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Gesundheit: Den Tod mit der Lebenslust versöhnen

Wer die Geschlechterdifferenz beseitigen will, hofft auf Unsterblichkeit

Talk im Turm in Sat 1. Eine Gesprächsrunde anlässlich der Rede einer CDU-Frau beim Bundesparteitag, die eine Frauenquote für Parteiämter brüsk ablehnte. Die Ärmste saß in der Runde mit dem unvermeidlichen Sohn Heiner Geißler, der großen Schwester Alice und mir als Autor eines Buches über die Geschichte der Vaterschaft. Alle Rollen und Vorurteile fest verkeilt. Keine Chance. Abbuchen auf dem Konto Lebenserfahrung: Wer sich öffentlich zur Geschlechterdifferenz äußert, muss naiv, verrückt, tollkühn sein oder alles zugleich.

Jetzt zum Postfeminismus, was immer das sei. Vorher sind ein paar Dinge zu klären. Erstens: Ich bin nicht der Sohn einer alleinerziehenden Mutter mit jesuitischem Hintergrund und ich habe auch nicht abgetrieben, sondern ich habe drei Söhne und die besten Erfahrungen mit Frauen in meinem Leben, soweit man mit Menschen gute Erfahrungen machen kann. Wenn eine kosmische Entität mir die Entscheidung abverlangte, ob ich eher mit Männern oder mit Frauen weiterleben wollte, fiele es mir schwer, mich nicht für Frauen zu entscheiden, warum auch?

Zweitens: Die Frauenemanzipation ist nicht die Ursache für die katastrophale demografische Entwicklung, sondern Mick Jagger und Amanda Lear, beides androgyne Typen. Kurz: Es gibt keine einfachen Kausalitäten bei sozialen Sachverhalten, sondern nur sehr komplexe, von deren Aufklärung wir weit entfernt sind. Wir brauchen aber empirische Evidenzen. Bis wir diese nicht haben, reden wir nicht über die Wirklichkeit, wenn wir über Geschlechterdifferenz reden, sondern über das Reden über eine Wirklichkeit, die wir nicht „wirklich“ kennen können. Drittens: Wer ist Eva Herman?

Ich bevorzuge die Gnosis, in der die wichtigsten Strukturen bereits angelegt sind über eine anthropologische Differenz, die nun mal da ist, die zwischen den Geschlechtern und deren Problematisierung in zyklischen Abständen wieder auftaucht und eine mythische Quelle hat. Der Wunsch, die Geschlechterdifferenz zu beseitigen – wie es feministische Ansätze wollten – , ist der Ausdruck einer tieferen Sehnsucht, nämlich eine ganz andere Differenz – die zwischen den Menschen und Gott – und damit die eigene Sterblichkeit zu beseitigen. Das Reden darüber hat also die Funktion, die eigene Sterblichkeit zu thematisieren, zumindest für die, die sich nicht damit abfinden können, dass sie keine Götter sind. Also für ziemlich viele.

Genug der Prophylaxe. An der aktuellen Diskussion beteiligt man sich besser nicht, sie ist zu schlicht und es gab sie schon besser. Platon zum Beispiel: „Denn erstlich gab es drei Geschlechter von Menschen, nicht wie jetzt nur zwei, männliches und weibliches, sondern es gab noch ein drittes dazu, welches das gemeinschaftliche war von diesen beiden.“ Es war das vollkommenere, göttliche.

In den Mythen mancher Stammesgesellschaften finden wir etwas Ähnliches: Die Menschen als Nachkommen der „Welteltern“, die eine einzige Person waren, stehen für den Bruch zwischen den Eltern, der die Weltschöpfung erst möglich macht. Nur durch die Trennung ihres Körpers in zwei werden Raum und Licht frei für die Entstehung der menschlichen Produkte wie Handwerk und Kultur. Vereinfacht: Welt entsteht durch Teilung (der Gottheit); die auf ihr wandelnden Menschen sind aber dadurch auch von Gott getrennt, wenngleich gottähnlich geblieben. Sie haben also ihrer Natur nach die Chance, jene (Un-)Ordnung wieder rückgängig zu machen, wieder göttlich zu werden. Sie können den Tod überwinden, wenn es ihnen gelingt, die Teilung der Gottheit, deren Produkt sie selbst sind, zu revidieren. Aber wie? Die Antwort ist klar: Die Geschlechterdifferenz muss weg. Es handelt sich um eine klassische Paradoxie: Das Phantasma des Todes, der uns alle schreckt, ist nur bearbeitbar durch die Negation jener Differenz, die gleichzeitig die Quelle des hiesigen Lebens und der Lust ist. Will man darauf verzichten? Oder kann man das eine haben, ohne das andere zu verlieren? In der Geschichte unseres Denkens gibt es verschiedene Lösungen.

Lösung Nr. 1: Leugnen, dass die Geschlechterdifferenz Quelle des Lebens ist oder dieses Leben für bedeutungslos erklären: Wanderprediger tun so was und Einsiedler, Philosophen in Tonnen und In-vitro-Fertilisateure mit Doktortitel. Manchen dient der christliche Gottessohn dabei als (un)ausgesprochenes Vorbild: War da etwa was mit Frauen?

Lösung Nr. 2: Leugnen, dass die Geschlechterdifferenz Quelle der höchsten Lust ist oder die Lust für ablehnenswert erklären: Flagellanten legten nahe, dass es noch mehr Spaß geben kann, die Brüder Don Camillos verlegten sich auf die Völlerei, Rita Süssmuth warnte vor der Aidsgefahr durch Promiskuität. Marlene Dietrich soll auf Befragen, diesen Niederungen längst entronnen, gesagt haben: „Männer brauchen so was.“

Lösung Nr. 3: Die Geschlechterdifferenz aufheben und sich in derselben Dimension anders vergnügen: Das ist eine moderne Figuration. Sie kann in Androgynie (Jagger-Lear) oder aber auch darin bestehen, dass das jeweils andere Geschlecht für entbehrlich erklärt wird. So müssen wir bei Walter Benjamin lesen: „Wie weit die Geistigkeit des Weibes geht, wer weiß es? Was wissen wir vom Weibe? Wir erlebten noch keine Kultur der Frau.“ Das hat sich gewaltig geändert.

Georg Simmel hatte 1902 schon die Gegenthese zu Benjamin vorweggenommen, wenn er feststellte, dass das Eigentliche, aus sich selbst heraus existierende Geschlecht das weibliche sei, zu dem sich das männliche nur relativ verhalte, dass nämlich, „wenn diese Relation wegfiele, nichts übrig bliebe; es bleibt tatsächlich kein neutraler ‚Mensch’, sondern eine Frau übrig“. Das hätte Wilhelm von Humboldt nicht gefallen, der schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts – die Selbstverständlichkeiten erodierten – über „die männliche und die weibliche Form“ sagte, dass „die Geschlechtsverschiedenheiten beider in einer so vollkommenen Übereinstimmung mit einander stehen, dass sie dadurch zu einem Ganzen zusammenschmelzen“. Diese etwas langweilige Idee hatte er bei Franz von Baader abgekupfert, der sie der Gnosis entnommen hatte: Die Rücknahme des Bruches mit Gott ist als dauerhafte menschliche Aufgabe nur durch die Aufhebung des Geschlechterunterschieds zu erfüllen. Natürlich ist keiner Eva (und keinem Adam) dieser geistesgeschichtliche Hintergrund bewusst, wenn er/sie jetzt „postfeministische“ Töne anschlägt.

Ich weiß nicht, was Postfeminismus ist. Aber er gehört offenbar zu einem ganz anderen Diskurs als nur zu dem über die Geschlechter. Er gehört zu den mythischen Formen des Umgangs mit der Todestatsache und ist insoweit selbst ein Mythologem. Ich habe den Verdacht, dass er letztlich in demselben Dilemma steckt wie der Feminismus, der die Differenz braucht, um sie zum Verschwinden zu bringen. Wenn er darin besteht, hinter die drei Lösungen zurückzufallen, die den Tod mit der Lust des Lebens versöhnen, im besten Falle, indem sie etwas drittes schaffen, dann ist er eine unterkomplexe Antwort auf die komplexeste anthropologische Elementarfrage schlechthin: warum wir sterblich sind. Darin würde der Postfeminismus dann nur noch durch das Gleichbehandlungsgesetz unterboten, das alle Differenzen schleift und auch noch diejenige zwischen den Differenzen selbst: Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist eben ein anderer als der zwischen Opa und Enkel. Gelobt sei der Herr!

Der Autor ist Präsident der Freien Universität Berlin.

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