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Gesundheit: „Der Bachelor-Ingenieur bietet neue Chancen“

Der Hochschulexperte Volker Meyer-Guckel erklärt, warum auch Technikstudenten mit dem neuen Abschluss in ihrem Beruf gefragt sind

Herr Meyer-Guckel, vor wenigen Tagen haben die neun großen deutschen Technischen Universitäten „TU9“ erneut klargestellt, der Bachelor könne an Universitäten kein Ingenieurabschluss sein. Erst der Master mache den Ingenieur. Sind die Ingenieurwissenschaften tatsächlich eine Ausnahmedisziplin, die unmöglich mit dem Bachelor als Regelabschluss enden kann, wie die Kultusminister es vorschreiben?

Die ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge passen wie jeder andere Studiengang in die neue zweistufige Struktur hinein. Bisher ist, etwas überspitzt formuliert, der Studienabbruch in vielen ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen der Regelabschluss. Die Abbrecherquoten liegen bei 30 bis 50 Prozent. Wenn man diese Menschen dazu qualifizieren könnte, wenigstens den Bachelor zu machen, wäre ein großer Schritt getan.

Die TU9 sind der Auffassung, dass die wissenschaftliche Qualität des Studiums über Bord geworfen wird, müsste man in einem sechssemestrigen Studium berufsqualifizierend ausbilden. Ist diese Gefahr von der Hand zu weisen?

Ja. Ein Absolvent kann seine Kenntnisse nach einem sechssemestrigen Ingenieurstudium in verschiedenen Positionen im Unternehmen einbringen, an Schnittstellen zum Marketing, zum Vertrieb, zum Service oder zu anderen Unternehmen. Er kann sich aber danach auch weiter qualifizieren, zum Beispiel mit einem Master in angrenzenden oder auch gänzlich anderen Fächern. Ein Bachelor beschneidet nicht berufliche Chancen, sondern eröffnet sie.

Das bisherige Studium der angehenden Ingenieure an Universitäten beginnt mit einem stark theoretisch orientierten Studium bis zum Vordiplom. Wer Bachelor ausbilden will, muss aber schon anfangs auch praktische Anteile bringen. Ist das Grundlagenwissen am Anfang aber nicht zwingend für die anspruchsvolle Ingenieursausbildung an Universitäten?

Es soll keine Abstriche in der Theorie geben, sondern die Theorie soll auf eine neue Art und Weise vermittelt werden, nämlich in praktischen Kontexten, etwa in Projektseminaren. Dann wäre es auch leichter, Frauen für diese Studiengänge zu gewinnen. Das erfordert aber ein gewisses Ideenreichtum bei der Konzeption von Studiengängen.

Gibt es Vorbilder?

Ein Beispiel ist der Studiengang Mechanical Engineering an der TU Darmstadt. Dort bekommen Studienanfänger in einer zweiwöchigen Projektphase theoretisches Wissen im Rahmen einer praktischen Aufgabenstellung vermittelt. Damit begreifen sie auch, warum sie theoretische Grundlagen brauchen.

Acatech, der Konvent für Technikwissenschaften der Union der Akademien der Wissenschaft, betont, amerikanische Spitzenunis würden Deutschland um seinen einstufigen und am Anfang stark theoretisch ausgerichteten Diplom-Ingenieur beneiden. Müssen wir da nicht weitermachen wie bisher?

Der Diplom-Ingenieur ist kein im Ausland anerkannter Abschluss. Der Master ist international anerkannt und kompatibel. Es gibt auch niemanden, der sagt, der Master solle qualitativ geringer sein als das Diplom. Im Gegenteil, der Master soll besser sein als der Diplom-Ingenieur.

Könnten nicht ausländische Studienbewerber verloren gehen, wenn der berühmte Dipl.-Ing. nicht mehr existiert?

Angesichts des drohenden Ingenieurmangels müssen wir ausländische Studierende anwerben, und da besonders für den Master. Denn diese Studierenden stehen kurz vor dem Eintritt in den Beruf und bleiben dann vielleicht bei uns. Zu den Anwerbungsstrategien wird auch die Perspektive gehören, dass das Studium in einem überschaubaren Zeitraum abgeschlossen werden kann. Bachelor und Master werden es sehr viel einfacher machen, Studierende anzuwerben und zu betreuen.

Die TU9 argumentieren auch, es gebe eine Aufgabenteilung. Die Fachhochschulen seien zuständig dafür, die Studierenden für den Berufseinstieg mit dem Bachelor vorzubereiten. Die Unis müssten aber weiter für die wissenschaftlich fundierte Ausbildung sorgen. Ist es nicht gut, wenn es hier unterschiedliche Profile gibt?

Es ist klar, dass die führenden Technischen Universitäten in Deutschland auch weiterhin die führenden Adressen für die wissenschaftliche Ausbildung der Ingenieure bleiben werden, das will ihnen doch überhaupt keiner absprechen. Das heißt aber nicht, dass die TU9 deshalb die Berufsorientierung im Studium vernachlässigen dürfen. Denn die meisten Absolventen kommen außerhalb der Wissenschaft unter. Auch heißt das nicht, dass die Fachhochschulen gänzlich auf die wissenschaftliche Ausbildung verzichten. Denn gerade in der Anwendungsorientierung haben sie Stärken, die die Unis oft nicht aufweisen können. Aber es muss Schnittstellen geben. Fachhochschul-Bachelor müssen die Chance haben, sich an den Universitäten im Master weiterqualifizieren zu können.

Wenn der Bachelor der Regelabschluss wäre, könnte das zur Folge haben, dass zu wenig Absolventen auf Diplom-Ingenieur-Niveau ausgebildet werden, befürchtet etwa der VDI – schon weil die Unis die Kapazität im Master verlieren würden. Besteht diese Gefahr?

Die Gefahr besteht nur dann, wenn der Staat die Kapazitäten im Master staatlich reglementiert. Statt dessen müssen die Kapazitäten sich am Markt und an der Nachfrage und der Qualität der Studierenden ausrichten. Die Politik muss hier finanzielle Spielräume schaffen. Aber die Universitäten haben über ihre Globalhaushalte auch die Möglichkeit, hier zu steuern. Das setzt aber voraus, dass sie Profile bilden und in einigen Studiengängen zugunsten anderer Abstriche machen. Dafür, in allen Studiengängen jedem den Übergang zum Master zu gewähren, werden die Kapazitäten nicht reichen.

Der VDI teilt die Sorgen der TU9. Ist es nicht riskant, Studiengänge einzurichten, deren Absolventen von der Wirtschaft hinterher nicht akzeptiert werden?

Das Ziel der neuen Studiengänge ist eine bessere Qualität. Die Betreuung soll besser werden, die Zahl der Abbrecher sinken, neue Inhalte sollen aufgenommen werden. Die Technik entwickelt sich rasant – warum soll dann in der Ausbildung alles so bleiben wie bisher? Wenn der Ingenieurmangel in den nächsten fünf bis sieben Jahren dramatisch wird, werden die Unternehmen die besten Bachelorabsolventen von der Uni abwerben. Im Master werden diejenigen studieren, die es nicht schon nach dem Bachelor zum Unternehmen geschafft haben. Vor zehn Jahren gab es eine ähnliche Entwicklung in der Informatik. Deshalb müssen die Hochschulen dann auch berufsbegleitende Master anbieten – auch dafür sehe ich bislang kaum Konzepte der TU9.

Müssten die Wissenschaftsminister der Länder die TU9 unter Druck setzen, den Bachelor berufsqualifizierend zu gestalten?

Ich erhoffe mir diesen Druck nicht von den Wissenschaftsministern, da wir autonome Hochschulen wollen, sondern von den Akkreditierungsagenturen. Sie dürften nur solche Studiengänge akkreditieren, die die Berufsqualifizierung ernst nehmen. Wenn man nur umetikettiert, wäre das eine enorme Ressourcenverschwendung.

Das Gespräch führte Anja Kühne.

VOLKER MEYER-GUCKEL (45) ist stellvertretender Generalsekretär des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Er ist beim Stifterverband auch Mitglied der Geschäftsleitung.

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