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Wie fühlt sich eine Depression an? Das können Besucher in einem Depressionsraum in der Ausstellung „ROBERT gedENKEn – unser Freund und Torwart“ im Landesmuseum in Hannover nachempfinden.

© dpa

Depressionen: Psychische Krankheiten sind kein Tabu mehr

Die Behandlung von Menschen mit seelischen Erkrankungen macht große Fortschritte. Neu entwickelte Medikamente helfen bei Depressionen und Angststörungen, ohne die Persönlichkeit zu beeinflussen.

Psychische Erkrankungen gewinnen zunehmend an Bedeutung. Dies betrifft sowohl die Häufigkeit als auch die Nachfrage nach Diagnostik und Therapie. Der Bundesgesundheitssurvey vom Robert-Koch-Institut aus dem Jahr 2010 mit dem Zusatzsurvey „psychische Störungen“ dokumentiert, dass fast die Hälfte aller Menschen in Deutschland im Laufe ihres Lebens einmal eine psychische Erkrankung erleidet. Dabei sind Frauen mit 48,9 Prozent häufiger betroffen als Männer (36,8 Prozent).

Damit sind seelische Erkrankungen zu Volkskrankheiten geworden. Am häufigsten pro Jahr gesehen treten Angststörungen auf (12,6 Prozent), depressive Störungen (8,8 Prozent) und Alkoholabhängigkeit (6,3 Prozent). Die Gesellschaft geht spürbar offener damit um. Mehr Menschen mit psychischen Problemen entscheiden sich zur Inanspruchnahme ambulanter oder stationärer Behandlung.

Und das ist auch gut so. Wer heute psychisch erkrankt, hat dank eines breiten Spektrums von Therapiemöglichkeiten gute Chancen auf Heilung oder zumindest auf entscheidende Besserung. Die Erfolgsrate liegt je nach Erkrankung zwischen 70 bis 80 Prozent, was vergleichbar ist mit den Behandlungserkrankungen bei körperlichen Leiden.

Psychotherapie ist eine wesentliche Säule der Behandlung

Die Forschung in Bezug auf psychische Erkrankungen hat im letzten Jahrzehnt rasante Fortschritte gemacht. Genetische Forschung, funktionale Bildgebung, molekularbiologische Methoden führen zu neuen Erkenntnissen. Ziel ist es, Erkenntnisse der Grundlagenforschung in die klinische Praxis um zu setzen – damit Therapien verbessert und Präventionsstrategien für psychisch Kranke umgesetzt werden. Allen seelischen Leiden liegt ein Erklärungsmodell zugrunde, das sowohl biologische als auch psychologische sowie soziale Ursachen umfasst. Das biopsychosoziale Modell ist auch Grundlage für eine evidenzbasierte Diagnostik und Therapie, die medikamentöse Behandlung, Psychotherapie und psychosoziale Interventionen integriert.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind nebenwirkungsarme Medikamente entwickelt worden, die sehr gezielt und ursächlich in den Botenstoffwechsel des Gehirns, der etwa für Depressionen oder Angststörungen verantwortlich ist, eingreifen und die Balance der sogenannten Neurotransmitter wieder herstellen. Diese neu entwickelten Medikamente beeinflussen weder die Persönlichkeit noch machen sie abhängig und werden individuell nach Verträglichkeit und Wirkprofil ausgerichtet.

Bei allen dieser Erkrankungen ist die Psychotherapie eine wesentliche Säule der Behandlung. Bei Depressionen oder Angststörungen ist sie die Methode der ersten Wahl. Neben der Verhaltenstherapie und tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie haben sich im vergangenen Jahrzehnt störungsspezifische, Methoden entwickelt, wie die Interpersonelle Psychotherapie (IPT) bei Depressionen oder die dialektisch behaviorale Therapie (DBT) bei bestimmten Persönlichkeitsstörungen.

Für alle Störungsbilder gibt es Leitlinien

Zur Behandlung, aber auch zur Prävention, werden auch Entspannungstechniken und Stressbewältigungstraining angeboten. Moderne Ansätze wie Recovery- und Empowermentkonzepte befähigen Menschen in psychischen Krisen, sehr individuell ihre Selbstheilungskräfte zu aktivieren.

Ziel ist heute immer, die Patienten möglichst ambulant bei Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie oder in Institutsambulanzen oder Tageskliniken in standardisierten Psychotherapieprogrammen umfassend zu behandeln. Dadurch konnte die stationäre Behandlungsdauer, die für viele Menschen sehr belastend ist, auf etwa drei Wochen gesenkt werden.

Für alle Störungsbilder gibt es von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) entwickelte Leitlinien. Diese Leitlinien sind allen Interessierten zugänglich, was für Menschen in seelischen Krisen Information und Transparenz über ihre Behandlung bedeutet. Um die Behandlungsqualität, die sich immer an den wissenschaftlichen Leitlinien orientieren muss, auch für die Nutzer durchschaubar zu machen, halten Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie Qualitätsberichte vor.

Zurzeit werden vom gemeinsamen Bundesausschuss Qualitätsindikatoren entwickelt. Wesentliches Ziel wird es in Zukunft sein, durch Informationen und Transparenz Menschen in psychischen Krisen zeitnah individuelle Behandlung nach den aktuellsten wissenschaftliche Erkenntnissen vorzuhalten, denn: keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit

Die Autorin ist Ärztliche Direktorin des St. Joseph-Krankenhauses Berlin-Weißensee.

Iris Hauth

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