Ist das nicht etwas weit hergeholt?

Das ist ohne Mathematik nicht zu verstehen, es resultiert aus den Formeln der Theorie. Wenn die Welt nur drei Dimensionen hätte, würden die Formeln zusammenbrechen.

Besonders bizarr mutet die Idee von Parallelwelten an, die einige String-Theoretiker vorschlagen.

Ja, nach dieser Idee können Sie sich das Universum als ein in Scheiben zerschnittenes Brot vorstellen. In einer dieser Scheiben leben wir. Die anderen Scheiben sind Parallel-Universen.

Sind die weit von uns entfernt?

Sie könnten sich innerhalb von Bruchteilen eines Millimeters von uns befinden, aber in einer anderen Richtung, in einer anderen Dimension.

Unglaublich! Lässt sich das beweisen?

Also, was die Parallelwelten betrifft, da zweifle ich selbst auch. Die String-Theorie als solche aber lässt sich beweisen.

Wie?

Man kann Experimente machen. Zum Beispiel könnte sich bei Versuchen in dem neuen Teilchenbeschleuniger, den man jetzt am Forschungszentrum Cern bei Genf baut, dem „Large Hadron Collidor“, herausstellen, dass bei manchen Kollisionen Energie entwischt – in eine Extra- Dimension. Das ist eine Voraussage, zu der nur die String-Theorie kommt.

Wäre die Theorie damit bewiesen?

Nein, aber es wäre ein ziemlich überzeugender Hinweis.

Was wäre schon eher ein Beweis?

Wenn wir zum Beispiel mit ihrer Hilfe die Masse eines Elektrons berechnen könnten. Wir können die Masse eines Elektrons messen, aber niemand weiß, warum es so viel wiegt. Oder wenn man mit der Theorie die Stärke der Gravitationskraft ausrechnen könnte...

Das heißt, Sie könnten die String-Theorie hier in Ihrem Büro beweisen?

Im Grunde ja.

Wenn Journalisten Ihre Zeit nicht ständig mit Interviews verschwenden würden...

(lacht) Nun, das ist ja auch für einen guten Zweck.

Das Gespräch führten Sina Bartfeld und Bas Kast.

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