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Depression: Wenn es nicht mehr weitergeht

Nach dem Selbstmord des Torwarts Robert Enke wird über die „Volkskrankheit Depression“ diskutiert Berlin zieht Menschen mit psychischen Problemen besonders an. Hier finden sie ein dichtes Hilfsnetz.

Eine Mail kurz nach dem Telefongespräch: „Bitte erwähnen Sie meinen Namen nicht! Das ginge einen Schritt zu weit.“ Die Mauer des Schweigens rund um das Ghetto der Krankheit möchte auch diese Gesprächspartnerin nicht durchbrechen.

Nach dem Freitod des Fußballers Robert Enke wird intensiv über das Thema Depressionen diskutiert. Alle diskutieren mit, nur nicht die Betroffenen. Wer sind sie? Wo sind sie? Und warum schweigen sie weiter?

In Berlin gibt es viele von ihnen, vermutlich 170 000, sagt Meryam Schouler-Ozak vom „Bündnis gegen Depression“. Etwa 30 Prozent bekämen eine korrekte Diagnose, weniger als 9 Prozent begäben sich in Behandlung, nach drei Monaten seien es noch vier Prozent. „Je länger eine Behandlung dauert, desto mehr zweifeln die Patienten an ihrem Nutzen“, sagt Schouler-Ozak, die selbst Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ist. Viele würden dann vorzeitig abbrechen.

Die meisten Depressiven verdrängen ihre Krankheit, versuchen, sie alleine zu besiegen, verschleppen und verschlimmern sie damit, aus Angst vor einem sozialen Stigma. Einige scheitern tödlich. 2007 gab es in Berlin 433 Suizide, 305 davon wurden von Männern begangen.

Berlin wirkt anziehend auf Menschen mit psychischen Problemen, sagt Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie am Klinikum Benjamin Franklin. Hier könnten sie in die Anonymität abtauchen. Gleichzeitig steige ihr Risiko, denn „in der Hauptstadt der Singles“, so Heuser, falle es schwer, „stabile soziale Beziehungen“ aufzubauen. Damit falle ein wichtiger Schutz vor der Krankheit aus. „Das ist ein Teufelskreis.“

Depressiv kann jeder werden. Allerdings ist das Risiko zu erkranken unterschiedlich, je nach genetischer Disposition. Meistens sind es Faktoren wie Sterbefälle oder schwere Unfälle, die eine Negativspirale auslösen. Es gibt Hinweise wie Schlafstörungen, Unruhe oder Antriebslosigkeit. „Depressive sind tendenziell eher leistungsorientiert“, sagt Norbert Mönter, Nervenarzt und Therapeut. Sie idealisierten ihr Selbstbild und setzten sich stark unter Druck.

Der Filmemacher Gregor Theus hat drei Jahre lang das Leben von Depressiven begleitet, die sich in einer Berliner Klinik behandeln ließen. Die Protagonisten seines Films, der demnächst gezeigt werden soll, sind ein Boxer, Mitte 40, der wegen eines Autounfalls aus der Bahn gerät, eine Studentin, 23, die ohne Vorzeichen an einer Depression erkrankte, und eine ehemalige Krankenschwester. Alle drei waren stark suizidgefährdet und ließen sich deshalb einweisen, die Studentin sogar gegen den Willen ihrer Familie.

Alle drei, erzählt Theus, seien inzwischen „einigermaßen stabil“, aber in ihr vorheriges Leben können sie nicht mehr zurück. Schwere Depressionen gelten als nicht heilbare organische Erkrankung des Gehirns. Man kann sie allerdings unter Kontrolle halten, mit Tabletten oder einer bewussten Verhaltensänderung.

Die Stigmatisierung von Depressionskranken beschreibt Isabella Heuser als „Vorurteil: Einmal depressiv, immer untauglich“, in erster Linie für die Arbeitswelt. „Das ist fatal.“ Patienten würden ihren Klinikaufenthalt beim Arbeitgeber oft als Urlaub kaschieren. Wenn überhaupt, ließen sich viele vom Hausarzt krankschreiben und dann zum Therapeuten überweisen. In den USA gebe es eine ganze andere Offenheit gegenüber psychischen Erkrankungen. Es müssten sich mehr Prominente wie der Fußballer Sebastian Deisler outen, um langfristig einen Wandel zu erreichen.

Nach Informationen der Techniker-Krankenkasse sind die Fehlzeiten am Arbeitsplatz aufgrund psychischer Probleme in Berlin seit 2006 um 17 Prozent gestiegen. Insgesamt gingen zwei Millionen Fehltage auf das Konto seelischer Krankheiten. In einer Negativ-Rangliste der Bundesländern belege Berlin damit hinter Hamburg einen traurigen 2. Platz.

Ein Grund für diese Entwicklung seien die „gestiegenen Anforderungen im Beruf“, die „Sorge um die wirtschaftliche Lage und die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes“. Gleichzeitig erhöht die beschleunigte Arbeits- und Freizeitwelt die Angst, sich zu seinen psychischen Problemen zu bekennen. Auch das ist offenbar ein Teufelskreis.

Dabei ist das Hilfenetz in Berlin relativ eng gestrickt. Neben dem Berliner Krisendienst auf Landesebene gibt es diverse Beratungsstellen in den Bezirken und Selbsthilfegruppen. Allein 1500 Psychotherapeuten sind niedergelassen, dazu kommen 350 Psychiater mit ärztlicher Ausbildung und ein Netz von stationären Einrichtungen.

Allerdings haben sich in den Bezirken mit mehrheitlich gutsituierter Bevölkerung deutlich mehr Psychotherapeuten und Psychiater niedergelassen als in – sagen wir – Hellersdorf oder Lichtenberg. Das liegt an den bescheidenen Fallpauschalen besonders für Psychiater. Eine Psychotherapie ist eine normale Kassenleistung, allerdings bezahlen Bessergestellte ihre Behandlungen oft aus eigener Tasche, um den Grad der Anonymität zu erhöhen.

„Depressionen kommen in allen Schichten vor“, sagen viele Therapeuten, die Gesundheitsverwaltung erkennt jedoch – ähnlich wie bei anderen Krankheiten – eine Häufung in sozial schwachen Milieus. Gefährdet sind besonders ältere Menschen. Die häufigste Ursache für Frühverrentungen in Berlin sind psychische Erkrankungen.

Weil das so ist, werden Bewerber für den öffentlichen Dienst im Bewerbungsverfahren auch nach ihren seelischen Vorerkrankungen befragt. Die Informationen erhalte jedoch nur der Amtsarzt, versichert Regina Kneiding, Sprecherin der Gesundheitsverwaltung. Abgeklärt werden solle, ob der Bewerber gesundheitlich für einen bestimmten Arbeitsplatz geeignet sei. Der Amtsarzt gebe nur das Urteil „geeignet“ oder eben „ungeeignet“ ab, die eigentliche Erkrankung bleibe unter Verschluss.

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