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Gesundheit: Das Wissen von Houston liegt auf Eis

Früher zog es die Nasa zum Mond, heute sucht sie den Himmel in der Antarktis - Ein Besuch bei der amerikanischen Weltraumbehörde

Von Thomas de Padova

Der Vergnügungspark ist eine kosmische Wunderwelt. Tausende Kinder und Erwachsene steigen Tag für Tag in die nachgebauten Raumfähren. Sie lassen sich von Flugsimulatoren durchrütteln, landen butterweich auf dem Mond, essen Space-Ball-Eiskrem und Astro-Fritten. Im Raumfahrtzentrum der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa, 40 Kilometer südöstlich von Houston, tragen selbst die Klofrauen Raumanzüge.

Den Besuchern ist auch eine kurze Fahrt über das ansonsten weiträumig abgesperrte Nasa-Forschungsgelände vergönnt. 13 000 Wissenschaftler, Ingenieure und Computerfachleute arbeiten hier in oft fensterlosen Betonbauten und stählernen Hallen. Nur die Bimmelbahn durchbricht gelegentlich die Nüchternheit und Tristesse. Auf fest vorgeschriebener Route fährt sie durch die Sicherheitszone und gibt den Schaulustigen einen Einblick in jene Wirklichkeit, die mit den zuvor geschürten Erwartungen vereinbar ist: In Gebäude 9 trainieren Astronauten für ihren routinemäßigen Einsatz auf der Internationalen Raumstation. In Halle 220 bauen Ingenieure einen Raumgleiter zusammen, der die Astronauten dereinst aus der nahen Erdumlaufbahn zurück zur Erde bringen soll.

Donald Bogard sitzt in Gebäude 31 außerhalb des Gesichtskreises des Disney-Konzerns in einem kleinen, dunklen Büro. Auch er denkt bisweilen an jene Zeit zurück, als amerikanische Astronauten auf dem Mond landeten und Steine von dort zurück zur Erde brachten. Bogard hat diese Bodenproben analysiert. Er hat das Mondgestein mit irdischem Fels verglichen. Erst dieser Vergleich hat die Wissenschaft zu der Einsicht geführt, dass Mond und Erde einst gemeinsam entstanden sind, als zwei stattliche Himmelskörper miteinander kollidierten.

Inzwischen fliegen keine Astronauten mehr zum Mond. Und schon gar nicht zum Mars. Es gibt nicht einmal Raketen, mit denen dies möglich wäre. Kein Land der Erde wäre bereit, derart teure Großraketen zu bezahlen – auch nicht die USA. Und so studiert Donald Bogard heute nicht mehr die Mitbringsel der Astronauten, wie noch vor 30 Jahren, sondern all das, was gratis den Weg aus dem Weltall zur Erde findet: Meteoriten.

Jeder Gang macht schlank

Sein jüngerer Kollege David Mittlefehldt ist soeben mit einer frischen Ladung himmlischen Gesteins aus der Antarktis zurückgekehrt. „Wir haben in dieser Saison 336 Meteoriten gefunden“, sagt er. Es war bereits seine zweite Tour ins ewige Eis, ein Trip, der hier am Johnson Space Center auch als „Houston-Schlankheitskur“ bespöttelt wird. „Bei meiner ersten Reise 1997 habe ich in acht Wochen mehr als zehn Kilogramm abgenommen – allerdings nicht ganz unbeabsichtigt“, sagt Mittlefehldt und schlägt sich auf den Bauch.

Nicht, dass es im Polargebiet nichts zu essen gäbe, aber die Kälte zehrt eben Energie. Die Meteoritensucher werden in Neuseeland eingekleidet und können sich anschließend auf der McMurdo-Polarstation alles an Verpflegung einstecken, was ihnen lieb ist. Dann fährt das Team aus sieben bis zehn Freiwilligen in ein abgeschiedenes Camp.

Gegen 9 Uhr am Morgen satteln die Forscher auf und fahren mit Schneemobilen in Kolonnen übers Eis. Es erscheint fast wie ein kleines Wunder, dass sie ausgerechnet hier, in der Antarktis, immer wieder fündig werden. Alle Meteoriten, die im Polareis einschlagen, verschwinden in der Regel schnell im Schnee. Sie sinken in unerreichbare Tiefen. Der Neuschnee drückt die Eismassen nach unten, und das Eis fließt vom Zentrum des antarktischen Kontinents zu den Rändern hin ins Meer.

In manchen Polarregionen türmt sich das Eis jedoch vor Gebirgsketten auf. Mit ihm steigen auch die darin konservierten Meteoriten wieder nach oben. Nach langer Wanderung gelangen sie plötzlich ans Licht, weil Wind und Sonne die obersten Eisschichten Zentimeter für Zentimeter abtragen. Auf dem weißen Untergrund sind die Meteoriten leicht zu erkennen. Sie sind von ihrem Flug durch die Erdatmosphäre verkohlt.

Jedes Jahr lesen amerikanische und japanische Forscher Hunderte Meteoriten in der Antarktis auf. Das Johnson Space Center in Houston hat den größten Schatz zusammengetragen. „Unsere Suchtrupps haben in der Antarktis weit mehr als 10 000 Metoriten gefunden – über die Hälfte aller bekannten Meteoriten auf Erden“, sagt Carlton C. Allen, der Kurator und Hüter der Steine. „Es sind zudem die am sorgfältigsten konservierten Meteorite“, fügt er hinzu, während er sich blaue Plastikhüllen über die Schuhe zieht. Im nächsten Raum streift er sich Kittel und Häubchen über. Dann bläst eine Luftdusche den Staub weg, den er von draußen mitgebracht hat.

Allen öffnet die schwere Tür zur Schatzkammer. Hier lagern die Steine wie in einem medizinischen Labor: Sie sind in Tütchen eingeschweißt und in großen Kühlschränken und Stahlbehältern verstaut. Einige Steine werden in Vitrinen von kaltem, trockenen Stickstoff umströmt. „Diesen hier hat David Mittlefehldt gerade aus der Antarktis mitgebracht.“ Allens Kollegin, die Geologin Kathleen M. McBride, legt den kleinen Stein mit einer Pinzette auf ein Tortenschälchen und betrachtet ihn unter dem Mikroskop. Bereits nach einem kurzen Blick kann sie den Meteoriten grob einordnen. „Es ist ein gewöhnlicher Chondrit.“ Der Stein ist 4,5 Milliarden Jahre alt – älter als jeder Stein auf Erden.

Auf unserer bewegten Erde ist alles Gestein im Laufe der Jahrmilliarden mehrfach geschmolzen, hat sich in Wind und Wetter aufgelöst und später wieder verfestigt. Die kleinsten Himmelskörper im Sonnensystem, die Meteoriten, sind von derartigen Veränderungen, von Vulkanismus oder Verwitterung, weitgehend verschont geblieben. Das Gestein hat sich seit seiner Entstehung kaum gewandelt. Die Zusammensetzung der Meteoriten verrät den Forschern noch heute, aus welchen Urstoffen und unter welchen Bedingungen sich die Erde und die anderen Planeten vor 4,5 Milliarden Jahren formten.

Es gibt jedoch auch einige jüngere Meteoriten. Kathleen M. McBride schließt eine Metallkiste auf, in der die bisher interessantesten Fundstücke lagern: faustgroße Steine vom Mars mit den Aufschriften EETA79001 sowie ALH84001. „Als wir in den 60er Jahren die ersten Mars-Meteoriten studierten, wussten wir noch nicht, dass sie vom Mars stammen“, sagt Donald Bogard. „Kaum jemand glaubte damals, dass ein Stein den Mars verlassen könnte. Aber dann stellten wir fest, dass das Gestein einiger Meteoriten außergewöhnlich jung war. Der Nakhla-Meteorit zum Beispiel ist nur 1,3 Milliarden Jahre alt.“

Da er sich erst vor so kurzer Zeit aus Magma gebildet hatte, war anzunehmen, dass er von einem großen Himmelskörper stammte, von einem Planeten, auf dem es noch bis in die jüngste Vergangenheit hinein Vulkanismus gegeben hatte. In den 80er Jahren machte Donald Bogard dann die Entdeckung seines Lebens: Der Meteorit EETA79001 enthielt kleine Bläschen, in denen Gas eingeschlossen war. Bogard erhitzte das Gestein und analysierte die nach und nach daraus entweichende Luft. „Es war Luft aus der Mars-Atmosphäre. Das Gas hatte die selbe chemische Zusammensetzung, wie sie die Viking-Raumsonden einige Jahre zuvor messen hatten, als sie ihre Fühler in die Mars-Atmosphäre hielten.“

Spuren von Leben, oder nicht?

Inzwischen haben Wissenschaftler mehr als 20 weitere Mars-Meteoriten identifiziert und fast ebenso viele vom Mond. Die Meteoriten stammen aus unterschiedlichen Gebieten und Zeitaltern. Sie spiegeln unter anderem die geologische Entwicklung der Himmelskörper wider: Phasen des Vulkanismus zum Beispiel, die auf dem Mars bis in die jüngste Vergangenheit hinein andauerten, wohingegen der Mond schon lange erloschen ist. Einer dieser Meteoriten hat inzwischen große Berühmtheit erlangt: ALH84001. Es ist der mit Abstand älteste und umstrittendste Mars-Meteorit. Und niemand hat in den vergangenen Jahren so genau in diese dunkle Kristallkugel geschaut wie David McKay.

McKay entdeckte in dem Stein winzige Karbonatablagerungen und an deren Rändern wurmartige Gebilde. Er glaubt nach wie vor, dass es sich dabei um Mikrofossilien handelt, um versteinerte Kleinstlebewesen vom Mars. „Als ich sie meiner Tochter zeigte und sie fragte, was das ist, sagte sie sofort: Bakterien.“ McKay hat in dem Stein noch weitere Relikte gefunden, die von Marslebewesen zu stammen scheinen. „Auch andere Mars-Meteorite zeigen derartige Lebensspuren“, sagt McKay. „Sie haben Risse und Löcher, durch die vermutlich Wasser geflossen ist: Mars-Wasser.“

Selbst unter den Meteoritenforschern am Johnson Space Center ist McKays Hypothese, mit der er 1996 erstmals an die Weltöffentlichkeit trat, jedoch äußerst umstritten. Die Spekulationen seien verfrüht, die Wurm- oder Spaghetti-Muster könnten sich möglicherweise ebenso gut in einer völlig leblosen Marsumgebung gebildet haben, wirft ihm mancher Kollege vor.

Das Gedankengebäude, das McKay auf der kleinen Mars-Kartoffel errichtet hat, ist auch seinerseits von Rissen und Löchern nicht verschont geblieben. „Wir können noch nicht mit Sicherheit sagen, dass es einst Leben auf dem Mars gab“, räumt McKay ein. „Wir müssen noch weitere Mars-Meteorite finden.“

Die Suche nach den Steinen des Himmels bleibt reizvoll. Sie ist billiger und mitunter ergiebiger als spektakuläre Weltraummissionen. Jeder tausendste Stein, der die Erde trifft, kommt vom Mars. Und Antarktisregionen wie Allan Hills, in der amerikanische Geologen den Meteoriten ALH84001 entdeckten, bewahren wohl noch eine Menge derartige Schätze.

Freiwillige vor, heißt es wieder einmal, und Carlton C. Allen meldet sich für die nächste Polarexpedition. Es bleiben ihm nur noch wenige Monate, um sich ein Fettpölsterchen für die Reise anzulegen.

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